Veröffentlicht bei Radio Free Europe/Radio Liberty am 13. Mai 2010
http://www.rferl.org/content/Interview_Journalist_Says_Liberty_Prize_Belongs_To_All_Iranians_Fighting_For_Democracy/2041260.html
Anmerkungen in runden Klammern stammen von der RFE/RL-Redaktion; Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin

Akbar Ganji, iranischer Journalist und politischer Aktivist : Der Preis ist eine 'moralische Unterstützung' für die Opposition im Iran.
WASHINGTON – Akbar Ganji ist ein bekannter iranischer Journalist und Autor, der in der Islamischen Republik wegen seiner Kritik am iranischen Establishment, der Aufdeckung der Rolle des Staates bei der Ermordung von Dissidenten und seinem Einsatz für die Demokratie im Iran sechs Jahre lang im Gefängnis saß.
Am 13. Mai wird Ganjis Arbeit in Washington D.C. geehrt, wo er mit dem alle zwei Jahre verliehenen Milton-Friedman-Preis für die Förderung der Freiheit des Cato Institute ausgezeichnet wird.
Vor der Preisverleihung sprachen RFE/RL-Korrespondentin Golnaz Esfandiari und Mohammad Zarghami von Radio Farda mit Ganji. In dem Exklusiv-Interview sagte Ganji, der Preis gebühre allen, die im Iran für die Demokratie kämpfen.
RFE/RL: Welche Bedeutung haben diese und ähnliche Auszeichnungen für die iranische Demokratiebewegung?
Akbar Ganji: Glücklicherweise haben verschiedene Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftliche Organisationen in den letzten Jahren viele Iraner geehrt, die sich für Menschenrechte einsetzen. Ich denke, das ist eine moralische Unterstützung für die Bewegung. Die meisten sind nicht finanzieller Art (Anmerkung der Redaktion: Der Milton-Friedman-Preis ist mit 500.000 Dollar dotiert).
In 2006 erhielt ich beispielsweise den Preis für Meinungsfreiheit (John Aubuchon Freedom of the Press Award) in eben diesem Institut, in dem wir uns gerade unterhalten (der Nationale Presseclub). Dieser Preis war nicht dotiert, es war das Bild, das Sie dort an der Wand sehen.
All diese (Preise) sind ein Beitrag moralischer Unterstützung, die zeigt, dass das (iranische) Regime als Menschenrechtsverletzer gilt und dass diejenigen, die für Freiheit, Menschenrechte und Meinungsfreiheit kämpfen, unterstützt werden. Es ist nicht nur für mich eine moralische Unterstützung. Wenn ich einen solchen Preis erhalte, dann geschieht das wegen der Grünen Bewegung. Tatsächlich gehört dieser Preis allen, die innerhalb des Landes (für Demokratie) kämpfen, denen, die im Gefängnis sind. Und ich hoffe, dass ich mich für dieselben (Anliegen) einsetze [wie sie].“
RFE/RL: Als Sie im Jahre 2006 aus dem Gefängnis freigelassen worden waren und Iran verließen, sagten Sie zu RFE/RL, dass Sie in den Iran zurückkehren würden. Das ist sechs Jahre her. Haben Sie immer noch Hoffnung, in naher Zukunft dorthin zurückkehren zu können?
Ganji: Alle Iraner, die im Ausland leben, wünschen sich jeden Tag, eines Tages in ihr Land zurückkehren zu können. Aber es ist sehr schwer, (den Zeitpunkt) vorherzusagen. Man müsste dazu entweder Gott oder sein Prophet sein, und ich bin beides nicht. Ich bin ein gewöhnlicher Mensch, und ich ich wünsche mir immer noch, nach Iran zurückkehren zu können. Das ist der Wunsch aller Iraner. Es ist unser Land, und wir alle müssen dort hin.
RFE/RL: Sie haben jahrelang für Menschenrechte und Demokratie im Iran gekämpft, und Sie haben einen hohen Preis bezahlt. Haben Sie das Gefühl, heute vom Ausland aus genauso viel ausrichten zu können?
Ganji: Es gibt natürlich einen großen Unterschied zwischen dem Kampf innerhalb und außerhalb des Landes. Die Ziele mögen dieselben sein, aber der wahre Kampf findet im Land statt. Für den Übergang zur Demokratie braucht es eine soziale Bewegung. Man kann eine Bewegung nicht von außen erschaffen.
Aber auch wenn man außen ist, kann man die Botschaft der Bewegung an die Außenwelt weitergeben. Man kann denen im Land helfen, man kann informieren – es gibt viele Dinge, die man tun kann. Es ist nicht schwarz-weiß, es ist bunt. So bunt wie die Bewegung ist, so bunt ist auch der Kampf. Alle moralisch vertretbaren Möglichkeiten müssen im Kampf gegen das iranische Regime genutzt werden.
RFE/RL: Sie haben gesagt, dass das iranische Volk und die Oppositionsbewegung das Prinzip der „Velayat Faghih“, der Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten, nicht unterstützt. Ayatollah Mohajerani, der unter dem früheren reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami Kulturminister war, wurde in einer Zeitung mit den Worten zitiert, dass die Grüne Bewegung hinter diesem Prinzip steht. Was sagen Sie dazu? Spricht er für die Grüne Bewegung?
Ganji: Jede und jeder ist frei, seine bzw. ihre Meinung zu äußern, und niemand kann für sich beanspruchen, für die Bewegung zu sprechen. (Oppositionsführer Mir Hossein Moussavi) hat klar gesagt, dass die Bewegung keinen Sprecher außerhalb des Landes hat. Moussavi hat immer gesagt, dass alle Iraner Sprecher dieser Bewegung sind.
Die Bewegung gehört niemandem. Sie hat keinen Eigentümer, und jede/r darf sich ausdrücken. Wenn ich hier spreche, tue ich meine persönlichen Ansichten kund. Aber ich glaube, dass ich als Individuum, genau wie alle anderen Iraner, eine Rolle in der Bewegung spiele. Natürlich ist jeder Iraner und jede Iranerin ein Sprecher bzw. eine Sprecherin dieser Bewegung, wie Moussavi gesagt hat. In diesem allgemeinen Sinne kann auch Sprecher der Bewegung sein.
Es gibt verschiedene Interpretationen: Die iranische Bevölkerung ist jung, es gibt etwa 50 Millionen Menschen, die jünger sind als 30, und für mich ist es nicht vorstellbar, dass diese gesamte junge Generation etwas wie die Velayat Faghih akzeptieren könnte. Diese Generation tritt so auf, dass das Regime sie die ganze Zeit unterdrückt und niederschlägt. Ihr Lebesstil, die Art, wie sie sich kleiden, wie sie sich ernähren, wie sie sich entspannen, einfach alles – wo kann man in dieser neuen Generation irgendetwas beobachten, was auf der Linie des Establishments liegt? Ich glaube ganz und gar nicht, dass die Menschen Irans etwas für Velayat Faghih übrig haben.
Die Ansichten der Menschen sind von Respekt geprägt, und sie sind frei, ihre Meinung zu äußern. Wir können miteinander diskutieren. Ich kann zeigen, dass die Zahl derer, die eine Trennung von Politik und Regierung einerseits und Religion andererseits befürworten, sehr viel höher ist als die Zahl derer, die dieses Regime unterstützen.
RFE/RL: Sind Sie der Meinung, dass das Fehlen einer zentralen Führung und eines ernannten Sprechers im Ausland, zusammen mit der Verschiedenheit der Stimmen innerhalb der Grünen Bewegung, verwirrend für die Unterstützer und andere sein könnte?
Ganji: Überhaupt nicht. Die Bewegung formt sich Schritt für Schritt, was bedeutet, dass sie, indem sie weiterlebt, eine stabile Führung hervorbringen wird. Wir brauchen Zeit. Es nützt uns nichts, wenn dieses Regime heute zusammenbricht. Man braucht eine erfahrene demokratische Kraft, die in der Lage ist, das Regime zu ersetzen.
Die Erfahrung mit der Revolution von 1979 darf sich nicht wiederholen. Damals kam eine Diktatur an die Macht, die schlimmer war als die Diktatur davor. Dies [der jetzige allmähliche Prozess] muss weitergehen. Wir brauchen (Oppositionelle), die ihre Ansichten und Standpunkte sehr klar äußern. Ich kann zum Beispiel nicht heute das Eine sagen und morgen das Andere, und übermorgen etwas noch anderes. Mit der Zeit, die vergeht, werden die Menschen ihre wahren Gesichter zeigen.
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben