Veröffentlicht bei Persian2English am 30. Juni 2010
Quelle (Englisch): http://persian2english.com/?p=12368
Anmerkungen in eckigen Klammern stammen von der Übersetzerin
In diesem Monat hat Persian2English ein ausführliches Interview mit dem Menschenrechtsaktivisten Ahmad Batebi veröffentlicht. Das Interview ist in drei Teile aufgeteilt. In diesem letzten Teil des Interview erklärt Batebi den Unterschied zwischen den Demonstrationen am Jahrestag der [Gründung der] Islamischen Republik (11. Februar/22. Bahman) und denen vom Ashura-Tag (27. Dezember 2009) und vom Tag der Studenten (7. Dezember). Außerdem erläutert Batebi, was Aktivisten und Unterstützer der Oppositionsbewegung tun können, um mehr Aufmerksamkeit der westlichen Medien auf die Menschenrechtsverletzungen im Iran zu lenken.
Teil 1: Die Grüne Bewegung verstehen
Teil 2: Jeder macht Fehler, auch wir

Ahmad Batebi beim UN-Gipfel in Genf 2009
Von Maryam NY
Maryam: Jeder hatte große Erwartungen an den 11. Februar (22. Bahman). Aber es gab keine großen Demonstrationen. Die Sicherheitskräfte griffen hart durch. Warum gelang es den Menschen nicht, ähnlich wie am Ashura-Tag (27. Dezember 2009) und am Tag der Studenten (7. Dezember 2009) zu demonstrieren?
Batebi: Wie ich schon sagte – je mehr Zeit vergeht, desto immuner wird das Regime (gegen Demonstrationen), und sie lernen, wie man die Menschen [noch wirkungsvoller] unterdrückt und gegen sie vorgeht. Trotzdem gab es noch mehrere Demonstrationen.
Eine der Entwicklungen nach der Wahl war, das das Geheimdienstministerium als wichtigste Sicherheitseinrichtung die Menschen nicht mehr mit herkömmlichen Methoden und Aktionen kontrollieren konnte. Das war der Moment, in dem die Revolutionsgarden (IRGC) auf den Plan traten. Die IRGC-Garden übernahmen die Kontrolle über die Sicherheitsoperationen und auch die Aufsicht über den Geheimdienst. Die Garden agieren viel unbarmherziger – sie schlagen und töten Menschen.
Wir haben erlebt, was am 27. Dezember passierte. Eines der Probleme, mit denen die Garden sich konfrontiert sahen, war, dass sie sich auf das Geheimdienstministerium verlassen und deren Daten und Statistiken über die zu erwartende Anzahl von Demonstranten auf den wichtigsten Plätzen übernommen hatten. Sie hatten Aufgaben und Kräfte auf der Grundlage dieser Daten zugeteilt, die nicht ganz zutreffend waren. Außerdem hatten die Menschen ihre Strategie geändert. Diejenigen, die die Menschen von außerhalb Irans führten, hatten geplant gehabt, alle Berechnungen zunichte zu machen, und dem Regime gelang es nicht, die Menschen zu kontrollieren. Dies führte dazu, dass die Garden beim nächsten Mal professioneller vorgingen. Sie mobilisierten weitaus mehr Kräfte und wollten am 11. Februar die Kontrolle übernehmen.
Die Grüne Bewegung hat keinen (Zugang) zu Radio, Fernsehen oder Zeitungen. Sie kann Nachrichten und Informationen nicht so verbreiten wie die Islamische Republik es kann. Der Unterschied zwischen dem 27. Dezember und dem 11. Februar war, dass an Ashura (27. Dezember) überall religiöse Feierlichkeiten stattfanden, so dass man sich überall in der Stadt aufhalten konnte. Die Menschen nahmen an diesen Feierlichkeiten teil, darum konnte die Bewegung überall sein. Am 11. Februar jedoch waren die Routen (der Demonstrationen) vorher festgelegt. Wenn die Bewegung sich zeigen wollte, musste sie sich an diese Routen halten. (Die Sicherheitskräfte) hatten alle Straßen seit dem Vortag abgesperrt.
Einer meiner Freunde, der im Iran war, sagte, dass er mit einem Freund zusammen war, der einen Basij-Mitgliedsausweis hatte. Sie wollten an der Demonstration teilnehmen. Er sagte: „Wir sahen Gruppen von Basijis aus Qom, Mashhad usw., und sie ließen niemanden von uns hinein. Es war alles so straff organisiert, dass es Fremden unmöglich war, hineinzukommen. Je näher wir zum Azadi-Platz kamen, desto mehr Sicherheitsaufgebot gab es. Sie stoppten uns, bevor wir am Platz ankamen. Wir sagten, wir seien Basijis. Sie fragten uns nach dem Codewort. Sie hatten also ein Passwort, damit kein Fremder hineinkam.
