Veröffentlicht bei RAHANA am 15. April 2010
Quelle (Englisch): http://www.rhairan.info/en/?p=2618
Die Stagnation in der Wirtschaft, die Unsicherheit im Industriesektor und die negativen Auswirkungen der Regierungspolitik auf die Lebensbedingungen von Arbeitern geben Anlass zu großer Sorge. Dennoch gibt die Aussicht auf neue Proteste und Organisationen der iranischen Arbeiterbewegung Hoffnung.
Iranische Arbeiter starten mit großen Herausforderungen in das neue persische Jahr. Die Abschwächung der Wirtschaft und Unsicherheit im industriellen Sektor und Regierungspolitik, die die Lebensumstände der Arbeiterschaft verschlimmert, sind Ursachen für extreme Sorgen im Land.
Aussichten auf neue Proteste und Organisationen öffnen neue hoffnungsvolle Perspektiven für die iranische Arbeiterbewegung.
Viele iranische Arbeiter sind schon mit Entlassungen und Werksschließungen nach den Neujahrsfeiertagen konfrontiert. Hassan Sadeghi von der Arbeiterkammer“ zufolge ist die Zahl der Kündigungen allein in Teheran um 49% angestiegen im Vergleich zum letzten Jahreswechsel. Über das ganze Land gesehen liegt diese Quote bei über 50% und dies gilt (sogar) nur für die der Arbeitsverwaltung gemeldeten Fälle. Wenn man die Zahl der Menschen betrachtet, die ohne Einschaltung der
Arbeitsverwaltung eine Abfindung auf individueller Basis erreichen, kann diese Quote auf mehr als 70% ansteigen, sagt der Repräsentant der Arbeiterkammer, Sadeghi. Ein Vertreter des Arbeitsministeriums erwähnt, daß er allein täglich 40 bis 50 Fälle sähe, in denen Arbeitnehmer aus dem einen oder anderen Grund gekündigt worden seien.
Der Rückgang der Wirtschaft, steil ansteigende Importe, Korruption im Regierungsapparat und fehlgeleitete Politik haben das Risiko für Investitionen im industriellen Sektor derart ansteigen lassen, daß viele Unternehmen folgerichtig ihre Belegschaften reduziert haben. Die Senkung von Subventionen, die im Parlament diskutiert (und beschlossen) wurden, haben zum Anstieg der Energiepreise und zu einer hohen Inflationsrate geführt. Diese und andere Maßnahmen der Regierung wie die Änderungen des Arbeitsrechts und der Ruhestandsregelung, sowie das fehelende Bekenntnis der Regierung, ihren Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu leisten, sind Ursache von Verunsicherung in der Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik stellt sehr stark auf Importe ab und begünstigt gut verdrahtete Sektoren einschließlich derer, die mit den Revolutionsgarden verbunden sind, verbunden mit erheblichen Krediten des Bankensektors, was für die privaten Unternehmen nur Lohnkürzungen übrig lässt, und ist damit unter den Faktoren, die sich ungünstig auf den industriellen Sektor auswirken. Die Importe sind auf 70 Milliarden US$ angestiegen, dazu kommen 20 bis 30 Milliarden US$ an geschmuggelten Gütern. Hinzu kommen der politische Umbruch im Land, Aussichten auf verstärkte Sanktionen und eine abenteuerliche Politik – alles Gründe dafür, daß der Produktionssektor einen Niedergang erlebt.
Ahmadinejads Administration hat eine Politik in Gang gesetzt, die dauerhafte Arbeitsverträge durch Zeitverträge ersetzt, die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Versicherung ihrer Arbeitnehmer reduziert und Arbeitnehmerproteste kontrolliert. Die Arbeitgeber haben dies genutzt, um Arbeitnehmer unter Umgehung des Rechts zu entlassen. Ein Beispiel hierfür ist die Supermarktkette Hyperstar, die Mitte März 110 Beschäftigten gekündigt hat. Hyperstar in eine Joint-venture der riesigen französischen Einzelhandelskette Carrefour, die 25% hält, und eines Investors aus den Emiraten, der die restlichen Anteile hält. Diese Kette hat seit August 2009 einen Supermarkt in Teheran betrieben und plante, weitere Läden zu eröffnen. Irans „Organisation für wirtschaftliche und technische Unterstützung und Investment“, eine Einrichtung der Regierung, die ausländisches Investment ins Land holen soll, verteidigt in einer Stellungnahme Hyperstars Vorgehen: „Diese Gesellschaft hat ihre Belegschaft nicht entlassen, sondern handelte vertragsgerecht; und wenn ein Zeitvertrag abgelaufen ist, ist sie nicht verpflichtet, diesen zu verlängern.“
Ein anderes Beispiel ist die Teheraner U-Bahn-Gesellschaft, die 50 Arbeitsverträge nicht verlängert hat. Die Beschäftigten waren in verschiedenen Bereichen tätig wie Sicherheit, Fahrkartenkontrolle, Kontrolle der Terminals und Fahrkartenverkauf, und waren länger als 5 Jahre dort angestellt. Die entlassenen Arbeitnehmer haben um Wiedereinstellung und Arbeitslosengeld ersucht. Bisher gibt es immer noch keine Reaktion auf ihre Situation.
Khameneh Textiles, Tehran Azmayesh und Iran Telecommunication Industries sind Beispiele von Unternehmen, die ihre Beschäftigten wegen Zahlungsschwierigkeiten und heftigen import-Wettbewerbs gekündigt haben. Die Zündholzfabrik Tabriz Tavakoli hat 49 Beschäftigte wegen Marktanteilsverlusten entlassen. Das Unternehmen, das einst 400 Beschäftigte hatte, beschäftigt jetzt noch 130. Ghou Cooking Oil Factory entließ 70 Arbeitnehmer.
Die Provinz Qazvin beheimatet mehrere industrielle Zentren. Arbeitnehmer vieler Produktionsbetriebe wurden im März aufgefordert, ihre Arbeitsplätze bis Mitte April nach den Neujahrsfeiertagen zu räumen. Darunter waren Beschäftigte von Pousineh Baft, Roukesh Choobi, Far Nakh und Mah Nak, Alborz China und Kiseh, die ihre Stammbelegschaft gebeten hatten, durchzuhalten. Das Management dieser Gesellschaften zahlte die Löhne aus und bat dann darum, nach Neujahr nicht wiederzukommen. Der Chef der Arbeiterkammer in Qazvon berichtete, daß in manchen dieser Betriebe die Löhne zwischen 6 und 10 Monaten ausstanden. Während in einigen Betrieben Mangel an Vormaterial, Kapital oder Auftragsmangel die Gründe für die Schließungen sind, planen andere bereits Insolvenzverfahren oder Geschäftsaufgabe. Rohstofmangel war auch der Grund für die Schließung des Werks 1 im Metallindustrie-Komplex in Teheran Mitte April.
Weiterhin veranstalteten einige Beschäftigte der Textilfabrik Kerman Bafthe ein Sit-in am Wohnhaus des Provinzgouverneurs. Sie protestierten gegen ihre Entlassung nach dem Ende ihrer Kontraktperiode Anfang April, wobei 100 Arbeitnehmer arbeitslos wurden. Sie verlangten, die Fabrik wiederzueröffnen. Obwohl die meisten Beschäftigten länger als 10 Jahre in dieser Fabrik arbeiteten und wegen der hohen Luftverschmutzung an Atemwegserkrankungen leiden, ist das Management nicht bereit, hierfür Entschädigungen oder Renten zu zahlen. Die Arbeitnehmer reklamieren, daß das Management versuche, das Fabrikgelände als Wohnbaugebiet zu verkaufen.
Mehr als 400 Beschäftigte der Sasan Soft Drink Company wurden gerade vor dem Jahreswechsel entlassen, manche von ihnen nach 12 Jahren Beschäftigungsdauer. Auf Beschwerde beim Arbeitsministerium wurde den Arbeitnehmern mitgeteilt, die Kündigungen seien genehmigt worden. Sie sollten Formulare unterschreiben, um zwei Monatsgehälter von ihrem rückständigen Lohn zu erhalten. Sonst sollten sie ohne jede Zahlung entlassen werden. Die Formulare besagten, daß die Arbeitnehmer selbst gekündigt hätten und alle rückständigen Löhne bezahlt seien. Die Arbeitnehmer unterzeichneten die Ausgleichsquittungen aus Verzweiflung. Eine andere Limonadenfabrik, Khoramnoush in Khoramshar, einst eine der größten im mittleren Osten, feuerte ihre Belegschaft und beendete ihre Geschäfte zum Jahreswechsel.
In Qom protestierten 50 Beschäftigte der Hamid China Factory im Büro für Arbeits- und Sozialangelegenheiten der Provinz am 15. April und verlangten ihre ausstehenden Löhne und Gehälter. Nur einem Arbeitnehmer wurde erlaubt, den Büroleiter zu sprechen. Die Arbeiter wurden aufgefordert, ihre Beschwerden schriftlich einzureichen, damit er die Bemühungen der Sozialverwaltung koordinieren könne. Die Hamid Factory wurde vor zwei Jahren geschlossen und die Ansprüche der Arbeitnehmer wurden in dieser ganzen Zeit noch nicht erfüllt. Einige der Beschäftigten waren 18, 19 oder 20 Jahre dort tätig. Bisher haben sie noch keinen Rentenbescheid erhalten. Sie forderten, die Fabrik selbst übernehmen und profitabel machen zu können.
Ein weiterer Fall ist der der Beschäftigten von Ahwaz Water and Sewage, die ihre Lohnzahlungen für die letzten drei Monate nicht bekommen haben. Laut einem Arbeitnehmervertreter hatten sie zwei Streiks veranstaltet, wurden aber mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht. So mußten sie an die Arbeit zurückkehren.
Es gibt Berichte, nach denen 150 Beschäftigte der Arak Industrial Company am 10. April einen Protestzug vor dem Präsidentenpalast organisierten. Sie sind seit 6 Monaten nicht mehr bezahlt worden und einige erhielten drei Jahre lang leidglich Arbeitslosenunterstützung bis zu ihrem Ruhestand. Dies bedeutet, daß sie keine Pension bekommen.
Am 11. April veranstalteten 100 Beschäftigte des Fars Meat Complex einen Protest vor den Toren der Gesellschaft gegen Kündigungen und Kürzungen ihrer Betriebsrenten. Dieser Komplex mit einst 1400 Beschäftigten entließ die letzten 90 und schloß die Tore. Die Arbeitnehmer geben dem Management die Schuld am Niedergang des einst blühenden Unternehmens.
Zusätzlich gab es einen Protest von 60 Arbeitnehmern vor einer Backfabrik bei Malard Karaj, westlich von Teheran.
Und die Arbeiterproteste gehen weiter.
Deutsche Übersetzung: Günter Haberland, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben