Tagesarchiv: 15. April 2010

Luta continua – Der Kampf geht weiter

Veröffentlicht bei RAHANA am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.rhairan.info/en/?p=2618

Die Stagnation in der Wirtschaft, die Unsicherheit im Industriesektor und die negativen Auswirkungen der Regierungspolitik auf die Lebensbedingungen von Arbeitern geben Anlass zu großer Sorge. Dennoch gibt die Aussicht auf neue Proteste und Organisationen der iranischen Arbeiterbewegung Hoffnung.

Iranische Arbeiter starten mit großen Herausforderungen in das neue persische Jahr. Die Abschwächung der Wirtschaft und Unsicherheit im industriellen Sektor und Regierungspolitik, die die Lebensumstände der Arbeiterschaft verschlimmert, sind Ursachen für extreme Sorgen im Land.

Aussichten auf neue Proteste und Organisationen öffnen neue hoffnungsvolle Perspektiven für die iranische Arbeiterbewegung.
Viele iranische Arbeiter sind schon mit Entlassungen und Werksschließungen nach den Neujahrsfeiertagen konfrontiert. Hassan Sadeghi von der Arbeiterkammer“ zufolge ist die Zahl der Kündigungen allein in Teheran um 49% angestiegen im Vergleich zum letzten Jahreswechsel. Über das ganze Land gesehen liegt diese Quote bei über 50% und dies gilt (sogar) nur für die der Arbeitsverwaltung gemeldeten Fälle. Wenn man die Zahl der Menschen betrachtet, die ohne Einschaltung der

Arbeitsverwaltung eine Abfindung auf individueller Basis erreichen, kann diese Quote auf mehr als 70% ansteigen, sagt der Repräsentant der Arbeiterkammer, Sadeghi. Ein Vertreter des Arbeitsministeriums erwähnt, daß er allein täglich 40 bis 50 Fälle sähe, in denen Arbeitnehmer aus dem einen oder anderen Grund gekündigt worden seien.

Der Rückgang der Wirtschaft, steil ansteigende Importe, Korruption im Regierungsapparat und fehlgeleitete Politik haben das Risiko für Investitionen im industriellen Sektor derart ansteigen lassen, daß viele Unternehmen folgerichtig ihre Belegschaften reduziert haben. Die Senkung von Subventionen, die im Parlament diskutiert (und beschlossen) wurden, haben zum Anstieg der Energiepreise und zu einer hohen Inflationsrate geführt. Diese und andere Maßnahmen der Regierung wie die Änderungen des Arbeitsrechts und der Ruhestandsregelung, sowie das fehelende Bekenntnis der Regierung, ihren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu leisten, sind Ursache von Verunsicherung in der Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik stellt sehr stark auf Importe ab und begünstigt gut verdrahtete Sektoren einschließlich derer, die mit den Revolutionsgarden verbunden sind, verbunden mit erheblichen Krediten des Bankensektors, was für die privaten Unternehmen nur Lohnkürzungen übrig lässt, und ist damit unter den Faktoren, die sich ungünstig auf den industriellen Sektor auswirken. Die Importe sind auf 70 Milliarden US$ angestiegen, dazu kommen 20 bis 30 Milliarden US$ an geschmuggelten Gütern. Hinzu kommen der politische Umbruch im Land, Aussichten auf verstärkte Sanktionen und eine abenteuerliche Politik – alles Gründe dafür, daß der Produktionssektor einen Niedergang erlebt.

