Veröffentlicht auf Pedestrians Blog am 2. Februar 2010
Quelle (Englisch): http://www.sidewalklyrics.com/?p=3491
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben
Anm. d. Übers.:
Moussavi hat der Webseite Kalemeh ein Interview gegeben. Die Übersetzung des ersten Teils (Frage 1+2 von insgesamt 10 Fragen) wurden auf Pedestrians Blog bisher in voller Länge übersetzt. In runde Klammern gesetzte Anmerkungen stammen vom Übersetzer der englischen Version.
Die hier fehlenden Teile des Interviews sind hier nachzulesen
Kalemeh: Kann man sagen, dass der Fall des Pahlavi-Regimes unvermeidlich war?
Das Regime hatte seine Legitimität vollständig verloren. Natürlich hatte dies auch viel damit zu tun, dass Bürger (von den Kräften des Regimes) auf den Straßen getötet wurden. Die Morde vom 17. Shahrivar (8. September) waren ein entscheidendes Moment. Wenn wir zurück blicken, sehen wir, dass wenn das Pahlavi-Regime die Errungenschaften der Konstitutionellen Revolution (die die Einrichtung des Parlaments zur Folge hatte) nicht aufgegeben hätte, die Monarchie hätte überleben und in der Rolle, die die Verfassung für sie vorsah, weiter regieren können, und zwar mit der Rückendeckung der Stimmen des Volkes. Die Pahlavis waren diesbezüglich (ihrer Missachtung der Verfassung) von Anfang an oft gewarnt worden, und der verstorbene Modares opferte sogar sein Leben für dieses Ziel. Aber alle Warnungen und Hinweise waren vergeblich, und nur wenige Jahre nach der Konstitutionellen Revolution hatte das despotische Regime wieder die Oberhand, wenn auch dieses Mal mit einer modernen Fassade.
Die vergleichsweise lange Regierungszeit der Pahlavis zeigt, dass die Wurzeln des Despotismus in der Konstitutionellen Revolution nicht vollständig zerstört worden waren. Diese Wurzeln lebten innerhalb kultureller, sozialer und politischer Strukturen weiter. Ich weiß noch, dass in jenen Jahren eines der Bilder, die der Schah ständig für Werbezwecke benutzte, einen Bauern zeigte, der dem Schah die Füße küsste. Der Schah war der Meinung, dieses Foto zeige die tiefe Liebe des Volkes zu ihm, aber natürlich sahen weise Männer viel mehr in diesem Foto.
Kalemeh: Die Elemente, von denen Sie sagen, dass sie despotische Regimes wiederbeleben – wurden diese Elemente in der Islamischen Revolution beseitigt?
In den ersten Jahren der Revolution waren die Menschen überzeugt davon, dass die Revolution all diese Strukturen, durch die Despotismus und Diktatur wieder erstarken könnten, vollständig zerstört hatte. Und ich war einer von denen, die das glaubten. Heute jedoch glaube ich das nicht mehr. Heute können wir eben diese Strukturen, die zum Despotismus führten, erkennen, und wir können auch den Widerstand erkennen, den Menschen dagegen zeigten, eine Rückkehr zur Diktatur zu erlauben. Dieser Widerstand ist ein wertvolles Erbe der Islamischen Revolution. Dass die Menschen die Täuschungen, Lügen und Korruption, die wir heute sehen, nicht tolerieren, lässt dieses Erbe deutlich zutage treten. Ebenso wie die strikte Kontrolle über Zeitungen und Medien, die überfüllten Gefängnisse, die brutale Ermordung unschuldiger Menschen, die auf den Straßen friedlich ihre Rechte einfordern… all das zeigt die Wurzeln des Despotismus, die noch übrig sind. Den Menschen geht es um Gerechtigkeit und Freiheit, und sie wissen, dass all die Verhaftungen und Hinrichtungen politisch motiviert und verfassungswidrig sind. Sie verachten die Monarchie, aber sie wissen auch, dass Menschen auf der Grundlage unseriöser Anklagen und ohne einen gesetzmäßigen Prozess zum Tode verurteilt werden können.
(Das Volk weiß, dass diese Hinrichtungen nur vollzogen werden,] damit ein unbarmherziger, brutaler Freitagsgebetsleiter, der immer schon Korruption, Gewalt und Täuschung das Wort geredet hat, ihnen applaudieren kann. Ihn (den Freitagsgebetsleiter) interessiert es überhaupt nicht, ob erzwungene Geständnisse weit verbreitete Praxis sind, und es ist ihm egal, dass diese Personen (die hingerichtet wurden) nichts mit der Wahl zu tun haben. Was für ihn zählt, ist, wie viel Angst durch die Hinrichtungen erregt werden kann. Er kennt nicht die Macht unschuldig vergossenen Blutes, er weiß nicht, dass es das Blut von Märtyrern war, das den Fall des Pahlavi-Regimes herbeiführte. Seit der Revolution haben die Menschen an Freiheit, Unabhängigkeit und die Islamische Republik geglaubt. Die Stärke und der mutige Widerstand des Volkes und unserer Soldaten während des achtjährigen Krieges war ein Zeichen der äußerst fundamentalen Veränderungen, die sich in unserer Gesellschaft zugetragen hatten. Wir sollten uns daran erinnern, dass Teile unseres Landes in Zeiten der Schahs (Könige) durch Kriege, Krise und politische Spiele verloren gingen, und der mutige Widerstand unseres Volkes während des achtjährigen Krieges endete in diesem teuflischen Kreislauf.
