Veröffentlicht auf Radio Zamaaneh am 27. Februar 2010
Quelle (Englisch): http://www.zamaaneh.com/enzam/2010/02/mousavi-declares-spreadin.html
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin
Mir Hossein Mousavi zufolge besteht die wichtigste Strategie der Grünen Bewegung in der Ausweitung sozialer Netzwerke und der Verbreitung von Informationen. Er ermutigte die Anhänger der Bewegung, die benachteiligten Schichten der Gesellschaft im Rahmen des Leitmotivs „Jeder Bürger ist ein Medium“ mit Informationen zu versorgen.
In einem Interview mit der Webseite Kalemeh rief der Oppositionsführer die Regierung auf, der Grünen Bewegung eine [Demonstrations-] Erlaubnis zu erteilen und die nach den Wahlen verbotenen Tageszeitungen „Kalameh Sabz“ und Etemad-e Melli“ wieder zu erlauben.
Mir Hossein Moussavi erklärte, den anhaltenden „Abweichungen“ bei den nationalen Sendern, Seda va Sima, aber auch dem Verbot von Zeitungen und der Verhaftung von Journalisten könne man nur mit der Strategie „Jeder Bürger ist ein Medium“ entgegenwirken.
Er verurteilte die Blockade von Medienkanälen und die Hacker-Angriffe auf bzw. Filterung von Internetseiten und erklärte, die Präsenz „grüner“ Fernseh- und Radiosender würde das System und die nationale Einheit nur stärken.
Die Protestbewegung rief Moussavi dazu auf, ihre Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und nicht in „Gewohnheit und Passivität“ zu verfallen.
Er unterstrich, die Anhänger der Grünen müssten wissen, dass die Standpunkte einiger weniger extremistischer und eigennütziger Geistlicher „nicht die Meinung der gesamten Geistlichkeit repräsentieren“; sie [die Anhänger der Bewegung] dürften „nicht in die Falle tappen, die darauf abzielt, die Geistlichkeit und die Bewegung voneinander zu entfernen.“
Er fügte hinzu, wahre Geistliche würden keine „Obszönitäten“ von sich geben, wenn Sie über andere Menschen sprechen. Wahre Geistliche unterstützen weder das Töten noch das Verhaften von Menschen, und sie unterschieden zudem „zwischen den Interessen des Islam einerseits und der Nation, die sich gegen die Interessen einer [einzigen] Fraktion ausspricht, andererseits.“
Moussavi, der ehemalige Leiter der Akademie der schönen Künste, betonte, dass die „Präsenz der Geistlichkeit in der Grünen Bewegung unerlässlich“ sei.
Zu den Ereignissen vom 11. Februar sagte Mir Hossein Moussavi, die Demonstrationen an diesem Tag seien „konstruiert“ gewesen und somit kein Grund für die Regierung, sich „bestätigt“ zu fühlen.
Am 11. Februar wollten Kritiker des vermuteten Wahlbetrugs bei den Präsidentschaftswahlen im Juni wieder auf die Straße gehen, so wie sie auch in den vergangenen 10 Monaten mehrfach offizielle Ereignisse für Demonstrationen genutzt hatten, um ihrem Protest gegen den Wahlbetrug sowie ihrer Forderung nach Gerechtigkeit Nachdruck zu verleihen. Regierungstreue Kräfte gingen hart gegen die Protestteilnehmer vor und verhinderten, dass sie sich versammeln konnten. Berichten zufolge hatten sie zudem aus allen Teilen des Landes Regierungsanhänger in die Hauptstadt transportieren lassen, um eine Demonstration der Macht zu inszenieren.
Moussavi, der das Ergebnis der Präsidentschaftswahl anzweifelt, erklärte: „derartige inszenierte Versammlungen geben keinen Anlass, stolz zu sein – sie ähneln dem despotischen Denken und der Politik vor der Revolution“ – eine Anspielung auf die Monarchie, die durch die Islamische Republik ersetzt worden war.
Er erklärte: „Die Regierung hat keine Kosten gescheut, um unzählige Busse und Bahnen aus dem ganzen Land in verschiedenen offiziellen Formen dafür zu nutzen, die Präsenz der Grünen Bewegung an diesem Tag zu entschärfen.“ Er fügte hinzu, die dichte Präsenz von Sicherheitskräften und Militär sowie deren „brutales und gewalttätiges“ Vorgehen seien beispiellos gewesen.
Insbesondere verurteilte er die Angriffe auf Mehdi Karroubi und Mohammad Khatami, die beiden Oppositionsführer, die von mit Macheten und Knüppeln bewaffneten Banden angegriffen worden waren. Er erklärte sich verwundert darüber, dass die Regierung offenbar beabsichtigt, die Situation dadurch zu lösen, dass sie Menschen Angst einjagt.
Er äußerte die Vermutung, dass die Regierung die Zahl und das soziale Ausmaß der Anhängerschaft der Grünen Bewegung fürchtet, was erklären würde, warum sie so vehement dagegen ist, dass sich die Bewegung versammelt.
Der Oppositionsführer betonte nochmals, dass freie Wahlen, Freilassung der Gefangenen und Freiheit der Medien sowie die Beendigung der gegenwärtigen Atmosphäre der Überwachung die einzige Möglichkeit seien, das Regime vor einem Verlust seiner Legitimität zu bewahren. Er erklärte, jeder Schritt hin zu einer Umsetzung der Rechte des Volkes sei alles andere als ein Zeichen von Schwäche, sondern werde im Gegenteil von der Stärke der Islamischen Republik künden.
Er erklärte: “ Unser Volk kann sehr wohl unterscheiden zwischen barmherziger Frömmigkeit und Machttreibereien im Gewand der Religiosität.“
Weiter sagte Moussavi: „Unser Volk will nicht, dass ihre Briefe, Botschaften und Telefongespräche überwacht werden. Es will nicht, dass die Mehrheit ihrer nationalen und wirtschaftlichen Vorhaben durch Privatisierung den Revolutionsgarden und den teilweise der Regierung gehörenden Organisationen in die Hände gespielt werden. Es will nicht, dass unsere Lehrer und Arbeiter geschlagen und angegriffen werden, weil sie ihre Rechte einfordern. Es will nicht, dass unsere Frauen beleidigt werden, wenn sie ein Ende der Diskriminierung fordern.“
Mit Blick auf Gerüchte, dass für den letzten Dienstag des iranischen Jahres, das Fest Chaharshanbeh Souri, weitere Demonstrationen geplant seien, sagte Moussavi abschließend, dieses Fest des „Lichts gegen die Dunkelheit“ sei Teil des Volkserbes, und obwohl die Anhänger der Grünen ihre nationalen und religiösen Symbole und Ereignisse sehr schätzen, sei es nicht ihr Wunsch, mit diesen Ereignissen Vorwände zu liefern, unter denen Menschen schikaniert und drangsaliert werden. Das iranische Jahr endet am 21. März.
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Weitere Kernpunkte der Erklärung Mir Hossein Moussavis aus der englischen Zusammenfassung auf Facebook
– [zu den Ereignissen vom 11. Februar 2010] Die brutalen Agenten konnten nicht einmal hinnehmen, wenn ein junger Demonstrant ein grünes Hemd trug oder ein Geistlicher eine grüne Gebetskette bei sich trug.
– Herr Karroubi und ich haben in unserer gemeinsamen Beratung beschlossen, unseren Vorschlag von früher zu wiederholen, dass die Regierung der Grünen Bewegung erlauben möge, zu einer Versammlung gemäß Artikel 27 der Verfassung einzuladen. Wie diese Einladung vom Volk angenommen wird, kann die Gerüchte beenden helfen.
– [Zum „Stolz“ der Regierung über die große „Unterstützung“ durch das Volk am 11. Februar 2010:] Wirklichen Anlass zum Stolz geben die spontanen Versammlungen der Menschen, wie z. B. bei der Demonstration am 15. Juni und den Ereignissen danach, und nicht inszenierte oder vielleicht sogar erzwungene Kundgebungen, für die man auf riesige finanzielle Ausgaben und eine terrorartige Sicherheitsatmosphäre baut.
– Das Ziel der Grünen Bewegung war von Anfang an eine Reform innerhalb bestimmter Grenzen. Wir haben die Farbe Grün als gemeinsamen Nenner gewählt.
– Die Grüne Bewegung steht fest zu ihren gerechten Forderungen.
– Die Anhänger der Bewegung des Grünen Weges sind stolz darauf, Iraner zu sein. Sie sind stolz auf alles, was diese Identität symbolisiert. Auf Grund dieser Mentalität und Ideologie ist es für uns äußerst verdächtig, wenn die Farben der Landesflagge verändert werden. Dies ist für uns der stärkste Beweis eines fehlenden Interesses für die Pflege nationaler Interessen, Werte und nationalen Erbes [Anm. d. Übers.: der englische Wortlaut: „we find it the strongest proof for the lack of interest among a certain cult for the national interests, values and heritage“]
(Moussavi spielt darauf an, dass die Regierung die Farbe Grün in der Landesflagge durch Blau zu ersetzt. Dies ist bisher bei drei öffentlichen Anlässen geschehen).
– Die Grüne Bewegung sollte immer wieder und unter allen Umständen die Forderung nach freien, unter echten Wettbewerbsbedingungen und ohne Vorauswahl stattfindenden Wahlen betonen (bezieht sich auf den Wächterrat, der jeden Kandidaten für eine Wahl disqualifiziert, der auch nur die geringsten Abweichungen von der Linie der Hardliner erkennen lässt.)
– Man ist nicht „Grün“, weil man entsprechende Kleidung und Symbole trägt, sondern auf Grund von Verhalten und Ethik.
Danke für die Zusammenfassung des Mousavi-Interviews!
Auf der Website von Pedestrian wird die Frage der Übersetzung des persichen Wortes „ferghe“ angesprochen. Sie kommt – im Unterschied zu der Übersetzung von Tehranbureau et alii – mit Khordad88 zu dem Schluss, dass dieses Wort eher als „Clique“ denn als „Cult“ zu begreifen und zu übersetzen ist. Entsprechend heißen die beiden (englisch übersetzten) Textstellen, um die es in der hier oben abgedruckten Textzusammenfassung geht:
„This [current] ruling establishment is a clique which strives to rob the very meaning of being Iranian and national solidarity.“
“ … we see this [this changing of the color] as a clear sign of the lack of concern of this current ruling establishment for our national interests, values, and culture.“
http://www.sidewalklyrics.com/?p=4358
„..among a certain cult…“
Manche warten seit Jahren darauf, das Wesen dieses Kults endlich mal im Innern des Iran beleuchtet zu sehen. Moussavi ist der erste Prominente, der es deutlich ausspricht: hier ist eine Sekte am Werk, die sich um Werte nicht schert.
Es geht vermutlich um die Hojjatieh-Gesellschaft und ihren Einfluss auf Regierungskreise.
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