Ahmadinejads Administration hat eine Politik in Gang gesetzt, die dauerhafte Arbeitsverträge durch Zeitverträge ersetzt, die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Versicherung ihrer Arbeitnehmer reduziert und Arbeitnehmerproteste kontrolliert. Die Arbeitgeber haben dies genutzt, um Arbeitnehmer unter Umgehung des Rechts zu entlassen. Ein Beispiel hierfür ist die Supermarktkette Hyperstar, die Mitte März 110 Beschäftigten gekündigt hat. Hyperstar in eine Joint-venture der riesigen französischen Einzelhandelskette Carrefour, die 25% hält, und eines Investors aus den Emiraten, der die restlichen Anteile hält. Diese Kette hat seit August 2009 einen Supermarkt in Teheran betrieben und plante, weitere Läden zu eröffnen. Irans „Organisation für wirtschaftliche und technische Unterstützung und Investment“, eine Einrichtung der Regierung, die ausländisches Investment ins Land holen soll, verteidigt in einer Stellungnahme Hyperstars Vorgehen: „Diese Gesellschaft hat ihre Belegschaft nicht entlassen, sondern handelte vertragsgerecht; und wenn ein Zeitvertrag abgelaufen ist, ist sie nicht verpflichtet, diesen zu verlängern.“

Ein anderes Beispiel ist die Teheraner U-Bahn-Gesellschaft, die 50 Arbeitsverträge nicht verlängert hat. Die Beschäftigten waren in verschiedenen Bereichen tätig wie Sicherheit, Fahrkartenkontrolle, Kontrolle der Terminals und Fahrkartenverkauf, und waren länger als 5 Jahre dort angestellt. Die entlassenen Arbeitnehmer haben um Wiedereinstellung und Arbeitslosengeld ersucht. Bisher gibt es immer noch keine Reaktion auf ihre Situation.

Khameneh Textiles, Tehran Azmayesh und Iran Telecommunication Industries sind Beispiele von Unternehmen, die ihre Beschäftigten wegen Zahlungsschwierigkeiten und heftigen import-Wettbewerbs gekündigt haben. Die Zündholzfabrik Tabriz Tavakoli hat 49 Beschäftigte wegen Marktanteilsverlusten entlassen. Das Unternehmen, das einst 400 Beschäftigte hatte, beschäftigt jetzt noch 130. Ghou Cooking Oil Factory entließ 70 Arbeitnehmer.

Die Provinz Qazvin beheimatet mehrere industrielle Zentren. Arbeitnehmer vieler Produktionsbetriebe wurden im März aufgefordert, ihre Arbeitsplätze bis Mitte April nach den Neujahrsfeiertagen zu räumen. Darunter waren Beschäftigte von Pousineh Baft, Roukesh Choobi, Far Nakh und Mah Nak, Alborz China und Kiseh, die ihre Stammbelegschaft gebeten hatten, durchzuhalten. Das Management dieser Gesellschaften zahlte die Löhne aus und bat dann darum, nach Neujahr nicht wiederzukommen. Der Chef der Arbeiterkammer in Qazvon berichtete, daß in manchen dieser Betriebe die Löhne zwischen 6 und 10 Monaten ausstanden. Während in einigen Betrieben Mangel an Vormaterial, Kapital oder Auftragsmangel die Gründe für die Schließungen sind, planen andere bereits Insolvenzverfahren oder Geschäftsaufgabe. Rohstofmangel war auch der Grund für die Schließung des Werks 1 im Metallindustrie-Komplex in Teheran Mitte April.

Weiterhin veranstalteten einige Beschäftigte der Textilfabrik Kerman Bafthe ein Sit-in am Wohnhaus des Provinzgouverneurs. Sie protestierten gegen ihre Entlassung nach dem Ende ihrer Kontraktperiode Anfang April, wobei 100 Arbeitnehmer arbeitslos wurden. Sie verlangten, die Fabrik wiederzueröffnen. Obwohl die meisten Beschäftigten länger als 10 Jahre in dieser Fabrik arbeiteten und wegen der hohen Luftverschmutzung an Atemwegserkrankungen leiden, ist das Management nicht bereit, hierfür Entschädigungen oder Renten zu zahlen. Die Arbeitnehmer reklamieren, daß das Management versuche, das Fabrikgelände als Wohnbaugebiet zu verkaufen.

Mehr als 400 Beschäftigte der Sasan Soft Drink Company wurden gerade vor dem Jahreswechsel entlassen, manche von ihnen nach 12 Jahren Beschäftigungsdauer. Auf Beschwerde beim Arbeitsministerium wurde den Arbeitnehmern mitgeteilt, die Kündigungen seien genehmigt worden. Sie sollten Formulare unterschreiben, um zwei Monatsgehälter von ihrem rückständigen Lohn zu erhalten. Sonst sollten sie ohne jede Zahlung entlassen werden. Die Formulare besagten, daß die Arbeitnehmer selbst gekündigt hätten und alle rückständigen Löhne bezahlt seien. Die Arbeitnehmer unterzeichneten die Ausgleichsquittungen aus Verzweiflung. Eine andere Limonadenfabrik, Khoramnoush in Khoramshar, einst eine der größten im mittleren Osten, feuerte ihre Belegschaft und beendete ihre Geschäfte zum Jahreswechsel.

In Qom protestierten 50 Beschäftigte der Hamid China Factory im Büro für Arbeits- und Sozialangelegenheiten der Provinz am 15. April und verlangten ihre ausstehenden Löhne und Gehälter. Nur einem Arbeitnehmer wurde erlaubt, den Büroleiter zu sprechen. Die Arbeiter wurden aufgefordert, ihre Beschwerden schriftlich einzureichen, damit er die Bemühungen der Sozialverwaltung koordinieren könne. Die Hamid Factory wurde vor zwei Jahren geschlossen und die Ansprüche der Arbeitnehmer wurden in dieser ganzen Zeit noch nicht erfüllt. Einige der Beschäftigten waren 18, 19 oder 20 Jahre dort tätig. Bisher haben sie noch keinen Rentenbescheid erhalten. Sie forderten, die Fabrik selbst übernehmen und profitabel machen zu können.

Ein weiterer Fall ist der der Beschäftigten von Ahwaz Water and Sewage, die ihre Lohnzahlungen für die letzten drei Monate nicht bekommen haben. Laut einem Arbeitnehmervertreter hatten sie zwei Streiks veranstaltet, wurden aber mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht. So mußten sie an die Arbeit zurückkehren.

Es gibt Berichte, nach denen 150 Beschäftigte der Arak Industrial Company am 10. April einen Protestzug vor dem Präsidentenpalast organisierten. Sie sind seit 6 Monaten nicht mehr bezahlt worden und einige erhielten drei Jahre lang leidglich Arbeitslosenunterstützung bis zu ihrem Ruhestand. Dies bedeutet, daß sie keine Pension bekommen.
Am 11. April veranstalteten 100 Beschäftigte des Fars Meat Complex einen Protest vor den Toren der Gesellschaft gegen Kündigungen und Kürzungen ihrer Betriebsrenten. Dieser Komplex mit einst 1400 Beschäftigten entließ die letzten 90 und schloß die Tore. Die Arbeitnehmer geben dem Management die Schuld am Niedergang des einst blühenden Unternehmens.
Zusätzlich gab es einen Protest von 60 Arbeitnehmern vor einer Backfabrik bei Malard Karaj, westlich von Teheran.

Und die Arbeiterproteste gehen weiter.

Deutsche Übersetzung: Günter Haberland, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Mottareh Bahrami (verhaftet an Ashura) zum Tode verurteilt

Veröffentlicht bei RAHANA am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.rhairan.info/en/?p=2583
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte angeben
(Anmerkung d. Übers.: m. W. ist diese sensible Nachricht noch nicht offiziell bestätigt)

Die an Ashura verhaftete Gefangene Mottahaeh Bahrami ist Berichten zufolge zum Tode verurteilt worden.

RAHANA – Mottahareh Bahrami, die zunächst mit inhaftierten Baha’is und Medienmitarbeitern zusammen in Abteilung 209 von Evin festgehalten worden war, befindet sich zur Zeit im Frauengefängnis von Evin. Bahrami war am 27. Dezember 2009 (Ashura) zusammen mit ihrem Ehemann, ihrem Sohn und zwei Freunden verhaftet worden. Sie wurde wegen angeblicher Verbindungen zur MKO zum Tode verurteilt. Zur Zeit wird ihr Fall von einem Berufungsgericht geprüft. Mohsen und Mehdi Daneshvar sind der Ehemann und der Sohn von Mottahereh. Sie und eine Freundin der Familie namens Rayhaneh Haj Ebrahim waren zusammen mit Mottahereh verhaftet worden.

Jahrestag der öffentlichen Proteste rückt näher: Angst bei der Regierung – Angriffe gegen Moussavi

Veröffentlicht bei Rooz Online am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.roozonline.com/english/news/newsitem/article/2010/april/15//government-in-fear-attacks-mousavi.html
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Eine Woche, nachdem der reformorientierte Präsidentschaftskandidat Mir Hossein Moussavi angekündigt hatte, „weiterzumachen, bis die Herrschenden zur Verfassung zurückgekehrt sind“, sollte Irans Regierung nicht beginnen, das Gesetz zu respektieren, hat die wöchentliche Publikation des mächtigen Politbüros der Pasdaran-Revolutionsgarden (IRGC) Moussavi bezichtigt, Tricks anzuwenden. Andere regierungstreue Medien schrieben über die steigende Wahrscheinlichkeit neuer öffentlicher Proteste und die Notwendigkeit, ihnen zu begegnen.

Die IRGC-Publikation Sobh Sadegh reagierte auf die jüngsten Äußerungen der Führer der grünen Reformbewegung in Iran Mir Hossein Moussavi, Mehdi Karroubi und Mohammad Khatami, und warf ihnen vor, mit Tricks zu arbeiten. „Nachdem die Politik des Chaos versagt hat und die Öffentlichkeit sich letztes Jahr gegen Heuchler und Saboteure stellte, ist die Politik der Tricks von den Oppositionellen wieder in die Agenda aufgenommen worden“, so die Publikation. Der Leitartikel geht noch weiter und beschuldigt alle Regierungen vor Ahmadinejad, an der Entstehung der gegenwärtigen Situation im Land aktiv beteiligt gewesen zu sein. „In seiner letzten Rede an seine Anhänger versuchte Moussavi nochmals, seine Zuhörer über die Situation im Land zu täuschen und mit dem Finger auf die Regierung Ahmadinejad zu zeigen, ganz so, als hätte das Land in den 24 Jahren der Führung durch Moussavi, Hashemi und Khatami keine Probleme gehabt und sämtliche Probleme seien mit dem Erscheinen Ahmadinejads schlagartig entstanden“, heißt es dort.

Das Büro schreibt, dass die Tricks und die Desinformation von der Opposition schon vor der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 2009 geplant worden seien, um die Oppositionskandidaten zu installieren. Moussavi manipuliere offizielle Statistiken zu seinen eigenen Gunsten und um die Öffentlichkeit zu täuschen. Ein Beispiel dafür seien die Inflationsstatistiken. Der Artikel bezeichnet diesen Ansatz als sinnlos und zum Scheitern verurteilt.

Gleichzeitig veröffentlichten die iranischen Zeitungen Raja News (regierungsnah) und Javan (IRGC-nah) in ihren Ausgaben vom Dienstag ebenfalls ähnliche Geschichten. Darin heißt es, die Reformer hätten bei einem ihrer Treffen beschlossen, „die Zeit zwischen dem 12. Juni 2010 (dem Jahrestag der umstrittenen Präsidentschaftswahl) und dem 9. Juli 2010 zu nutzen und Chaos zu verursachen.“

Die Furcht der Regierung vor möglichen öffentlichen Protesten am Jahrestag der umstrittenen Wahl von 2009 geht so tief, dass Regierungsanhänger sogar behauptet haben, die Gegenseite habe den 15. Juni 2010 zum Beginn einer neuen, mächtigen Protestwelle in Koordination mit zwei wichtigen studentischen Gruppen bestimmt.

Dr. Maleki spricht über die vergessenen Kinder der Grünen Bewegung

Veröffentlicht bei RAHANA am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.rhairan.info/en/?p=2614
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

„Ich bin sehr enttäuscht. Diese eingesperrten Kinder bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen – vor allem die unbekannten Studenten.“

RAHANA – Dr. Mohammad Maleki ist ein ehemaliger Kanzler der Teheran-Universität. Sowohl vor als auch nach der Islamischen Revolution von 1979 war er als politischer Gefangener inhaftiert. Nach der Islamischen Revolution war er 5 Jahre im Gefängnis, weil er gegen die Kulturrevolution war, die zur Schließung von Universitäten im gesamten Land führte. Im Jahre 2000 wurde Dr. Maleki in einem von den National-Religiösen Aktivisten organisierten Treffen erneut verhaftet (der Ausdruck „national-religiös“ wird für Anhänger der Iran National Front verwendet.)

Nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom Juni 2009 wurde der an Krebs erkrankte [ehemalige] Kanzler wieder verhaftet. Direkt aus seinem Bett heraus wurde er ins Evin-Gefängnis gebracht, wo er bis zu seiner Freilassung am 1. März blieb. Ein Verfahren gegen ihn ist anhängig.

Es folgt die englische Übersetzung eines Interviews, das Radio Zamaaneh mit Dr. Maleki führte.

Maleki: Gestern wurde mir von meinen Anwälten mitgeteilt, dass sie sich mit dem Richter getroffen und sein Einverständnis bekommen haben. Sie hatten Dokumente über meinen Gesundheitszustand mitgebracht, die beweisen, dass ich weiter in Behandlung bleiben muss. Der Richter erklärte sich mit der Verschiebung meiner Verhandlung einverstanden und sagte, das neue Datum werde uns mitgeteilt.“

Radio Zamaaneh: Sie wollen damit sagen, dass Sie während Ihrer Inhaftierung nicht über die Anklagen informiert wurden, die gegen Sie erhoben wurden?

Maleki Nein, ich habe keine Anklagen zu Gesicht bekommen. Ich werde angeklagt, den Führer beleidigt und gegen die nationale Sicherheit gehandelt zu haben, aber ich habe weder die Anklageschrift noch ihren Inhalt gesehen. Die Anwälte und der Richter haben gesagt, das wären die Anklagepunkte.

Radio Zamaaneh: Herr Maleki, Sie haben gesagt, dass Sie an einer geschlossenen Verhandlung nicht teilnehmen werden. Machen Sie sich keine Sorgen, dass sich das negativ auf Ihren Fall auswirken und zu einem härteren Urteil führen könnte? Warum haben Sie sich dazu entschlossen?

Maleki: Es macht keinen Unterschied, ob ich anwesend bin oder nicht. Es wird ein Tag kommen, da dieses Land zumindest seine eigene Verfassung respektiert. Die Dinge können so nicht bleiben – 30 Jahre nach der Revolution wird einer der wichtigsten Teile der Verfassung noch immer nicht respektiert. Die Verfassung spricht explizit davon, dass politische Fälle von einer Jury in offenen Gerichtsprozessen und unter Anwesenheit der Medien behandelt werden müssen.

Damals, im Jahre 2000, als ich mit national-religiösen Aktivisten zusammen verhaftet wurde, habe ich gesagt, dass ich beim Prozess nicht anwesend sein würde, weil ich ihn für illegal hielt. Ich finde, diese Frage sollte ein für alle Mal geklärt werden. Entweder respektieren wir die Verfassung als Ganzes, oder wir halten uns nur an die Teile, die uns genehm sind und die Interessen des Regimes garantieren. Es gibt Regelungen in der Verfassung, die die Rechte der Menschen garantieren, und diese Regelungen müssen respektiert werden.