Nun ist die Frage, warum die Grüne Bewegung [an diesem Tag] nicht erfolgreich war? (Die Regierungskräfte) hatten alles lange im Voraus organisiert. Sie hatten Teams gebildet, die alle von außen von der Demonstration fernhielten, und sie blockierten alle Routen. Wenn das herrschende Establishment so mächtig ist, dann kommt so etwas dabei heraus. Vorher hatten die Leute an 20 bis 30 speziellen Tagen demonstriert, und sie waren erfolgreich gewesen. An diesem einen Tag gelang es den Menschen nicht, wegen der Organisation des Regimes. Das lag nicht an der Schwäche der Bewegung, sondern daran, dass wir nicht über dieselben Ressource verfügten wie das Regime.
Maryam: Nach dem 11. Februar zogen sich viele Unterstützer der iranischen Volksbewegung im Westen zurück. Ich möchte nicht sagen, dass wir einen Niedergang erlebten, aber die Situation beruhigt sich. Warum? Liegt das allein daran, wie der 11. Februar verlaufen ist?
Batebi: Das Verständnis der Bewegung bei den Menschen außerhalb Irans unterscheidet sich stark von dem, was im Iran selbst passiert. Die westliche Welt, die Medien, denken, dass „Bewegung“ gleich „Demonstrationen“ ist, und wenn es keine Demonstrationen gibt, gibt es auch keine Bewegung. Aber wir wissen, dass die Kultur des iranischen Volkes anders ist als die der Außenwelt. Die Tatsache, dass (die iranische Bevölkerung) Parolen in der Farbe Grün (auf Wände und Geldscheine) schreibt und Kassetten und CDs in Umlauf bringt, zeigt, dass die Bewegung lebt. Sie lernt, wie sie ohne Todesfälle und Verhaftungen überleben kann. Die Bewegung geht von einer Form in eine neue über.
In allen sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt sieht man, dass in dem Moment, in dem eine Bewegung in den Untergrund geht, die Aktivisten langsamer werden. Das ist keine Trägheit, sondern lediglich eine Übergangsphase. Wir befinden uns jetzt in dieser Phase. Wenn wir dieses Mal im Juni Demonstrationen haben, wird es weniger Verhaftungen, weniger Tote geben, und so lernen die Menschen. Es ist normal, dass die Regierung lernt, wie sie die Menschen unterdrücken kann und die Menschen ihrerseits lernen, wie sie Widerstand leisten können.
Maryam: Sie meinen, dass die Bewegung in den Untergrund geht?
Batebi: Ja, das tut sie, und sie muss es auch. Auch in der Revolution von 1979 ging die Bewegung in den Untergrund. Darum hat sie auch Erfolg gehabt.
Maryam: Was sagen Sie zu dem Argument, dass die westlichen Medien sich nicht auf die Menschenrechtssituation (im Iran) konzentrieren, sondern mehr auf die Nuklearthematik?
Batebi: Nun ja, es stimmt, aber wir können von der Welt nicht verlangen, dass sie so ist, wie wir sie gern hätten. Die Welt sagt, dies ist meine Sprache, und dies sind die Themen, um die ich mich kümmere. Wir können nicht sagen: „Warum kümmerst du dich um dieses Thema (und nicht um das andere)?“ Wir müssen uns ansehen, was sie senden wollen. Dann müssen wir das [was wir veröffentlicht sehen wollen] veröffentlichen und es den Medien in einem Paket präsentieren, das ein (besonderes) Format einhält.
Es ist die Nuklearfrage, die die Welt umtreibt. Sie ist es, die die Regierungen der Welt beschäftigt, und das wird von den Medien von oben her reflektiert. Die iranische Atomfrage ist für die internationale Gemeinschaft wichtig, weil sie die Sicherheit der Welt gefährden kann. Die Regierungen schenken dem Thema Aufmerksamkeit und vermitteln diese Aufmerksamkeit an die Medien. Aber die Menschenrechtsthematik wird von unten an die Medien gegeben, und dann können die Medien sie ihrerseits an die Regierungen weitergeben. Wir müssen die Medien über alle Fälle von Menschenrechtsverletzungen auf dem Laufenden halten. Wir müssen den Medien Filme, Berichte, Übersetzungen (der Nachrichten) und Artikel schicken. Das wird dazu führen, dass die Medien (Nachrichten über Menschenrechtsthemen im Iran) veröffentlichen und senden. Und die Regierungen werden schließlich hinsehen.
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben