Tagesarchiv: 12. Mai 2010

Mahdieh Golroos Brief in Erinnerung an die hingerichtete Gefangene Shirin Alam Hooli

Veröffentlicht bei Persian2English am 12. Mai 2010
Quelle (Englisch): http://persian2english.com/?p=10538

Mahdieh Golroo, inhaftiertes Mitglied des Rates für das Recht auf Bildung (Right to Education Council), hat in Erinnerung an ihre hingerichtete Zellengenossin Shirin Alam Hooli einen Brief verfasst.

Du warst bei uns, und nun bist du ohne uns gegangen, wie der Duft einer Blume. Wohin gingst du?

Samstag Abend verbrachten wir ohne Shirin. Es war der bitterste Augenblick unserer Haft. Es war eine dunkle und schreckliche Nacht. Jede Sekunde schien ewig zu dauern für uns, die wir uns danach sehnten, Shirin wiederzusehen.

Seit dem Nachmittag war das Telefon im Frauentrakt tot, was unsere Bedrängnis noch verschlimmerte. Wir waren alle zusammen in einem Raum, der nur uns gehörte. Shirin mochte das. Sie hatte mehr erlitten als wir, und ihr gefiel die Abgeschiedenheit, doch sie war die erste, die den Raum verließ. In dieser Nacht erinnerten sich sogar die, die schon lange in Evin waren, an die Menschen, die plötzlich im Dunkel der Nacht verschwanden, um in das ewige Licht der Freiheit zu gehen. Wir verbrachten die Zeit damit, über die traurigen Erinnerungen derer zu sprechen, deren Gefährten zum Galgen geschickt wurden. Wir bewunderten die Widerstandskraft dieser Frauen, die den Tod ihrer Freundinnen ertrugen, damit die folgenden Generationen bessere Tage erleben sollten.

Welch ein flüchtiger Traum. Doch der Kreis des Unrechts geht weiter, und es dauerte nicht lange, bis unsere Geduld auf die Probe gestellt wurde, als Shirin von einem Moment auf den anderen von uns getrennt wurde, ohne sich verabschieden zu können. Es war, als riefe die Schlinge ihren Namen in der Hoffnung, in ihren Adleraugen Furcht aufflackern zu sehen. Aber ich weiß genau, dass Shirins Mut der öden Nacht im Evin-Gefängnis und der Härte der Schlinge spottete.

Jede Sekunde, die verging, war schwer zu ertragen. Wir warteten darauf, von Shirin zu hören. Als man sie wegbrachte, geschah das unter dem Vorwand, dass der Name ihres Vaters in den Akten falsch geschrieben sei. Es kam uns nicht in den Sinn, dass wir sie in diesem Augenblick zum letzten Mal sahen. Shirins Begeisterung für das Leben und den Fortschritt, und der Eifer, mit dem sie lernte, erinnerte an jemanden, der gerade erst ins Gefängnis gekommen war und kurz davor steht, wieder freigelassen zu werden.

Oh, was für eine Nacht das war. Die Häftlingszählung am Sonntag Morgen lastete wie eine schwere Bürde auf unseren Schultern. Zu dem Zeitpunkt waren wir bereits sicher, dass wieder einmal das Leben einer Kämpferin, einer Löwin aus dem Lande Kurdistan, deren Widerstand die Berge bezwang, der Schlinge zum Opfer gefallen war. Es war schwer zu glauben.

In den Zwei-Uhr-Nachrichten erfuhren wir, dass Shirin hingerichtet wurde und nie zurückkommen würde. Obwohl wir die Nachrichten von Hinrichtungen schon aus Memoiren und historischen Schriften kannten, spürten wir die Bitterkeit von Shirins Verlust in jeder Zelle unseres Körpers.

Diese Nacht war der Gipfel aller Nächte unseres Lebens. Wir hofften auf etwas, nach dem sich die Gefangenen vor zwanzig Jahren gesehnt hatten: Ein Ende des Unrechts, damit künftigen Generationen dies erspart bleiben möge.

Vier Tage sind seit der Tragödie vergangen. Ein schwarzes Tuch in der Farbe unserer Trauer liegt auf ihrem Bett. Ich schlafe auf dem Zellenboden. Meine Mitgefangenen bestehen darauf, dass ich auf Shirins Bett schlafe. Aber ich kann den Platz meiner Töpfer-Lehrerin nicht einnehmen; sie ist unersetzlich.

Mahdieh Golroo, Evin-Gefängnis

Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Vom Gottesstaat zur Militarisierung – Ein Interview mit Reza Aslan

Veröffentlicht bei Persian2English am 12. Mai 2010
Quelle (Englisch): http://persian2english.com/?p=10508

das Interview führte MARYAM NY

Dr. Reza Aslan

Der im Iran geborene Religionswissenschaftler Dr. Reza Aslan ist ein anerkannter Schriftsteller und Mitherausgeber des „Daily Beast“. Er ist Autor des internationalen Bestsellers „Kein Gott außer Gott: Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart“. Die Schriftstellerin und Journalistin Reyhan Salam hat dieses Buch als eines der 100 wichtigsten Bücher des letzten Jahrzehnts bezeichnet.

Persian2English hatte die Gelegenheit, mit Dr. Aslan über einige Fragen zu sprechen, vor denen Iran nach der Präsidentschaftswahl steht. Nach der Wahl im Jahre 2009 gab es eine spürbare Verschiebung in der Machtdynamik innerhalb der sozio-ökonomischen und politischen Strukturen Irans.

Während die Grüne Oppositionsbewegung sich als die größte Herausforderung für die Legitimität der Islamischen Republik erwies, erlebte die politische Struktur im Iran einen wachsenden Einfluss der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC). Wir haben Dr. Aslan nach seiner Einschätzung des Einflusses des IRGC und seine Ansichten über die wachsende Oppositionsbewegung innerhalb und außerhalb Irans gefragt.

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Persian2English: Es ist bekannt, dass der IRGC etwa ein Drittel der iranischen Wirtschaft kontrolliert. Können Sie einige Auswirkungen dieser Zahlen auf die allgemeine Situation der iranischen Wirtschaft benennen?

Reza Aslan: Ein Drittel der iranischen Wirtschaft entspricht ungefähr 100 Milliarden US-Dollar. Auch wenn dies für den Geheimdienst- und Sicherheitsapparat einer einzigen Organisation wie dem IRGC eine enorme Menge Geld ist, glaube ich, dass es eine viel wichtiger Statistik gibt. Der IRGC kontrolliert fast 100% des Schwarzmarkts. Nach drei Jahrzehnten Wirtschaftssanktionen ist der Schwarzmarkt DER Markt im Iran. Wir müssen verstehen, dass wir, wenn wir von einer Gruppe wie dem IRGC sprechen, etwas betrachten, dass der Mafia sehr ähnlich ist. Denn haben nicht nur durch ihre Zweigunternehmen im Öl- und Erdgassektor sehr viel Einfluss auf die finanzielle Situation im Iran, sondern sie kontrollieren sogar ganze Segmente der iranischen Wirtschaft. Zum Beispiel gehören ihnen 51% der iranischen Telekommunikationsindustrie. Sie kontrollieren so gut wie die gesamte iranische Betonindustrie, was bedeutet, dass in Iran nichts gebaut werden kann, ohne dass irgendeine IRGC-Firma daran beteiligt ist.

Wir haben es mit einer Organisation zu tun, die mit nahezu jedem Aspekt Irans veflochten ist, nicht nur durch ihren Militär-, Geheimdienst- und Sicherheitsapparat, sondern durch ihre Kontrolle der Wirtschaft und zunehmend auch des politischen Bereichs. Ein Drittel des iranischen Parlaments besteht aus aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der Revolutionsgarden. Fast jeder in Ahmadinejads Kabinett ist ein ehemaliges IRGC-Mitglied. Die meisten hochrangigen Mitarbeiter der iranischen Botschaften in der ganzen Welt sind Mitglieder der Revolutionsgarden. Wenn wir über die Militarisierung der iranischen Politik und Gesellschaft sprechen, dann sprechen wir über all dies.

P2E: So manche westlichen „Progressiven“ nehmen Iran als Nation wahr, die ihre wirtschaftliche Souveränität erfolgreich gegen den Imperialimus und Kapitalismus des Westens verteidigt hat. Was würden Sie auf diese Behauptungen erwidern?

Aslan: Ich würde sagen, eine Wirtschaft im 21. Jahrhundert, die nicht über eine globalisierte Wirtschaft verfügt und keinen Zugang zu internationalen Märkten und freien Handelsbeziehungen hat, wird mehr oder weniger zusammenbrechen. Für den Markt gibt es kein Abwehren des westlichen Imperialismus. So kann man vermutlich im Hinblick auf Kultur, nationale Souveränität und politische Unabhängigkeit argumentieren, aber wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der Märkte und Ökonomien von der internationalen Gemeinschaft isoliert werden und (trotzdem) überleben können. Die Tatsache, dass die Inflationsrate im Iran 26% beträgt, 40% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt und mindestens 30, vielleicht sogar 40% der Iraner arbeitslos sind, ist ein Indikator dafür, dass dieser Standpunkt einfach nicht haltbar ist.

P2E: Welchen Anteil haben die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft an der schlechten Wirtschaftslage im Iran?

Aslan: Der allergrößte Teil der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Irans sind ein Ergebnis der wirtschaftlichen Isolation von der internationalen Gemeinschaft, das steht außer Frage. Aber auch das Subventionsprogramm im Iran hat mit Sicherheit eine große Rolle für den Niedergang der iranischen Wirtschaft gespielt.
Weil es aber diese Subventionen seit 30 Jahren gibt, brechen im Iran jedes Mal Aufstände los, wenn ein iranischer Präsident, angefangen bei Rafsanjani bis hin zu Ahmadinejad, einen Versuch unternimmt, diese Subventionen zu kürzen. Als Ahmadinejad versuchte, den Benzinpreis auf ein Niveau anzuheben, das in etwa die wirklichen Kosten widerspiegelt, spielten die Iraner verrückt. Sie brannten ganze Tankstellen nieder. Sie strömten auf die Straßen. Die Subventionen sind ein riesiges Hindernis für den wirtschaftlichen Fortschritt im Iran.
Ein anderes Problem ist natürlich, dass die Privatisierung der iranischen Wirtschaft auf so willkürliche Weise und mit so viel offensichtlichen Betrügereien erfolgte, dass sie für die wirtschaftliche Situation nicht hilfreich war. (Privatisierung) ist wirklich wichtig. Diese Industrien müssen privatisiert werden, wenn Iran den Anschluss an die Ökonomien des 21. Jahrhunderts schaffen will.
Als Iran zum Beispiel beschloss, die Telekommunikationsindustrie zu privatisieren, war der IRGC in der Lage, heimlich und an offiziellen Ausschreibungn vorbei die Mehrheit der Anteile einfach zu übernehmen. Die Handhabung der Wirtschaft im Iran war ein totales Desaster, aber es waren sicherlich die Sanktionen, die den wirtschaftlichen Niedergang des Landes ausgelöst haben.

P2E: Die Regierung Obama scheint in ihrem Umgang mit dem iranischen Atomprogramm in einem Dilemma festzustecken. Sanktionen haben sich bislan als wirkungslos erwiesen, ein Militärschlag hat das Manko, dass dadurch der Nationalismus unter Iranern gestärkt werden und sie hinter dem islamischen Regime vereinen könnte. Wenn Iran aber andererseits die Entwicklung seines Atomprogramms gestattet wird, steckt darin ein hohes Potenzial für die Stärkung der innenpolitischen, regionalen und internationalen Macht Irans. Welche Lösung würden Sie der Regierung Obama vorschlagen, mit der den Interessen des iranischen Volkes Rechnung getragen wird?

Aslan: Es ist eine wesentliche Tatsache, dass die Menschen jetzt zu realisieren beginnen: Wenn Iran Nuklearwaffen will, wird es sie haben, und niemand wird etwas dagegen tun können, weder die USA, noch Israel, noch die UN oder die EU. Das ist nur eine grundsätzliche Tatsache. Wir erleben, wie eine wachsende Anzahl außenpolitischer Analysten, auch die im Weißen Haus, zu dieser Erkenntnis kommen. Die Auffassung, dass man versuchen muss, Iran von der Entwicklung einer Atombombe abzuhalten, ist Zeitverschwendung. Wir müssen Wege finden, um zu erreichen, dass sie keine Atombombe wollen.

Um die Frage zu beantworten: Wie müssen herausfinden, warum (Iran) überhaupt (Nuklearwaffen) haben will. Das ist keine Hexenkunst. Sie wollen Atomwaffen, weil sie sich von den USA und von Israel bedroht fühlen. Wenn wir nicht anfangen, das iranische Atomprogramm als ein regionales und ein globales Problem anzusehen und es als Bestandteil einer viel größer angelegten Nichtverbreitungspolitik anzusprechen, dann wird nichts geschehen. Keine Macht der Welt wird in der Lage sein, Iran von der Entwicklung dieser Waffen abzuhalten. Dies ist meiner Meinung nach die wahre Herausforderung für die Regierung Obama: Sie muss aufhören, so zu tun, als sei dies ein Iran-Problem. Es ist kein Iran-Problem, es ist ein regionales Problem, ein Problem, das die Nichtverbreitung [von Atomwaffen] betrifft. Iran ist nur eines der vielen Länder in diesem Jahrhundert, die Atomwaffen besitzen werden, wenn wir kein stärkeres Nichtverbreitungsysteme entwickeln.

P2E: Teilen Sie die Ansicht, dass westliche Medien das Thema Menschenrechtsverletzungen im Iran durch die Konzentration auf die Nuklearthematik in den Hintergrund gedrängt oder vernachlässigt haben?

Aslan: Ich finde, dass die Medien hinsichtlich der Menschenrechtsthematik im Iran eigentlich ziemlich gute Arbeit geleistet hat. Menschenrechtsverletzungen sind Sensations-Storys, und das Ziel der Medien ist es, Sensationen zu präsentieren, um Zuschauer anzuziehen, die dann die in ihren Sendungen beworbenen Produkte kaufen.

Nein, ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass es ein Problem der Medien ist. Man kann jedoch sagen, dass es ein Problem der Regierung ist. Es ist doch wahr, dass unsere politische Führung in den USA und Nordamerika sich einseitig auf das Nuklearthema eingeschossen und all die anderen wichtigen Probleme, die damit zusammenhängen, ignoriert hat – sowohl intern als auch regional. Auch dies führt wieder hin zu dem übergeordneten Thema, über das ich sprach – diese kurzsichtige Beschränkung darauf, zu verhindern, dass Iran Atomwaffen entwickelt. Bestimmt wurden diese Bemühungen von vollster Überzeugung getragen, aber sie waren nutzlos.

Iran wird sich keine Argumente zu seinem Nuklearprogramm anhören, die nicht auch Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea mit einbeziehen. All diese Regimes besitzen außerhalb des Atomwaffensperrvertrages Nuklearwaffen, und jedes einzelne von ihnen wird mit Milliarden US-Dollar unterstützt. Iran hat keinerlei Anlass, keine Atomwaffe zu bauen. Es hat keine Nachteile davon. Warum sollten sie keine Atomwaffen bauen? Niemand wird sie bestrafen. Den Beweis dafür kann man überall sehen. Zur Zeit unterstützen die USA Israel mit drei Milliarden Dollar und schirmen das Nuklearprogramm freiwillig von internationalen Inspektionen ab. Die USA haben Pakistan in den letzten zehn Jahren trotz dessen illegalen Waffenprogramms etwa 15 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Die USA haben gerade erst einen Handelsvertrag mit Indien unterzeichnet, der direkt gegen den von den USA selbst verfassten Atomwaffensperrvertrag verstößt.

Warum sollte der Iran diese Drohungen nicht einfach ignorieren und einfach seine Atombombe bauen? Ich nenne das „die Teenager-Mentalität“: Es ist viel einfacher, sich zu entschuldigen, als um Erlaubnis zu bitten.

P2E: Mehr als zwei Drittel der iranischen Bevölkerung wurde nach der Gründung der Islamischen Republik geboren. Welche Auswirkungen, wenn überhaupt, hat diese Bevölkerungsstatistik bezüglich der Zukunft des iranischen Volkes und der Islamischen Republik?

Aslan: Sie sagen immerzu „Islamische Republik“ – das ist wohl der Name des Landes, aber was Sie damit wahrscheinlich sagen wollen ist, dass das Problem im Iran in dem Gottesstaat besteht, der an der Macht ist. Das ist nicht mehr das Problem im Iran. Der Gottesstaat ist dabei, sich zu verabschieden und von einer Militärdiktatur abgelöst zu werden, die weitaus gefährlicher, ideologisch viel starrer, und für die Iraner und die Welt eine viel größere Bedrohung darstellt, als es die Ayatollah jemals waren.

Wir müssen aufhören zu denken, dass dies der Iran von 1999 ist. Das ist er nicht mehr. Es ist ein völlig anderer Iran. Ein Iran, in dem jeder Turbanträger in einer Machtposition systematisch von jemandem ersetzt wird, der eine Militäruniform trägt oder vor Kurzem noch getragen hat.

Zu der Frage, was es bedeutet, wenn 70% der Bevölkerung jünger ist als 30: Ich bin der Meinung, dass man solche demografischen Realitäten schlichtweg nicht ignorieren kann. Die Bevölkerung ist nicht nur jung, sondern auch unglaublich differenziert, technologisch versiert, hochgebildet, sehr gut ausgebildet, global denkend, angeschlossen an die Welt, und ausgestattet mit einem großen Verständnis dessen, was um sie herum passiert. Diese Generation ist nicht willens, die Geschichten der Revolution in sich aufzunehmen, die einen so großen Teil der nationalen Identität ausmachen. Sie wollen nicht in der restriktiven Situation leben, in der sie sich jetzt befinden.

Diese Generation wird Iran grundlegend verändern. Aber sie braucht Hilfe dabei. Sie werden die Rolle der Revolutionsgarden nicht schwächen können. Militärs denken nicht so. Man muss sich nur Burma oder Nordkorea anschauen, um zu wissen, wo Iran hinsteuert. Die politischen Reformen unter den Ayatollahs, die sich, ob wir es zugeben möchten oder nicht, als ziemlich pragmatisch erwiesen haben, wenn es um ihr eigenes Überleben ging, haben in mir viel mehr Hoffnungen ausgelöst als das, was sich [im Moment] zur Herrschaft der Revolutionsgarden entwickelt. Diese Leute haben nichts pragmatisches an sich. Alles, was sie interessiert, ist Geld und Sicherheit. Und wie alle Militärs ist ihre einzige Sorge, wer die größeren Waffen hat – ob innenpolitisch oder auf der internationalen Bühne.

P2E: Sie haben gesagt, dass das iranische Volk Hilfe braucht. Welche Hilfe meinen Sie?

Aslan: Ich glaube, die größte Hilfe, die die internationale Gemeinschaft leisten kann, ist die Beendigung der Isolation, unter der Iran seit dreißig Jahren steht. Es reicht nicht aus, klug und gebildet zu sein. Wenn man keinen Anschluss an die Weltwirtschaft findet, wenn man im Jahre 2010 keinen Zugang zum freien Markt hat, dann gibt es wenig Hoffnung für irgendeine Art wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Entwicklung. Die dreißigjährige Isolationspolitik gegen Iran ist meiner Meinung nach eine richtige Katastrophe. Sie hat nicht einen Deut an politischen Veränderungen im Land gebracht, sie hat es vielmehr den autokratischen Tendenzen des Regimes ermöglicht, unbehelligt zu herrschen. Es ist ein ganz einfacher Gedanke: Wenn man mit einem Land keine Beziehungen hat, kann man es nicht beeinflussen. Die Menschen sagen immer, dass die USA „mehr tun“ müsse, Obama mehr tun müsse, um Iran oder der Grünen Bewegung zu helfen, aber niemand kann die Frage beantworten, was mit „mehr tun“ gemeint ist, denn es gibt nichts zu tun. Wenn man keine Beziehungen zum Iran hat, wie soll man ihn dann beeinflussen, wie soll man ihn bestrafen? Was kann man dem Iran nehmen, wenn man ihm nichts gibt? Diese Lektion haben leider viele Regierungen nicht gelernt.

P2E: Meinen Sie, dass die Iraner innerhalb Irans auch glauben, dass die amerikanische Regierung und andere westliche Regierungen ihre Kommunikation mit dem Iran verstärken sollte?

Aslan: (lacht) Ja. Ich habe noch keinen einzigen Iraner getroffen, der nicht dieser Ansicht war. Selbst die radikalsten Amerikagegner unter den Iranern denken nach wie vor, dass die wirtschaftlichen und kommunikativen Kanäle offen bleiben sollten, und sei es nur, um die USA heruntermachen zu können. Fast alle sind da einhelliger Meinung, mit Ausnahme natürlich der Revolutionsgarden, denn ihre Macht und ihr Reichtum ist ein direktes Ergebnis der Isolation Irans. Wenn Iran nicht mehr isoliert ist, haben die Revolutionsgarden keine Macht mehr. Es ist eine einfache Formel.

P2E: Was ist Ihr allgemeiner Eindruck der Welle von Massenmobilisierungen nach der Wahl, die als Grüne Bewegung bekannt geworden sind?

Aslan: Ich finde, sie waren unglaublich erfolgreich. Sie waren absolut siegreich in dem, was in meinen Augen ihr ultimatives Ziel war. Ich glaube, der Grund dafür, warum die Leute glauben, dass die Bewegung gescheitert ist, liegt darin, dass sie nie verstanden haben, was das letztendliche Ziel der Bewegung war. Es ging nicht darum, das Regime zu stürzen, das ist nicht sehr wahrscheinlich. Das Ziel bestand darin, das Regime zu delegitimisieren, und das haben sie auf brilliante Art getan.

Das iranische Regime stützt seine Legitimität auf zwei große Säulen. Erstens präsentieren sie sich als Zentrum der islamischen Moral in einem Staat, der die Quelle religiöser Sittlichkeit ist. Zweitens stützen sie ihre Legitimität auf den Willen der Wählerschaft im Volk. Man darf sich nicht täuschen lassen – das iranische Regime hat trotz seiner diktatorischen Tendenzen panische Angst vor seinem eigenen Volk. Immerhin wurde dieses Regime auf dem Rücken eines Volksaufstandes zur Macht getragen. Sie verstehen also besser als jeder andere, welche Kraft die Stimme eines vereinigten iranischen Volkes haben kann. Dank der Grünen Bewegung wurden diese beiden Säulen der Legitimität gestürzt.