Und jetzt, in den mutigen, beständigen grünen Linien der Menschen, die ihre Rechte einfordern, sehen wir ein Kontinuum desselben Widerstandes, den wir während des Krieges und in der Revolution von 1979 gesehen haben.
(Ab hier Übersetzung von Khordaad88)
Wenn wir heute andererseits sehen, dass die Regierung, das nationale Fernsehen und ihre angegliederten Zeitungen ohne Schwierigkeiten lügen, wenn unser Volk sieht, dass die Sicherheitskräfte und das Militär in Wirklichkeit das Justizsystem kontrollieren und das Justizsystem zu einem Instrument der Sicherheitskräfte geworden ist, können wir daraus schließen, dass wir am Anfang der (Islamischen) Revolution zu optimistisch waren.
Ich glaube, dass das Märtyrertum von Männern wie Beheshti, Motahari und anderer Märtyrer der Islamischen Revolution durch die Ausdehnung dieser sehr despotischen Wurzeln des Vorgängerregimes bedingt war, die nicht vollständig zerstört worden waren. Darum glaube ich nicht, dass die Islamische Revolution ihre Ziele erreicht hat.
Das jährlich stattfindende Fajr-Festival ist eigentlich dazu da, dass (das Volk) wachsam wird und dazu, sie dafür zu stärken, die verbliebenen Wurzeln des Despotismus zu beseitigen. Heute beteiligen sich die Menschen aktiv, weil sie Gerechtigkeit und Freiheit wollen, und weil sie die Herren ihres eigenen Schicksals sein möchten. Wir solllten daran denken, dass unsere Nation auf dieser Suche hunderttausende Märtyrer zu beklagen hatte.
Die Islamische Revolution ist das Ergebnis der Anstrengungen und Opfer unserer großen Nation. Doch (selbst) der kleinste Anflug von Unwissenheit, Ignoranz und Rückzug wird uns in eine noch finsterere Diktatur zurückführen als (die, die wir) vor der Revolution (hatten). Denn Diktaturen im Namen der Religion sind die schlimmsten Diktaturen. Andererseits werden uns Wissen und Beständigkeit in den wichtigsten Vermächtnissen und Zielen der Islamischen Revolution, (nämlich) ernsthafte Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit, aus einer dunklen Vergangenheit in eine helle Zukunft führen. Sie werden die Überreste der Diktatur zerstören und einen Kontext für ein Leben in Freiheit schaffen, wo Diversität, Pluralismus, Freiheit der Rede und menschliche Würde geachtet werden. Ich glaube, die Interpretation des Islam, die Menschen als Ziegen, Dreck und Staub bezeichnet und eine Spaltung des Volkes bewirkt, (eigentlich) von einer prä-revolutionären diktatorischen Kultur beeinflusst ist. Die Justiz hätte gut daran getan, sich mit diesen Wurzeln und (Einflüssen) zu beschäftigen, anstatt junge Männer und Teenager hinzurichten, während ernsthafte und viele Gerüchte kursieren, dass sie zu Geständnissen gezwungen wurden.
Doch wie ich schon sagte, wir haben jede Hoffnung in die Justiz verloren. Ein Justizsystem, dass einen intellektuellen, religiösen und der Freiheit verpflichteten Mann wie den Sohn des Märtyrers Beheshti und andere freiheitsliebende Männer wie ihn ins Gefängnis steckt, eine Justiz, die ihn in den Fluren der Gerichte unter ein Foto seines Vaters setzt, hat sich weit von den Idealen der Revolution entfernt.
Heute sind die Zellen in den Gefängnissen mit den aufrichtigsten und engagiertesten Söhnen dieser Nation gefüllt: Studenten, Professoren und andere. Sie (die Sicherheitskräfte) versuchen, sie mit finanziellen, sexuellen oder spionagebezogenen Anklagen zu verfolgen, die auf ungültig gewordenen Formeln beruhen. Während die wahren Kriminellen und Diebe, die öffentliche Gelder stehlen, draußen frei herumlaufen. Anstatt die wirklichen Spione zu suchen, beschuldigen sie lieber anständige religiöse Menschen der Spionage.
Ich sollte diese Gelegenheit nutzen, um zu sagen, wie sehr ich bedaure, dass all meine Berater, die anständige, ehrliche und gebildete Menschen sind, verhaftet wurden und ich nicht bei ihnen bin. Es vergeht keine einzige Nacht, in der ich nicht an den Imam (Khomeini), Ayatollah Beheshti und andere teure Märtyrer denke und mir der Gedanke kommt, dass das, was erreicht wurde, weit von dem entfernt ist, was sie wollten.
Ich habe keinen meiner Berater genannt, weil ich allen politischen Gefangenen meinen Respekt zollen möchte. Iran wird ihre Namen und ihre Opfer nicht vergessen.
Eine Zusammenfassung der 15 zentralen Punkte des Interviews ist auf Enduring America erschienen. Die deutsche Übersetzung davon findet sich hier