Ich brauche gar nicht zu erwähnen, dass diese Rechte bei Verhaftungen und Verhören verletzt werden unter dem üblichen Vorwand, dass politische Vergehen vom Gesetz nicht definiert sind. Warum ist das mein Problem als Angeklagter? Seit der Revolution bin ich drei Mal dafür verhaftet worden, dass ich antirevolutionär bin. Antirevolutionär sind diejenigen, die das Gesetz brechen, das sie selbst als ein Kind der Revolution bezeichnen. Wie kann ich da dem Prozess beiwohnen? Gestern sollte eine Anhörung stattfinden, aber ich kenne die Anklageschrift nicht und durfte nicht lesen, was gegen mich vorgebracht wird.

Radio Zamaaneh: Herr Maleki, Sie waren zum Zeitpunkt Ihrer Verhaftung in einer schlechten körperlichen Verfassung. Sie waren während Ihrer gesamten Haft krank und wurden zeitweilig in ein Krankenhaus eingeliefert. Wie geht es Ihnen jetzt?

Maleki: Körperlich geht es mir unverändert. In den sechs Monaten, die ich dort war, konnte ich die Spritzen, die ich brauche, nicht bekommen, und habe infolgedessen Schmerzen und Beschwerden gehabt. Seit meiner Freilassung habe ich zwei Spritzen bekommen, und es geht mir jetzt etwas besser. Allerdings habe ich das Gefühl, dass mein psychologischer Zustand sich seit meiner Freilassung im Vergleich zu vorher verschlechtert hat.

Radio Zamaaneh: Können Sie uns sagen, warum Sie sich emotional jetzt schlechter fühlen als im Gefängnis?

Maleki: Ich mache mir Sorgen um diese Kinder. Es gibt so viele unbekannte und anonyme Studenten im Gefängnis, und niemand denkt an sie. Niemand macht sich klar, dass sie die Kinder dieses Landes sind. Welches Verbrechen haben sie begangen? Irgendwann muss das angesprochen werden. Leider hat nicht nur das Regime daran keinerlei Interesse, sondern auch die Freunde der Grünen Bewegung habe ich selten entschlossen für ihre Verteidigung eintreten sehen. Man muss eine Entscheidung über sie treffen, sie haben ein Leben und ein Studium, zu dem sie zurückkehren müssen, ihre Familien warten jeden Tag vor dem Evin-Gefängnis auf sie. Das sind Dinge, die mir mehr Schmerzen bereiten als der Krebs.

Radio Zamaaneh: Herr Maleki, Sie waren während der Wahl nicht aktiv. Sie hatten gesagt, dass Sie nicht daran glauben und sich nicht daran beteiligen. Dennoch stand Ihre Verhaftung in Verbindung mit den Ereignissen nach der Wahl. Wie sehen Sie diese Wahl zur Zeit?

Maleki: Wie Sie sagen, war ich während der Wahl überhaupt nicht aktiv. Erstens war ich krank, und zweitens glaube ich nicht an eine Wahl, bei der man sich zwischen ein paar vom Wächterrat ausgesuchten Kandidaten entscheiden muss. Ich wurde am 22. August verhaftet, also war ich im Gefängnis, als die meisten dieser Ereignisse passierten. Ich war in den ersten drei Monaten in Einzelhaft, ohne Zeitung oder Fernsehen. Bis ich in die allgemeine Abteilung verlegt wurde, wusste ich nichts von dem, was sich außerhalb des Gefängnisses ereignete.

Als ich dorthin (in die allgemeine Abteilung) verlegt wurde, bekam ich einige Informationen, aber seit meiner Freilassung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass all die alten Probleme weiterhin existieren. Die Teilung in Insider und Outsider bleibt bestehen. Niemand denkt an diese Kinder. Was mir an den Anhängern der Grünen Bewegung oder der Reformbewegung aufgefallen ist, ist, dass sich ihr Verhalten anderen gegenüber nicht wesentlich geändert hat. Sie behalten ihre Outsider/Insider-Kultur bei. Die, die so sind wie sie, werden aufgenommen, die anderen bleiben draußen.

In den eineinhalb Monaten seit meiner Freilassung bin ich vielleicht zehn Mal draußen gewesen, meistens im Krankenhaus oder bei meinem Arzt. Ich habe versucht, nicht viel Kontakt mit anderen zu haben und habe mich nicht dafür interessiert, was geschieht. Die Menschen haben sich in dieser Zeit nicht viel verändert, sie sind so, wie sie vorher waren. Unsere Elite hat immer noch ihre egozentrische und selbstsüchtige Kultur.

Radio Zamaaneh: Sie scheinen enttäuscht zu sein von den Führern der Grünen Bewegung.

Maleki: Ich bin extrem enttäuscht. Diese eingesperrten Kinder bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen, vor allem die unbekannten Studenten. Ich kenne viele von ihnen und habe sie im Gefängnis gesehen, aber auf den Webseiten werden sie nicht erwähnt. Sie sind seit Monaten im Gefängnis, manche von ihnen sind zu vier- bis fünfjährigen Haftstrafen verurteilt worden – ohne Grund.

Manchmal erwähnen sie (die Grüne Bewegung oder die Reformer) diese Studenten, aber sie treten niemals entschlossen für sie ein. Die Art, wie Herr Sahabi – Gott segne ihn – vor wenigen Tagen auftrat, habe ich wirklich genossen. Sein Brief erzählt die schmerzliche Geschichte in unser aller Namen. Wir haben einige Jahre auf dem Buckel und haben sowohl vor als auch nach der Revolution sehr gelitten. Wir haben die Gefängnisse des Schahs gesehen und die der Islamischen Republik. Diese Kinder sind unsere Kinder. Sie sind nicht aus irgendeinem anderen Land gekommen. Sie sind die Kinder dieses Landes, die etwas zu sagen hatten und es gesagt haben. Selbst wenn sie ihre Worte in den Universitäten oder außerhalb herausgeschrieen hätten, würde das nicht rechtfertigen, wie mit ihnen umgegangen wird.

Iranische Journalisten verfassen offenen Brief an Justizchef

Veröffentlicht bei hRadio Free Europe/Radio Liberty am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.rferl.org/content/Iranian_Journalists_Pen_Open_Letter_To_Judiciary_Chief/2013131.html
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Irans Justizchef Ayatollah Sadegh Larijani während einer Rede in der Expertenversammlung im Februar

Über 100 iranische Journalisten und Blogger haben in einem offenen Brief an Irans Justizchef die sofortige Freilassung ihrer inhaftierten Kollegen gefordert. Dies berichtet Radio Farda von RFE/RL.

Der am 10. April veröffentlichte und von vielen Rechtsanwälten unterstützte Brief an Ayatollah Sadegh Larijani beschreibt die Unterdrückung der Medien durch die Regierung nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl vom letzten Sommer.

Der Brief weist darauf hin, dass eine bedeutende Anzahl von Zeitungen geschlossen, Webseiten gefiltert oder blockiert und Journalisten für ihre Kritik an der Regierung verhaftet wurden.

Viele der Verhafteten seien „von Revolutionsgerichten vor Gericht gestellt und verurteilt worden, ohne dass Geschworene oder ein Anwalt anwesend waren. Viele befanden sich monatelang mit ungewissem Schicksal in vorläufigem Gewahrsam und sind gegen extrem hohe Kautionszahlungen vorübergehend freigelassen worden“, heißt es in dem Brief weiter.

Den iranischen Behörden zufolge „verzerre es das Image des Regimes“, Zeitungsartikel zu schreiben oder ausländischen Medien Interviews zu geben, so der Brief, der die Frage anschließt: „Verzerrt die Inhaftierung von Journalisten und Bloggern ohne fairen Gerichtsprozess etwa nicht das Image des Regimes?“

Journalisten hätten eine Verantwortung dafür, zu informieren und zu kritisieren. Der Brief schließt mit der inständigen Bitte an Larijani: „Lassen Sie unsere Freunde und Kollegen frei, damit sie ihre Pflicht tun können.“