Die Brutalität, mit der das Regime vorging, nicht nur gegen die Demonstranten, sondern auch gegen führende religiöse Persönlichkeiten, Großayatollahs, deren Kinder sie verhafteten, gar nicht zu sprechen von den Vergewaltigungen und der Folter, die im Iran weit verbreitet waren und von denen alle Iraner wussten – all das hat mit jeder Empfindung der vom Regime für sich beanspruchten religiösen Legitimität gründlich aufgeräumt.

Und natürlich hat die schamlose Art und Weise, in der diese Wahl gestohlen wurde, jeden Anschein beseitigt, dass das iranische Regime auf dem Willen des Volkes basiert. Wenn in einigen Jahren die Geschichte Irans erzählt wird, wird man sehen, dass die Grüne Bewegung der Angelpunkt war, der den Iran von dem autokratischen Regime der Zeit vor 2009 in ein Land verwandelte, von dem ich denke, dass es sich langsam ähnlich wie China entwickeln wird; eine Oligarchie, in der die Macht nach wie vor in den Händen weniger Personen liegt, in dem jedoch der Zugang zur internationalen Gemeinschaft und zum freien Markt, zu größeren Freiheiten an der Basis, den Grundstein legt für eine möglicherweise rasante politische Transformation.

P2E: Die Bewegung ist an zwei Fronten aktiv: Innerhalb Irans und außerhalb Irans, vor allem getragen durch die iranische Diaspora. Wie gut sind diese beiden Fronten der Bewegung synchronisiert?

Aslan: Gar nicht. Und die Beziehungen der Bewegung mit der Diaspora ist gelinde gesagt problematisch. Das Problem mit der iranischen Diaspora ist, dass sie größtenteils viel stärker mit ihren eigenen ideologischen Positionen beschäftigt ist als damit, was für den Iran gut ist. Es gibt so viele strikte Untergliederungen, zwischen den Schah-Anhängern einerseits, den „die Ayatollahs sind an allem Schuld“-Leuten auf der anderen Seite, der MKO, den sehr großen kommunistisch-marxistischen Anteilen. Das ist eine Gruppe, die mich unendlich frustriert, denn wenn ich versuche, mich mit ihnen darüber zu unterhalten, was gut ist – nicht gut für sie, sondern gut für meine Cousins, meine Onkel, meine Familie im Iran – können sie oft nicht über ihre eigenen ideologischen Standpunkte hinaus blicken. Dies trifft sicherlich zu, was die Grüne Bewegung angeht.

Ich glaube, der Grund, warum die Amerikaner die Grüne Bewegung nicht einordnen konnten, war, dass sie auf die Stimmen der Diaspora hörte, die ihnen nicht erklärte, was die Grüne Bewegung wollte, sondern wie sie sich die Grüne Bewegung wünschte. Auf jeden Fall ist mir nicht ersichtlich, wie die Kommunikation zwischen der Bewegung im Iran und der Diaspora in den USA oder Europa der Grünen Bewegung überhaupt hilft. Ich weiß nicht genau, was die Diaspora tun könnte, um diese Bewegung zu unterstützen oder zu stärken.

P2E: Was können Iraner und Nichtiraner außerhalb Irans tun, um der iranischen Demokratiebewegung zu helfen?

Aslan: Iraner außerhalb Irans können sich für eine vernünftigere Außenpolitik der USA und der EU gegenüber Iran einsetzen. Wir leben in einer Demokratie. Unsere Stimme zählt. Wir können Einfluss nehmen darauf, ob unsere politischen Führer sich dafür entscheiden. Zum Beispiel verfolgt der US-Kongress dieses irregeleitete, völlig nutzlose und absolut irrelevante Sanktionsgesetz, das der Präsident ohnehin nicht unterschreiben kann. Eigentlich ist das unwichtig, denn für die Außenpolitik ist der Präsident zuständig, nicht der Kongress. Aber wenn uns Iranern der Iran wirklich am Herzen liegen würde, würden wir alles tun, was wir können, um unsere Kongressabgeordneten und Senatoren zu kontaktieren und ihnen zu sagen, dass man auf diese Weise mit dem Iran nicht vorankommen wird, dass dieses Gesetz nur dazu beitragen wird, dass Präsident Obamas Optionen hinsichtlich Iran verkompliziert werden.

Es gibt gewisse konkrete Schritte, die wir unternehmen können, um die amerikanische oder die europäische Außenpolitik zu beeinflussen. Aber in einem allgemeineren Sinne geht es nur darum, hinzusehen, aufmerksam zu sein, zu sehen, was geschieht, und Teil davon zu sein. Ich weiß noch, wie ich auf dem Höhepunkt der Demonstrationen mit einem Teilnehmer telefonierte. Ich fragte ihn: „Was braucht ihr von uns hier in den Vereinigten Staaten?“ Er sagte: „Was wir brauchen, ist nur eure Aufmerksamkeit, denn wenn die Welt hinschaut, tötet das Regime nicht so viele von uns.“

Anmerkung der Redatkion: Die Fragen für das Interview mit Dr. Aslan wurden vom Übersetzungs- und Redaktionsteam von Persian2English zusammengestellt.

Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Karroubi bedauert die unberechtigten Hinrichtungen

Veröffentlicht bei Green Voice of Freedom am 12. Mai 2010
Quelle (Englisch): http://en.irangreenvoice.com/article/2010/may/12/1863

GVF – Oppositionsführer Mehdi Karroubi hat sein Bedauern über die ungerechtfertigte und plötzliche Hinrichtung fünf politischer Aktivisten durch die iranischen Behörden geäußert.

Wie die offizielle Webseite der Partei [Karroubis] „National Trust Party“ berichtet, sagte der Parteivorsitzende Karroubi bei einem Treffen mit der Familie des inhaftierten Journalisten Ali Malihi, er habe „nie gedacht, dass einmal ein Punkt erreicht werden würde, an dem ein solches Vorgehen als normal angesehen“ würde.

Während des Treffens, über das die Webseite Saham News berichtete, beschrieb Ali Malihis Vater, wie einer seiner Söhne nach der Wahl zuerst zusammengeschlagen und dann an Alis Stelle verhaftet worden war.

Zur plötzlichen Hinrichtung des kurdischen Lehrers Farzad Kamangar sagte Karroubi, die Hinrichtung sei erfolgt, obwohl niemand die Einzelheiten des Falles kannte und seine Verbrechen niemandem bekannt waren, da es für ihn und die anderen Hingerichteten keine öffentliche Gerichtsverhandlungen gegeben habe und gesetzliche Normen nicht eingehalten wurden. Der frühere Parlamentssprecher kritisierte den Umstand, dass die Gefangenen ohne vorherige Benachrichtigung ihrer Anwälte und Familien gehängt wurden. Dies sei ein Zeichen dafür, dass die Gerechtigkeit „ausgestorben“ sei und die Prozesse sich völlig außerhalb religiöser und juristischer Standards bewegt hätten.

„Ist ein menschliches Leben so wenig wert, dass es mit solcher Leichtigkeit und ohne die geringste juristische Sorgfalt genommen werden kann, während die Öffentlichkeit [darüber] im Dunkeln gelassen wird?“

Karroubi erklärte, mit solchem Vorgehen sei in einem Land, wo Demonstranten auf den Straßen für ihren Protest gegen die Ergebnisse der gefälschten Präsidentschaftswahl vom Juni vergangenen Jahres erschossen wurden, zu rechnen gewesen.

„Noch immer haben sie den Fall Kahrizak und die sexuellen Übergriffe nicht aufgeklärt, obwohl die Ungewissheiten um diesen Fall nach wie vor existieren und wachsen“, so Karroubi.

Karroubi, der im Jahre 2009 für das Präsidentenamt kandidiert hatte, fügte hinzu, die Sorgen des Staats und der Justiz seien andere als die der Bevölkerung. „Fehlendes Vertrauen bedeutet, dass man am tiefstmöglichen Punkt angelangt ist, und das Regime verhält sich in einer Weise, dass ein nie dagewesener Bruch zwischen Volk und Staat entstanden ist.“

„Ich schwöre bei Gott, wie hätten nie geglaubt, dass das Schicksal des Landes sich so entwickeln könnte… Das Volk bewegt sich in eine Richtung, und der Staat in eine andere.“

Die kürzliche Äußerung des Wächterratsmitglieds Gholamhossein Elham, mit der er Mir Hossein Moussavi einen „Mohareb“ genannt hatte – eine Anklage, die im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden kann – bezeichnete Karroubi als „wertlos“.

Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Moussavi und Rahnavard verurteilen Hinrichtungen; Behörden verweigern Herausgabe der Leichname

Veröffentlicht bei Radio Free Europe/Radio Liberty am 11. Mai 2010
Quelle (Englisch): http://www.rferl.org/content/Musavi_And_Wife_Condemn_Executions_As_Authorities_Fail_To_Deliver_Bodies/2039190.html
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin

von Golnaz Esfandiari
Oppositionsführer Mir Hossein Moussavi und seine Frau Zahra Rahnavard haben in separaten Statements die Hinrichtungen von fünf Gefangenen am 9. Mai verurteilt. Die Hingerichteten sollen Verbindungen zu terroristischen Gruppen gehabt haben und in Bombenanschläge verwickelt gewesen sein.

Moussavi sagte in seinem auf der Webseite „Kalemeh“ veröffentlichten Statements, die Hinrichtungen seien als Warnung gegenüber der Opposition im Vorfeld des ersten Jahrestages der umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom letzten Jahr zu verstehen. Sowohl Moussavi als auch der reformorientierte Geistliche Mehdi Karroubi haben die Opposition anlässlich des bevorstehenden Jahrestages zu Straßenprotesten aufgerufen.

„Wie kann es sein, dass die Gerichte… im Vorfeld des Monats Khordaad [Juni], dem Monat des Gewissens und der Suche nach Gerechtigkeit, plötzlich diese fünf Menschen hinrichtet und so viele Fragen unbeantwortet lässt? Ist dies die Gerechtigkeit der Alavi (dies ist ein Hinweis auf Imam Ali), die wir gesucht haben?“

Weiter sagte Moussavi, die iranische Justiz habe die fünf Gefangenen hingerichtet, ohne der Bevölkerung „klare Erklärungen bezüglich ihrer Anklagen, ihrer Gerichtsprozesse und Verhandlungen“ zu geben. Dies entspreche der „Tendenz zum Unrecht“, die in den letzten Monaten zu der Verurteilung vieler iranischer Bürger geführt habe.

[Anm. d. Übers.: Die Übersetzung des Statements von Mir Hossein Moussavi ist hier nachzulesen]

Auch [Moussavis Ehefrau Zahra] Rahnavard erklärte, die Hinrichtungen schienen zum Ziel zu haben, die Opposition einzuschüchtern. „Sollten diese überstürzten Hinrichtungen dazu dienen, das Volk kurz vor dem Jahrestag (der Wahlen vom 12. Juni) einzuschüchtern?“ fragte sie.

„Die wichtige Frage ist, ob diese Aktion die nationale Einheit stärkt, oder ob sie zu einem nationalen Zusammenbruch und anderen negativen Folgen führen wird.“

[Anm. d. Übers.: Die Übersetzung des Statements von Zahra Rahnavard ist hier nachzulesen]

Vier der hingerichteten Gefangenen gehörten der kurdischen Minderheit an. Sie waren der Mitgliedschaft in der kurdischen Partei „Party of Free Life of Kurdistan“ (PJAK) angeklagt. In den letzten Jahren war es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen PJAK und iranischen Kräften gekommen.

Die Hinrichtungen haben unter Menschenrechtsaktivisten und Intellektuellen Empörung ausgelöst. Unbestätigten Berichten zufolge ist für den 13. Mai ein Protesstreik in kurdischen Städten im Iran geplant.

Besonders aufgebracht sind viele über die Hinrichtung des kurdischen Lehrers Farzad Kamangar, der alle ihm zur Last gelegten Anklagen abgestritten hatte. Viele Iraner haben Kamangar ihren Respekt erwiesen, indem sie ihr Profilbild auf Facebook durch ein Foto von Kamangar ersetzten. Viele Videos kursieren über Kamangar, darunter auch dieses, das ihn mit seinen Schülern zeigt:

Der iranische Anwalt Khalil Bahramian, der mindestens zwei der hingerichteten kurdischen Gefangenen, darunter auch Kamangar, verteidigt hatte, sagte am 11. Mai Radio Farda von RFE/RL gegenüber, die Leichname der vier Kurden seien den Familien bisher nicht übergeben worden – aus „Sicherheitsgründen“, wie die Beamten sagen.

„Es ist eine wahre Tragödie. Was wollen (die Behörden) mit diesen Leichnamen tun? Als sie noch lebten, haben sie sie nicht toleriert und sie getötet. Warum springen sie jetzt, wo sie tot sind, so mit ihren Leichen um?“ fragt Bahramian.

Er sei darüber informiert worden, dass die Mutter und die Schwester Shirin Alam-Hoolis, einer der Hingerichteten vom Sonntag, verhaftet wurden. Es ist unklar, ob die beiden wieder freigelassen wurden oder noch in Haft sind.

Einem Statement von Human Rights Watch vom 11. Mai zufolge sind mindestens 17 weitere kurdische Gefangene im Iran von Hinrichtung bedroht.

Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Zusatz: Diese Seite veröffentlicht Updates zu von Hinrichtung bedrohten politischen Gefangenen (auf Englisch): http://iran.elple.net/