Auf Englisch veröffentlicht bei Persian2English am 8. Juli 2010
Artikel auf Persisch veröffentlicht bei http://hra-news.org/685/1389-01-27-05-26-23/2607-1.html
HRANA – Majid Tavakoli, der inhafiterte Student der Amir-Kabir-Universität (AUT) hat anlässlich des Jahrestages der Angriffe auf die Studentenwohnheime am 9. Juli 1999 (18. Tir) einen Brief verfasst, dessen vollständiger Wortlaut HRANA zufolge wie folgt lautet:
MEINE BITTERE ERINNERUNG
Der 11. Jahrestag der Angriffe auf die Studentenwohnheime am 9. Juli steht bevor, und unser Schmerz ist immer noch nicht verheilt. Am Vorabend dieses 11. Jahrestages brennen unsere Kerzen weiter für eine Ära, in der unsere Freiheit in einer Verschwörung geopfert wurde, bei der es zu Serienmorden kam und alle Zeitungen verboten wurden. Wie immer standen die Studenten bei diesem Kampf gegen den Autoritarismus in vorderster Reihe, aber die Verbrechen, die in den Wohnheimen der Universität geschahen, sprechen nur von beispiellosen Gräueltaten.
Der Verrat an unserem historischen Wunsch nach Freiheit und unserem nationalen Kampf dafür war das Ende der Demokratie und ein Patt für die Republik. Die Universitäten wurden zu einer Brutstätte für alle, die sich der Gewalt verschrieben hatten. Respekt wurde mit Füßen getreten, Grenzen wurden verletzt, und alles gipfelte darin, dass die Türen zu den Zufluchtstätten [oder auch „Heiligtümern“ (sanctuaries), d. Übers.] der Studenten eingetreten wurden.
Alles, worauf ihr Blick fiel, zerstörten sie oder brannten es nieder. Schutzlose Studenten wurden zum Ziel ihrer Schlagstöcke oder ihrer Schusswaffen, alles im Namen der Religion und in Unterstützung des Obersten Führers. Sie stießen unsere Schulkameraden aus den Fenstern der Wohnheime, und es gab noch mehr blutgetränkte Nächte und schmerzvolle Tage.
Sie tränkten den 9. Juli in Blut. Sie brandschatzten und zerstörten, bis nichts als Asche zurückblieb. Sie stellten sicher, dass der Schmerz, den sie zufügten, monate- und jahrelang anhalten würde. Die Zeit stand still am 9. Juli 1999, und die Universitäten wurden zu einem immerwährenden Symbol des Kampfes der Studenten gegen Autoritarismus und für den Freiheitskampf.
Doch zehn Jahre später lebt der Hass gegenüber der Tyrannei in den Herzen derer fort, die die Ereignisse des 9. Juli mitangesehen hatten. Die schmerzliche Geschichte des 9. Juli fand ihre Fortsetzung im Jahre 2009, als die Herrschenden erneut zur Gewalt griffen, erneut unsere Schulkameraden vergewaltigten und ermordeten, und die Folterkammern des Kahrizak-Gefängnisses in eine Ausstellung der abscheulichsten und bittersten Verbrechen jener Jahre verwandelten.
Offenbar gab es in jedem Winkel der Regierung Menschen, die mehr als bereit dazu waren, Unschuldige in die Folterkammern von Kahrizak zu schicken, nachdem sie am 9. Juli unterdrückt und verhaftet worden waren. Sie wandten die grauenhaftesten Foltertechniken gegen Menschen an, deren einziges Verbrechen darin bestand, ein Student zu sein. Viele von ihnen starben unter dem Druck der Vergewaltigungen und Folter.
Während der 9. Juli [1999] mit den Jahren zu etwas Ewigem wurde, erlebten wir dieses Jahr [10 Jahre später] die Geburt der Grünen Bewegung. Die Proteste, die Lügen, die Gewalt, der Aberglaube, die Kriecherei, der Verrat, die Morde, die Heimtücke und die Verbrechen an der Schwelle zum 15. Juni 2009 in den Wohnheimen der Universität war nichts weiter als die Geschichte, die sich wiederholte. Dieses Mal waren zu den Myriaden eingesetzter Waffen auch Kugeln hinzugekommen. Wenn der 9. Juli für den Mut und die Ehrlichkeit des Widerstandes der Universitäten stand, wurden der 15. Juni 2009 und die darauf folgenden Proteste zu einem Symbol des Muts und des Aufbruchs aus Gewalt, Tyrannei und Schande.
Der Oberste Führer, der Entscheidungsträger hinter all den Ereignissen, die auf die Wahl von 1999 [das muss m. E. 2009 heißen, d. Übers.], spielte auf die Gräuel an den Uni-Wohnheimen an, aber ebenso wie im Fall der Verbrechen von Kahrizak waren diese Äußerungen nichts weiter als bedeutungslose Gesten, genährt aus der Nervosität angesichts der Ereignisse vom 9. Juli, und als solche wurden sie schnell vergessen.
Es gab immer mehr emotionale Reden und irrationales Verhalten. Verantwortung wurde eingebü0t. Wenn es Äußerungen gab, dann nur, um die Grünen Führer und die politischen Aktivisten zu bedrohen. Extremismus und Repression hätten nicht die Antwort auf die Menschen sein dürfen, die Fragen stellten. Ebenso wurde der Putsch gegen die herrschende Regierung, der am 9. Juli 1999 stattfand, nie untersucht.
2009 liegt vielleicht hinter uns, aber die Jahre vernachlässigter Führung und fehlender Verantwortung für die bitteren Ereignisse bleiben uns. Durch sie ist die Würde des iranischen Volkes intakt geblieben. Auch wenn unser Volk lebendiger geworden ist und der Welt gezeigt hat, dass es eine bessere Regierung verdient, bleiben die bitteren Erinnerungen an die Ereignisse an der Universität bestehen.
Die intensivierte kulturelle und wirtschaftliche Krise, das Vertiefen der sozialen und politischen Spaltungen, die verlorene Legitimität und Würde der herrschenden Regierung, das inakzeptable Verhalten und Vorgehen der Behörden im vergangenen Jahr – all das waren verzweifelte Versuche, die von der Grünen Bewegung wiederbelebte Hoffnung einzuschüchtern und zu unterdrücken. Der Kampf der Regierung gegen Hoffnung und Aufklärung führt zu Angst, verbunden mit einem hohen Preis für alle Freiheitssucher. Aber weil wir Mut und Hoffnung haben, wird auch das vorübergehen.
Heute erleben wir an den Universitäten, wie Studenten in großen Zahlen durch Studienverbote an der Fortsetzung ihres Studiums gehindert werden. Jedes Jahr kommen mehr Studenten hinter Gitter. Wir erleben beispiellose Ausschließungen von Bildung und von Prüfungen, Eingriffe in die Rechte von Studenten, Suspendierungen, Kündigungen von Professoren, ein Abwandern unseres geistigen Potenzials und unserer Intellektuellen ins Exil. Doch trotz des Strebens der Feinde der Universitäten haben unsere Universitäten nicht geschwiegen. Tatsächlich hat sich das Evin-Gefängnis in eine Art Universität verwandelt, es ist voll mit leidenschaftlichen und hoffnungsvollen Jugendlichen, den Begründern der Studentenbewegung und denen, die der Motor der Grünen Bewegung sind. Dies beweist wieder einmal, dass trotz Repression und Einschüchterung und trotz des hohen Preises, der mit diesem Kampf verbunden ist, die Studenten die Oberhand gewonnen haben und siegreich bleiben.
Die Studentenbewegung, die inhaftierten Studenten, die Studenten, die ihr Studium nicht forsetzen dürfen, sind Leuchtfeuer und Symbole der Hoffnung geworden. Den Universitäten wird heute vorgeworfen, ein Motor für die Grüne Bewegung zu sein, und sie werden intensiv angegriffen. Die Feinde der Universitäten streben die Schließung und Beseitigung aller unabhängigen Bildungseinrichtungen und geisteswissenschaftlichen Institutionen an, die eine Quelle des Wissens und der Bewusstseinsbildung sind. Sie wollen Universitäten ohne Impulse. Sie wollen die Erinnerungen an den 9. Juli und den 7. Dezember aus unserem kollektiven Gedächtnis tilgen. Trotz alledem bleibt die Universität der größte Albtraum der herrschenden Regierung. Die Universität wird durch all diese Verschwörungen und Täuschungen im Namen des Islam nicht fallen. Sie wird bleiben, bis alle Feinde dem Mut und der Beharrlichkeit erliegen, die für den Widerstand gegen die Unterdrückung maßgeblich gewesen sind.
Die Tatsache, dass die Erinnerungen an den 9. Juli so lebendig bleiben, ist ein Zeugnis unseres starken Willens. Wir sind sicher, dass der 9. Juli als ein weiteres Zeichen des Sieges der dynamischen Bewegung lebendig bleiben wird, die vor langer Zeit begonnen hat.
Heute setzt die Studentenbewegung ihren Weg noch entschlossener fort als zuvor. Sie ist eine Quelle der Bewusstheit und ein Symbol des Mutes. Sie versteht unsere Gesellschaft und erstreckt sich auf die Intellektuellen. Unsere Studentenbewegung unterstützt entschieden den Journalismus und politische und soziale Aktivitäten. Sie ist gegen jede Form von Gewalt und ruft dazu auf, Verbindungen mit unserer Kultur aufzunehmen. Die Studentenbewegung möchte die Grünen Führer in einer so wichtigen Zeit nicht allein lassen und wird alle Möglichkeiten nutzen, sicherzustellen, dass Studenten effizienter und effektiver zusammenarbeiten können. Die Studentenbewegung respektiert Erfahrungen aus der Vergangenheit und ist entschlossen, diese Erfahrungen zu dokumentieren und zu verbreiten, um alle weiteren Aktivitäten zu stärken.
Die Studentenbewegung weiß um die Unterdrückungstaktiken und wird hart dafür arbeiten, die Studenten zu schützen. Sie wird sicherstellen, dass dies auf eine Weise geschieht, die mit einer Strategie vereinbar ist, die uns dem Sieg näher bringt.
Heute freuen wir uns, dass die klaren Stimmen aus den Universitäten selbst in den Gefängnissen hörbar sind. Wir freuen uns zu wissen, dass unsere Freunde unsere Hoffnung am Leben erhalten haben. Die Stimmen unserer Freiheitssuchenden haben die Rufe der Diktatur zum Schweigen gebracht. Wir sind froh und geehrt, an der Seite unserer studentischen Freunde zu sein. Wir rufen alle Studenten auf, sich uns anzuschließen, denn wir haben die Hoffnung und Gewissheit, dass wir uns in naher Zukunft treffen werden, um unsere Grüne Freiheit und die Ankunft der Demokratie zu feiern.
Unserer Geschichte steht vor einer Erneuerung, sie wird sich verändern. Dieses Mal haben wir mit unseren bitteren Erinnerungen begonnen. Aber wir haben die Härten überlebt. Die Schwierigkeiten und die Bitterkeit des vergangenen Jahres haben dazu geführt, dass wir mehr Hoffnung haben. Dieses Mal wünschen wir uns, ein neues Jahr zu feiern. Wir wollen feiern, denn wir sind uns unseres Sieges gewiss.
Majid Tavakoli
6. Juli 2010 – Evin, Abteilung 350
Übersetzung aus dem Englischen: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben