Tagesarchiv: 23. Februar 2010

800.000 $ Kaution für Freilassung von Abdollah Momeni

Veröffentlicht auf Persian2English am 23. Februar 2010
Quelle (Persisch): Kalemeh
Übersetzung Persisch-Englisch: Xan I., Persian2English
Quelle (Englisch): http://persian2english.com/?p=7548
Übersetzung Englisch-Deutsch: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben.
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin

Richter setzt 800.000 $ Kaution für den inhaftierten Sprecher der Organisation Advar Tahkim-e Vahdat [„Büro zur Konsolidierung der Einheit“] fest

Kalemeh – Der im Fall Abdollah Momeni verantwortliche Richter hat für dessen Freilassung eine Kaution in Höhe von 800.000 $ angekündigt. Abdollah Momenis Ehefrau protestiert – die Familie kann diese Summe nicht aufbringen.

Wie die oppositionelle Nachrichtenagentur Kalemeh mitteilt, hat Momeni in der Haft seinen Arbeitsplatz als Lehrer verloren. Seine Familie wohnt zur Miete und hat kein Einkommen. Wie seine Ehefrau mitteilt, hat ein Beamter, der für den Fall Momeni verantwortlich ist, angedeutet, es sei möglich, die Höhe der Kaution zu reduzieren.

Abdollah Momeni war Sprecher der Alumni-Organisation des Islamischen Iran (Advar-e Tahkim Vahdat) und hat in der Präsidentschaftswahl vom Juni 2009 Mehdi Karroubis Wahlkampf unterstützt. Er war vor acht Monaten verhaftet worden und wird derzeit in Evin festgehalten.

Rafsanjani hält an der Rolle des Führers beim Friedenserhalt fest

Veröffentlicht auf Radio Zamaaneh am 23. Februar 2010
Quelle (Englisch): http://www.zamaaneh.com/enzam/2010/02/rafsanjani-insists-on-lea.html
Übersetzung aus dem Englischen: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Der Vorsitzende der Expertenversammlung, Ayatollah Hashemi Rafsanjani

Heute begann ein zweitägiges Treffen der iranischen Expertenversammlung. Der Vorsitzende Ayatollah Rafsanjani eröffnete die Sitzung mit einer Rede zu der Rolle des Obersten Führers in den jüngsten Unruhen, in der er erklärte, dass Ayatollah Khameneis „Umsicht“ in den Ereignissen sichergestellt habe, dass „die unerfreulichen Vorfälle, die sich ereignet haben, nicht zu einem Flächenbrand führten“.

Wie ISNA berichtet, hatte der Oberste Führer Rafsanjanis Worten zufolge alles, was nach der Wahl geschah, unter seiner „engen Obhut“. Er fügte hinzu, dass jeder sich in den jüngsten Ereignissen „schuldig gemacht“ habe. Wenn der Oberste Führer „in derselben Art und Weise weitermacht und andere ebenfalls kooperieren, werden wir unser Ziel schneller erreichen“, so Rafsanjani weiter.

In den vergangenen acht Monaten gab es immer wieder Demonstrationen, mit denen die Menschen gegen den angeblichen Wahlbetrug protestierten, der Mahmoud Ahmadinejad in eine zweite Amtszeit als Präsident gebracht hatte. Die Regierung war mit beispielloser Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen, mindestens 40 Menschen starben, mehr als 5000 wurden verhaftet, und politisch Andersdenkende und Journalisten wurden zu strengen Strafen verurteilt.

Ayatollah Rafsanjani, eine der mächtigsten Persönlichkeiten in der politischen Landschaft Irans, hatte sich zunächst für die Opposition eingesetzt und Neuwahlen gefordert. Seine Botschaften wurden im Laufe der Zeit allerdings immer kryptischer. In letzter Zeit wurde er mehrfach mit den Worten zitiert, dass der einzige, der das Land aus der gegenwärtigen Krise führen könne, der Oberste Führer sei – eine Äußerung, die manche Hardliner als Beleidigung der Institution der Führerschaft interpretieren.

Rafsanjani unterstrich auch heute wieder die Rolle Ayatollah Khameneis für die Wiederherstellung des Friedens im Lande und rief die Expertenversammlung dazu auf, sich sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass die soziale Einheit wiederhergestellt wird. Er erklärte: „Die unschönen Ereignisse, die sich in letzter Zeit zugetragen haben, waren beispiellos und haben Differenzen, möglicherweise Groll, und viele andere Probleme verursacht.“

Er äußerte sich hoffnungsvoll, dass die von „Familien, Regierungsbeamten und allen Protestteilnehmern“ erlittenen Schäden wieder gut gemacht werden. Zuvor war er mit den Worten zitiert worden, dass alle politischen Gefangenen freigelassen werden müssten.

Die Expertenversammlung

Ayatollah Rafsanjani erklärte außerdem: „Es gibt eine Trennlinie zwischen loyalen Anhängern der Revolution und denen, die gegen das System und den Obersten Führer sind. Diese Linie darf nicht verschleiert werden.“

Die Oppositionsführer in Iran haben sich immer wieder bemüht, zu unterstreichen, dass ihre Forderungen verfassungsgemäß sind und dass sie auf keinen Fall einen Regimewechsel anstreben.

Die Expertenversammlung wird in ihrer Sitzung Berichte von Außenminister Manouchehr Mottaki und IRGC-Kommandant Aziz Jafari anhören.

Omid Montazeri erhält im Gefängnis ersten Besuch

Veröffentlicht auf RAHANA am 23. Februar 2010
Quelle (Englisch): http://www.rhairan.org/en/?p=1051
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Am Donnerstag erhielt Omid Montazeris Familie zum ersten Mal eine Besuchserlaubnis.

RAHANA – Omid Montzari, der zur Zeit in Trakt 209 von Evin in einer Zelle mit 4 weiteren Gefangenen untergebracht ist, durfte erstmals Besuch von seiner Familie empfangen.

Wie die Organisation „Committee of Human Rights Reporters“ (CHRR) mitteilt, läuft seine Haftanordnung am 25. Februar ab. Da sein Prozess bereits abgeschlossen ist, müsste er die Kriterien für eine Freilassung gegen Kaution erfüllen. Er befindet sich jedoch weiterhin in Haft, sein Anwalt durfte seine Akten nicht einsehen.

Montazeri war am 28. Dezember 2009 verhaftet worden, nachdem er im Ermittlungsbüro des Geheimdienstministeriums vorgesprochen hatte, um sich nach seiner Mutter zu erkundigen, die gemeinsam mit ihren Gästen in der Nacht zuvor verhaftet worden war.

Schlagabtausch: Rafsanjanis Tochter vs. Basijis

Veröffentlicht auf Pedestrians Blog am 23. Februar 2010
Quelle (Englisch): http://www.sidewalklyrics.com/?p=4168
Übersetzung Englisch-Deutsch: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Rafsanjanis Tochter Faezeh Rafsanjani sitzt im Auto, voll verschleiert, im traditionellen schwarzen Tschador.

Offenbar hatte sie an der Universität einen Vortrag oder eine Rede gehalten.

Eine Gruppe Männer versuchen, sie dazu zu bringen, aus dem Auto zu steigen. Der, der vorn steht, holt ihre Sachen aus dem Auto und wirft sie auf den Boden. Sie fragen: „Warum waren Sie hier? Warum haben Sie eine Rede gehalten? Was haben Sie gesagt?“

Sie antwortet: „Weil ich es wollte.“

Basij: „Wir wollen, dass Sie auch mit uns reden.“

Die Männer diskutieren untereinander die ganze Zeit darüber, was der interessanteste Teil des Gesprächs ist. Sie verwenden die Wörter „Debatte“, „Diskussion“, „Dialog“, „Gespräch“ etc. – alles Begriffe, die sie offensichtlich von der Reformbewegung übernommen haben.

Basij: „Sind Sie nicht diejenige, die gerade die Rede gehalten hat? Über die Studentenbewegung, die Forderungen stellt? Steigen Sie aus dem Auto aus, wir wollen ein Gespräch führen. Wir sind auch Studenten, wir wollen uns unterhalten. Wir wollen ganz bestimmt nicht unhöflich sein, wir wollen nur reden. Nur reden.“

Faezeh: „Sie können reden, wo immer sie wollen. Gehen Sie, reden Sie.“

Basij: „Nein, wir wollen, dass Sie ein paar Dinge wiederholen, die Sie gesagt haben.“

Faezeh: „Was habe ich gesagt? Sagen Sie mir, was ich gesagt habe.“

Basij: „Wissen Sie etwa nicht, was Sie gesagt haben?“

Faezeh: „Ich habe gesagt, was ich gesagt habe. Wenn Sie das kommentieren möchten, können Sie das jetzt tun.“

Mehrere Männer rufen: „Wann werden Sie damit aufhören? Wie lange soll das noch weiter gehen?“

Ein anderer Mann: „Wie lange wollen Sie damit noch weitermachen?“

Faezeh: „Weitermachen womit?“

Die Männer antworten gleichzeitig, jeder von ihnen benutzt einen der Ausdrücke „diese..“ „diese grüne..“, „Omavi-Bewegung“, „amerikanische Bewegung“. (Anm. d. Übers. aus dem Persischen: Die Bani Umayyah, die Omavi, waren Feinde der Bani Hashim, der Familie des Propheten. Sie deuten also an, dass die Bewegung sich gegen den Propheten und den schiitischen Islam richtet.)

Basij: „Sind Sie für diese Bewegung oder gegen sie?“

Faezeh: „Das ist meine Angelegenheit.“

Basij: „Sie behaupten, dass Sie heute zum Studieren hierhergekommen sind, aber die Türen waren geschlossen, also sind Sie zu den Studenten gegangen, um eine Rede zu halten?“

Faezeh: „Gehen Sie hinein und fragen Sie jeden, den Sie wollen, was ich hier gemacht habe.“

Basij: „Wen sollen wir fragen?“

Faezeh: „Irgendjemanden – die Verwaltung, Professoren, und so weiter.“

Basij: „Wir wollen aber Sie fragen. Sie stehen hier, wir können Sie fragen. Wir wollen eine Debatte führen.“

Faezeh: „Ich werde Ihnen nicht antworten. Ich möchte Ihnen nicht antworten. An einer Debatte müssen sich beide Seiten beteiligen. Ich habe das Recht darauf, keine Diskussion oder Debatte zu führen.“

Sie bestehen weiter darauf, eine „Debatte“ zu führen. „Warum sind Sie heute hergekommen? Um die Studenten aufzuwiegeln?“

Faezeh: „Ich hatte heute eine Lehrveranstaltung.“

Basij: „Zeigen Sie mir den Ausdruck [print] der Lehrveranstaltung“ (der Übersetzer aus dem Persischen ist sich nicht sicher, was mit „print“ gemeint ist)

Faezeh: „Wenn Sie eine Lehrveranstaltung haben, bewahren Sie den Ausdruck auf? Niemand tut das.“

Basij: „Haben Sie die Dokumente bei sich? Haben Sie einen Studentenausweis?“

Jemand ruft aus dem Hintergrund: „Haben Sie die Besitzurkunde für das Gebäude bei sich?“ (Anspielung auf die Gerüchte über Rafsanjanis Vermögen). „Immerhin ist dies das Land ihres Vaters, sie wird all dies erben.“

Ein anderer Basij: „Nein, keine Verleumdungen, keine Rohheiten. Tut ihre Sachen zurück ins Auto.“

Faezeh: „Sie können keine Gewalt anwenden. Sie können nicht…“

Ein Basij: „Gott sei Dank, sie hat angefangen zu sprechen – lasst uns alle Allah preisen!“

Als sie losfährt, rufen sie: „Schüttet Wasser hinter ihr aus!“ (Anm. d. Übers. aus dem Persischen: Man vergießt hinter einem Reisenden ein Glas Wasser, als Symbol für eine sichere Reise und eine sichere Rückkehr. Sie sagen es hier, um sich über sie lustig zu machen.)

Als sie wegfährt, sagt sie: „Seien Sie sicher, mit diesen Methoden werden Sie Ihre Ziele nicht erreichen.“

Alle zusammen rufen: „Sie etwa?!“

Zwischenstopp: Iranelection und Bürgerjournalismus

„Let’s help each other become more effective for those in Iran. We are here to support Iran and the Sea of Green; tweet responsibly and the people of Iran will be grateful. Thank you!“ *)

Menschen aus aller Welt sind seit Juni 2009 im Internet aktiv, um die Menschen in Iran in ihrem Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte zu unterstützen. Ein weltumspannendes und von viel gutem Willen getragenesInformationsnetzwerk hat sich etabliert.

Das Wort vom „Bürgerjournalismus“ hat die Runde gemacht. Viele von uns sind keine Journalisten. Auch ich nicht – ich musste viel lernen und lerne noch. Sicher habe ich bei der Auswahl meiner Quellen, die ich übersetzt habe, auch viele Fehler gemacht. Manche Quellen sind vertrauenswürdig, bei manchen ist man sich nicht sicher, wieder andere gelten als „no go“. Sich da zurechtzufinden ist keine leichte Aufgabe – erst recht nicht, wenn man die Sprache des Landes, um das es geht, selbst nur unzureichend oder gar nicht versteht

Als ich mit diesem Blog anfing, habe ich mir darüber bei weitem nicht so viele Gedanken gemacht wie heute. Vielleicht war das sogar gut so. Damals war die Situation anders, die Nachrichten konzentrierten sich auf weniger Bereiche und waren eindeutiger. Außerdem gab es damals täglich hochkarätige und verlässliche Nachrichten von NiteOwl/Josh Shahryar, an denen man sich orientieren konnte.

Jetzt, 8 Monate nach der Präsidentschaftswahl, ist eine selbstkritische Bilanz und Hinterfragung des eigenen Verhaltens für mich überfällig.

Dabei herausgekommen sind Leitlinien, die ich für mich selbst aufstelle und veröffentliche, für den Fall, dass andere sich dafür interessieren und vielleicht noch gute Ideen dazu haben.

Übrigens: Ich beziehe mich hier natürlich ausschließlich auf englischsprachige Quellen!

1. Je spektakulärer eine Nachricht klingt, desto mehr Zurückhaltung ist angesagt.
– Existiert die Nachricht lediglich in Form einer selbstgeschriebenen Notiz? Ist dort eine nachprüfbare Quelle angegeben?
– haben auch andere Seiten diese Nachricht veröffentlicht? Beziehen sich diese Seiten auf unterschiedliche Quellen, oder gehen alle Veröffentlichung auf eine und dieselbe Quelle zurück?
– Ist unter diesen anderen Seiten mindestens eine, die als offizielle Nachrichten- oder Menschenrechtsseite eingestuft werden kann?

2. Blogs und Webseiten – Es gibt viele seriöse, wie die von Josh Shahryar, homylafayette und vielen anderen. Aber:
– Nicht jeder Blog, der sich „Human Rights xyz“ nennt, muss notwendigerweise von einer seriösen Menschenrechtsorganisation betrieben werden.
– Nicht hinter jeder Webseite, die das Wort „Nachrichten“ im Namen führt, steht auch ein professionelles Journalistenteam.
– dieser Blog hier z. B. ist auch NUR EIN BLOG. Wer weiß schon, welche Person dahinter steht und was sie im Schilde führt? Da ist das eigene Urteilsvermögen gefragt.

Auch der Stil ist für mich ein Indikator. Wenn der Stil mich durch emotionalisierende Sprache, wertende Ausdrücke, dramatische Darstellung etc. unangenehm berührt und ich ein spontanes „Vorsicht“ in der Bauchgegend verspüre, dann nehme ich das im Zweifelsfall lieber ernst – und schaue nach, ob es die Nachricht auch noch woanders gibt.

3. Wurde die Nachricht von gut bekannten vertrauenswürdigen Tweetern bereits weiterverbreitet?
Wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich einen Tweeter als vertrauenswürdig einstufen soll oder nicht, kann ich prüfen, ob dieser Tweeter von schon bekannten vertrauenswürdigen Tweetern weiterverbreitet wird bzw. wurde. Wenn nicht, ist das für mich ein eindeutiges Signal.

4.  Ich frage Insider meines Vertrauens – Iraner, die ich gut kenne, deren Urteil ich vertraue, die sich auskennen, die ein Gefühl dafür haben, ob eine Nachricht eher unwahrscheinlich klingt oder ob sie im Bereich des Möglichen liegt. Viele Nachrichten können an ihrer Plausibilität gemessen werden, aber nur von Menschen, die das Land wirklich kennen. Wobei Iraner natürlich auch unterschiedliche Wahrnehmungen davon haben können, was wahrscheinlich ist und was nicht.

5.  Balatarin, Gooya etc. – Ich frage einen Iraner oder persischsprachigen Menschen meines Vertrauens, ob die Nachricht auf Balatarin besprochen wird und wie sie dort eingeschätzt wird. Oder ob sie auf Gooya zu finden ist. Beide Seiten sind gute Thermometer für die tatsächliche „Temperatur“ einer Nachricht.

6. Propaganda… kommt nicht immer beflaggt und mit Megaphon des Weges. Leider gibt es viel subtile „Propaganda“, oder auch einfach „Desinformation“ – und sie tut uns nicht den Gefallen, sich leicht zu erkennen zu geben. Propagandameldungen mischen sich zuweilen sehr unauffällig unter ansonsten glaubwürdiges und seriöses Material und Auftreten.

Hier gilt für mich: Bei jeder Nachricht Menschenverstand einschalten – und verifzieren. Im Zweifelsfall abwarten.

Es sind schon einige hochspektakuläre Meldungen nach wenigen Tagen im Sande verlaufen, weil sie nie bestätigt wurden. Da sollte man dann ruhig auch mal kritisch nachfragen.

7. Nicht jede Falschmeldung muss propagandistisch motiviert sein. Man sollte nicht jeden, der – wahrscheinlich aus Unkenntnis und unbeabsichtigt – eine Falschmeldung verbreitet, der Propaganda verdächtigen. Wahr ist aber auch, dass jede Weiterleitung einer Falschmeldung der Verbreitung von Desinformation Vorschub leistet und – wichtiger noch – den seriösen Informationsfluss verwässert, behindert und beschädigt.

8. Propaganda muss auch nicht immer destruktive und eindeutig manipulative Ziele verfolgen. Auch Konfusion und Verunsicherung, die entstehen, wenn immer wieder zweifelhafte, unbestätigte, beängstigende, schockierende, alarmierende Meldungen auftauchen, können sehr viel Schaden anrichten – und sei es nur, dass Meldungen insgesamt nicht mehr sehr ernst genommen werden, weil man ja „ständig so viel hört“.

9. Vorsicht mit Namenslisten von Todeskandidaten, Verhafteten, Hingerichteten etc.
Von einem Menschenrechtsaktivisten weiß ich, dass manchmal tage- und wochenlang recherchiert werden muss, bevor man mit Sicherheit weiß, ob ein Name auf so einer Liste wirklich stimmt. Oft stimmen Namen tatsächlich nicht.
Amnesty International macht da sehr gute Arbeit, und im Zweifelsfall schicke ich die Liste lieber an ai zur Prüfung, als dass ich sie unkritisch verbreite.
(Ich selbst habe einmal vor noch gar nicht langer Zeit eine solche Liste übersetzt – von Mitgefühl und Entsetzen übermannt. Genützt hat es vermutlich niemandem. Ob es jemandem geschadet hat, weiß ich nicht – aber die mühevolle Arbeit der professionellen Rechercheure habe ich damit nicht gefördert und honoriert.)

Vorsicht auch mit inflationären Aktionsaufrufen auf der Grundlage solcher Listen. Wenn Ban Ki-Moon den 200. Brief zu nicht verifizierten Namen gelesen hat, liest er den 201. vielleicht nicht mehr so aufmerksam, auch wenn gerade der es dann vielleicht wirklich nötig hätte.

10. Verbreite nur, was du a) selbst gelesen hast und b) wirklich verstehst – sowohl sprachlich als auch sinngemäß.

11. Hinterfrage Videos und Fotos. Im Sommer tauchte irgendwann auf Facebook und auf Balatarin ein Foto auf – die entsprechende Seite ist leider nicht mehr existent. Es stellte angeblich eine Szene der Straßenproteste in Iran dar. Irgendjemand erinnerte sich, das Foto schon einmal gesehen zu haben, und fand es im Internet wieder.

Das Foto:











Und (unter anderem) hier trifft man es wieder: http://www.boston.com/bigpicture/2009/07/the_honduran_coup_detat.html

Ein weiteres gutes Beispiel ist die Verbreitung des Fotos der „falschen Neda“ im Sommer 2009. Die Süddeutsche Zeitung hat in ihrem Magazin vom 5. Februar eindrucksvoll nachvollzogen, welche verheerenden Folgen Fehler bei der Verwendung von online-Material für einzelne Menschen haben können.

Beide Fälle tauchen auch auf diesem – leider nur auf Persisch erhältlichen – Posting auf, das sich um dasselbe Thema, nämlich die Verfälschung von Bilddokumenten dreht.

Ein willkürlich ausgewähltes Beispiel für ein Video:
Es begegnete mir am 21. Februar 2010 plötzlich auf Facebook. Es  war vom Absender auf Englisch so beschrieben: „Basiji forces holding gun in the street of Rasht City ( north of Iran) 11 Feb 2010“

Hier ist das Video:

Was ich dort sehe: 9 Sekunden lang verschwommene Bilder, die von Regentropfen auf der Kameralinse halb verdeckt werden.

Hier sollte man erst einmal Luft holen und sich vier Fragen stellen:
1. Woher weiß ich, dass es Rasht ist?
2. Woher weiß ich, dass es der 22. Bahman ist?
3. Sehe ich überhaupt eine Waffe?
4. Hat dieses Video überhaupt eine Aussage – wenn ja, welche – , oder besteht die einzige Aussage in der Überschrift?

Ich sehe vielleicht etwas, das eine Waffe sein könnte. Die ersten beiden Fragen kann ich nicht beantworten. Die vierte Frage sagt mir, ob das Video für mich interessant ist. Kommentarlos weiterleiten – auf keinen Fall.
Es muss ja nicht gleich „Propaganda“ sein. Aber wenn es keine Aussagekraft hat, wozu es dann verbreiten?

Hier zwei Kommentare unter dem Video (die mir freundlicherweise jemand übersetzt hat):
„Dieses Video ist fake, am 22. Bahman haben die Geschäfte geschlossen. Es sind einfach nur Leute, die dort entlang gehen […]“
„Man kann nicht feststellen, was die Menschen in der Hand haben. Der Film ist nicht klar. Ich habe keine Waffe gesehen“.
Interessant ist, dass bereits 15 Leute auf „like“ geklickt hatten, als diese Diskussion stattfand.

12. Wenn ich eine Nachricht für möglicherweise wahr halte und nicht sicher bin, ob sie bestätigt ist, sie aber trotzdem unbedingt verbreiten möchte, dann sage ich dazu, dass sie meines Wissens nicht bestätig ist. Diese Kultur gab es auf Twitter im Sommer nach meiner Beobachtung noch stärker als heute.

13. Es ist wirklich wichtig, die eigene Verantwortung für das, was man weitergibt, ernst zu nehmen. Es ist wichtig für die Menschen, für die wir das alles hier überhaupt tun. Nur sie zählen. Im Zweifelsfall halte ich einfach meinen Mund. Weniger ist manchmal mehr, und „gut gemeint“ ist manchmal das Gegenteil von „gut“.

14. Wie sagte Josh Shahryar sinngemäß einmal so schön:  „Trau niemandem außer deinem gesunden Menschenverstand. Trau nicht einmal mir!“





Einige Links zu (englischsprachigen) Posts zum Thema:

Das ewige Thema MKO
zu den MKO-Seiten gehört übrigens auch http://hambastegimeli.com/ – gut versteckt findet sich der Name Massoud Rajavi.


http://www.twitlonger.com/show/cbc71c14bba7fdf09ec71998408a3068
Inhalt:

Jaras (Rahesabz) a Green site but not Mousavi’s official site
Sahamnews is Karoubi’s official news site anything they print will be Karoubi’s position
Kalameh, close to Mousavi, is the site that would publish Mousavi’s statements first
Norooz is the Participation Front news outlet and supports Mousavi
Parleman news is the news agency for the Minority Faction of the Parliament & somewhat reformist
INA news agency is Mojahedin (MKO), many things reported by them cannot be confirmed anywhere else
IRIB + IRNA are official government news outlets
Farsnews is the semi official news outlet
Mousavi Facebook is run by a group of Mousavi supporters; is not an official Mousavi page
Similarly for Rahnavard and Karoubi FaceBook pages
Dasdara: Official Iranian Judiciary website


http://iran.whyweprotest.net/keeping-your-anonymity-iran/19417-twitter-commandments-liberation-iran.html

https://docs.google.com/Doc?docid=0Ad2rnGDpvbOyZGt2endia18yY3RmdDRiYzQ&hl=en
*) hieraus stammt das Zitat am Anfang dieses Eintrags