Veröffentlicht bei Rooz Online am 14. Mai 2010
Quelle (Englisch): http://www.roozonline.com/english/opinion/opinion-article/article/2010/may/14//shirin-did-not-want-to-go.html
Originaltitel: Shirin did not want to go
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin
Shirin wollte nicht gehen. Sie hatte erwartet, dass man ihr zumindest sagen würde, wohin man sie bringt. Warum durfte sie nicht einmal ihr Gefängnistuch umlegen? Warum nahmen sie sie mit, ohne dass sie den erforderlichen Trenchcoat und Schal anlegte?
Am nächsten Tag unterhielten sich ihre Mitgefangenen über die letzten Worte, die sie sie hatten sagen hören: „Ich bin in euren Händen, warum erlaubt ihr mir nicht wenigstens, mich von meiner Familie zu verabschieden? Lasst mich ein letztes Mal meinen Freunden Lebewohl sagen. Warum all das, wenn es für mich doch kein Entkommen gibt? Um Gottes Willen, lasst mich ein letztes Mal die Stimme meiner Mutter hören…“
Shirin Alam Hoolis Todesurteil wurde weder ihr noch ihrem Anwalt mitgeteilt. Sie wurde hinterlistig aus ihrer Zelle geholt, als sie gerade Mathematikaufgaben löste. Sie bereitete sich auf die Mathematikprüfung der 11. Klasse vor, die in zwei Tagen sein sollte. Sie hatte sich im Erwachsenenbildungsprogramm angemeldet und sich selbst das Versprechen gegeben, Jura zu studieren, um eines Tages die Rechte ihrer Landsleute verteidigen zu können.
Shirins Zellengenossinen blieben in dieser Nacht wach und warteten auf ihrer Rückkehr. Sie waren geschockt, als die Gefängnisbehörden am nächsten Morgen kamen und ihre persönliche Habe mitnahmen – jetzt konnten sie sicher sein, dass Shirin für immer gegangen war.
Shirin wurde im Evin-Gefängnis gehängt, während ihre Mitgefangenen sie als Symbol der Liebe und des Freiheitsdrangs in Erinnerung behalten. Sie erinnern sich an ihren Widerstand, an ihre nächtlichen Qualen infolge der grausamen mittelalterlichen Folterungen, die sie in den Händen von Menschen erdulden musste, für die sie eine Terroristin war und die sich selbst allen Ernstes für Stellvertreter Gottes hielten.
Wenn sie von Shirin sprechen, sprechen ihre Zellengenossinnen von einer Frau, die das wenige Geld und die wenigen Kleidungsstücke, die sie besaß, mit Neuankömmlingen teilte. Sie verzichtete auf Telefonate mit ihrer Familie, um sich um wichtigere Dinge zu kümmern oder neu eingelieferten Gefangenen zu helfen und das mit ihnen zu teilen, was sie hatte.
Shirin wurde mit vier anderen gehängt: Mehdi, Ali, [Farzad] und Farhad. Sie ging, und die Islamische Republik blieb. Doch jetzt hat die Islamische Republik Angst vor den Leichnamen dieser fünf Bürger. Das Regime verwehrte diesen fünf Menschen, diesen fünf Kindern dieses Landes, ihr Grundrecht, sich von ihren Lieben zu verabschieden – und nun verweigert es die Herausgabe der Toten an ihre Familien. Man fragt sich, warum ein Regime, das behauptet, Gott auf Erden zu repräsentieren, sich davor fürchtet, die Leichen von fünf Menschen an ihre engsten Angehörigen zu übergeben, nachdem diese Fünf auf schändlichste Weise ihres Lebens beraubt wurden. Die Hingerichteten waren Sterne, die gnadenlos heruntergerissen und ausgelöscht wurden.
Shirin war nicht im Zusammenhang mit den Unruhen nach der Wahl von 2009 verhaftet worden. Sie war eine kurdische Aktivistin, die ihre Kraft darauf verwendete, anderen zu helfen.
Und wirklich – ein Regime wie dieses muss in Angst leben. Selbst die Toten verfolgen es. Hat dieses Regime vergessen, dass auch das alte Regime trotz aller Hinrichtungen schließlich fiel und verschwand? All die Morde, Hinrichtungen etc. von Shirin und ihren iranischen Landsleuten geschehen zum Zweck des Machterhalts – selbst wenn es sich nur um wenige Tage handelt.
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben