Veröffentlicht auf Persian2English am 3. Januar 2010
Quelle (Persisch): Freedom Messenger
Übersetzung Persisch-Englisch: Siavosh für Persian2English
Quelle (Englisch): http://persian2english.wordpress.com/2010/01/03/an-interview-with-benyamin-rasouli-a-young-man-rescued-from-execution-on-the-night-of-behnouds-execution-he-was-not-crying-he-was-really-quiet/
Übersetzung Englisch-Deutsch: Julia (bei Weiterveröffentlichung bitte Link zu diesem Post angeben)
(Anmerkung d. Übers.: Dieser Artikel beruht zum Zeitpunkt der Übersetzung auf einer einzigen und inoffiziellen persischen Quelle. Ich bitte, den Inhalt des Artikels entsprechend als „unbestätigt“ einzustufen)

Nach dem in Iran geltenden und praktizierten islamischen Gesetz der Scharia hat in Fällen von Mord (ersten oder zweiten Grades, manchmal sogar in Fällen von Totschlag) die Familie des Opfers das letzte Wort. Sie kann sich entweder für Qesas entscheiden – die Bestrafung nach dem Prinzip „Auge um Auge“, die im Fall von Mord die Hinrichtung des Täters bedeutet – oder aber dem Opfer gegen eine Zahlung von Diah („Blutgeld“) vergeben.
Artikel 37 der UN-Konvention für die Rechte von Kindern besagt: “Für Straftaten, die von Personen vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahres begangen worden sind, darf weder die Todesstrafe noch lebenslange Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit vorzeitiger Entlassung verhängt werden.“ *)
Iran ist Unterzeichner dieser Konvention (und hat diesen Abschnitt bedingungslos akzeptier). Dessenungeachtet werden in Iran jährlich viele jugenliche Straftäter gehenkt.
*) Zitat entnommen aus http://www.unis.unvienna.org/unis/de/library_2004kinderkonvention.html
Für Jugendliche, die einen Mord begehen, Drogen schmuggeln oder sexuelle Beziehungen unterhalten, ist die Todesstrafe vorgesehen. Dieser Umstand ist eines der wichtigsten menschenrechtlichen Probleme in Iran.
Jugendliche, die als Minderjährige des Mordes angeklagt sind, haben diese Tat [meist] im Zuge einer unreifen Auseinandersetzung an einem gleichaltrigen Menschen verübt. Diese Jugendlichen werden wegen Totschlags (Tötung ohne Vorsatz und oftmals unfallartig) zum Tode verurteilt. Benyamin Rasouli ist ein Jugendlicher, der freigelassen wurde, nachdem die Familie des Opfers ihm vergab.
Das folgende Interview mit Benyamin führte Saba Vasefi.
Frage: Wie wurde Hossein [das Opfer] getötet?
Antwort: Sie hatten meinen Freund Shahram verprügelt. Ich ging hin, um die beiden miteinander zu versöhnen, aber die Spannung stieg. Als sie in unserem Viertel waren, wurden sie zusammengeschlagen. Dann sagten sie, wenn du ein Mann bist, komm in den Park. Ich ging hin, sie waren 12, und niemand aus unserem Viertel war dort. Ich entkam ihnen, ging wieder nach Hause und holte mein Messer. Dann ging ich zurück in den Park. Ich habe wirklich nicht mitbekommen, wie und wann er vom Messer getroffen wurde. Später fand ich heraus, dass das Messer seine Rippen durchstoßen hatte und er im Krankenhaus gestorben war.
Wer hatte dir das Messer gegeben?
Es war ein Messer mit Holzgriff, das ich von einem Freund als Andenken aus Nordiran bekommen hatte.
Wie alt warst du, als es passierte?
Ich war 15. Ich war so klein, dass der Polizist total überrascht war, als er mich sah. Er fragte mich „Bist du Benyamin? Du bist so winzig!“
Wo bist du verhaftet worden?
20 Minuten nach dem Vorfall kamen mehrere Polizisten zu uns nach Hause. Einer von ihnen war Safar Ali Nasiri, der später im Rajayi Shahr-Gefängnis hingerichtet wurde (ein berüchtigtes Gefängnis in Karaj, in dem gefährliche Kriminelle inhaftiert sind).
Bist du allein zur Polizeistation gegangen?
Ja. Sie gaben meinen Eltern die Adresse und sagten, sie sollten uns folgen. Dann fesselten sie mir mit Handschellen die Hände auf dem Rücken und warfen mich in den Kofferraum des Autos.
Hast du auf der Polizeistation den Mord gestanden?
Ich konnte nicht glauben, dass das Messer ihn (Hossein) getroffen hatte. Auf der Polizeistation schlugen sie mich mit einem Schlauch, der mit Pellets gefüllt war, damit ich sage, wo ich das Messer hatte. Sie haben auch drei Mal „chicken torture“ bei mir angewandt, und einmal haben sie mich (an der Hand) aufgehängt. Nachdem ich ihnen gesagt hatte, wo das Messer ist, zeigten sie mir Bilder von drei Leichen, die in Mehrshahr in der Nähe der Gleise gefunden worden waren. Sie wollten, dass ich diese Morde auch gestehe.
Was ist “chicken torture”?
A: Man wird mit Handschellen gefesselt, die Knie werden durch die Arme gezogen, und eine Metallstange wird zwischen die Beine geschoben. Die Enden der Stange werden jeweils auf einen Stuhl gelegt. Dann wird man geschlagen, wobei man von einer Seite auf die andere schaukelt. In dieser Situation kann man nur noch schreien.
[Anm. d. Übers.: „chicken torture“ ist eine nicht nur in Iran weit verbreitete Foltermethode, für die man z. B. in Dokumenten von Amnesty International Beschreibungen in vielen Varianten findet.]
Wie lange warst du in der Polizeistation?
Einen Monat und 28 Tage. Ich war zwei Wochen lang in dem Raum. Die ganze Zeit über trug ich Handschellen. Sie haben meine Fußgelenke so fest zusammengebunden, dass ich alle Haare auf den Beinen verlor.
Wie lange bist du körperlich gezüchtigt worden?
20 Tage vor dem Gerichtstermin hörten sie auf, mich zu schlagen, damit die Blutergüsse verschwinden.
Am Tag des Gerichtstermins hatte dein Körper keine Wunden oder Blutergüsse mehr?
Nein, alles, was übrig geblieben war, war ein großer gelber Fleck.
Hast du mitbekommen, wie andere gezüchtigt wurden?
Da waren noch zwei Leute, die wegen Drogenschmuggels verhaftet worden waren. Wenn sie sie abführten, um sie zu schlagen, haben sie ihnen die Schultern ausgerenkt. Nachdem sie sie geschlagen hatten, haben sie sie wieder eingerenkt. Die Polizeistation Herasak ist die Hölle. Wenn sie es in der Station Shahpour, die berüchtigt ist, nicht schaffen, die Angeklagten zu Geständnissen zu zwingen, bringen sie sie nach Herasak.
Wurdest du wieder geschlagen, nachdem du ins Gefängnis verlegt wurdest?
Als ich ins Gefängnis gebracht wurde, nahm mich der Chef mit und zeigte mir alles. Er sagte zu mir „Geh diesen gekachelten Korridor entlang und stell dir vor, auf der einen Seite ist ein Abgrund, und auf der anderen Seite sind [unter dir] Menschen. Wenn dich jemand schubst, auf welche Seite wirst du springen?“ Ich antwortete: „Na ja, da es schließlich um mein Leben geht, ist es erlaubt, auf die Seite mit den Menschen zu springen.“ Ich glaubte das wirklich, aber für diese Worte wurde ich heftig geschlagen.
Wie verbrachtest du deine Tage im Gefängnis?
Ich habe im Gefängnisrat mit Ali Mahintorabi gearbeitet. Wir haben mit der Unterstützung des Frauengefängnisses ein 30seitiges Journal veröffentlicht.
Wie hast du dich gefühlt, als die das Todesurteil verkündet haben?
Ich hatte immerzu denselben Albtraum.
Was für einen Albtraum?
Ich träumte, dass ich in einem Hof war, der von Bäumen umgeben war. Hinter den Bäumen war eine Mauer, und in der Mitte standen die Galgen. Als ich auf die Bäume zuging, wollten sie mich hinrichten. Als ich auf die Mauer zuging, kam ein Geist hervor und stieß mich zum Galgen.
Gab es Zellengenossen von dir, die hingerichtet wurden?
Ja. Behnoud Shojaee und Sattar Shiri.
Wie hast du dich nach ihrem Tod gefühlt?
Ich konnte zwei Monate lang nicht schlafen. Ich habe ständig mit mir selbst gesprochen und Ticks entwickelt.
Erinnerst du dich an Sattars letzte Nacht?
Er hat viel geweint. Er sagte „Ich weiß, dass sie mich diesmal hängen werden. Meine Familie tut mir Leid.
Und Behnoud?
Behnoud hat nicht geweint. Er war ganz ruhig. Es verging keine Nacht, ohne dass er seine Gebete verrichtet hat. Viele der Jungs dort werden abhängig. Sie entwickeln viele neue kriminelle Fähigkeiten. Aber Behnoud hatte alles aufgegeben. Er war nur noch Gott zugewandt. Sein Gebetsbuch war schon gelb geworden. In der Nacht vor seiner Hinrichtung haben alle um ihn geweint. Er war so still und unschuldigt, dass alle ihn liebten.
Was habt ihr gemacht, als Behnoud nicht in die Zelle zurückkam?
Wir haben ein Gedenken für ihn abgehalten. Bis zum 40. Tag nach seinem Tod haben wir Schwarz getragen. In der Nacht vor seiner Hinrichtung sagte er, dass er mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit hingerichtet wird, wenn nicht ein Wunder geschieht und Gott einen Lichstrahl in die Herzen der Angehörigen des Opfers sendet.
Wie hast du dich gefühlt, als die Familie von Hossein dir vergeben hatte?
Als sie mir vergaben, dachte ich, dass es eine Lüge ist. Viele der Familien bluffen nur. Die Familie des Opfers im Fall von Behnoud hatte gesagt, dass sie ihm in dem Moment vergeben würden, in dem die Schlinge um seinen Hals gelegt wird. Aber sie war es, die den Hocker unter Behnouds Füßen wegstieß. Ich sagte mir, dass es in meinem Fall auch nur eine Lüge ist.
Wieviele Geschwister hast du?
Wir sind sechs, und ich habe noch eine Halbschwester.
Wem ist es zu verdanken, dass die Familie des Opfers dir vergeben hat?
Ich verdanke das meiner Anwältin, Frau Tahmasbi, und meiner Schwester. Als ich freigelassen wurde, wollte ich ihre Füße küssen. Sie haben wirklich hart gearbeitet. Meine Anwältin konnte völlig unerwartet das Blutgeld von 250.000 $ auf 50.000 $ reduzieren.
Wie ist das Leben außerhalb des Gefängnisses für dich jetzt?
Alles erscheint so fremd und seltsam. Ich spüre die Abwesenheit meines Vaters. Ich kann nicht glauben, dass er tot ist. Als ich im Gefängnis war, erlitt er bei einem Autounfall eine Gehirnerschütterung und starb. Und weil ich ihn nicht gesehen habe, kann ich nicht glauben, dass er tot ist.
Wie möchtest du ab jetzt leben?
Ich möchte alles in vollen Zügen genießen. Ich wache mitten in der Nacht auf, und ich öffne meine Augen. Ich bin wirklich müde, aber ich möchte meine Augen nicht schließen. Ich stehe auf und küsse meine Mutter. Ich möchte wiedergutmachen, dass ich sie allein gelassen habe. Ich kenne mich mit Frisuren aus. Ich möchte in einem Friseurladen arbeiten, damit meine Mutter ein gutes Leben haben kann. Ich würde gern für den Verein für die Rechte von Kindern arbeiten, damit ich dabei helfen kann, überall in Iran die Familien von Opfern zufriedenzustellen, damit sie vergeben können.
Meinst du, dass die Todesstrafe ein geeignetes Mittel ist, um Kinder zu bestrafen, die als Minderjährige straffällig werden?
Für jedes Kind ist es hundertmal schlimmer, unter solchen Bedingungen im Gefängnis zu sein, als zu sterben. Die Hinrichtung ist nur ein Moment. Sie ziehen den Hocker unter deinen Füßen weg, dein Hals bricht, und du erstickst. Das Gefängnis hingegen ist die Hölle. Man geht mit einer Anklage hinein, und kommt mit tausenden von Krankheiten und Störungen wieder hinaus. Da drin werden viel schwächere Kinder auf jede erdenkliche Weise misshandelt. Depressionen, Sucht und AIDS – jedes einzelne davon ist tausendmal schlimmer als der Tod.