Folter in Evin: Eigene Erlebnisse und Interviews eines Journalisten

Saeed Pourheydar

ICHRI, 2. Juni 2011 – In einem Interview mit ICHRI hat der nach der Präsidentschaftswahl von 2009 zwei Mal verhaftete und schließlich zu 5 Jahren Haft verurteilte Journalist Saeed Pourheydar seine eigenen Erfahrungen und Haftumstände und die Folter anderer politischer Gefangener im Evin-Gefängnis beschrieben.

Saeed Pourheydar hatte früher für mehrere reformorientierte Zeitungen geschrieben. Wie er der Kampagne „International Campaign for Human Rights in Iran“ [ICHRI] berichtete, wurde er zum ersten Mal nach der Präsidentschaftswahl von 2009 am 6. Februar 2010 vom Geheimdienstministerium in seiner Wohnung und zum zweiten Mal am 10. Oktober 2010 nach einer Vorladung zum Gericht im Evin-Gefängnis verhaftet. Nach seiner ersten Verhaftung saß er einen Monat lang in Abteilung 240 von Evin ein, nach der zweiten Verhaftung verbrachte er bis zur Urteilsfällung durch das Berufungsgericht 52 Tage im Gefängnis. Als das Berufungsgericht sein Urteil bestätigte, verließ Pourheydar Iran. Zur Zeit lebt er im Ausland.

„Der Untersuchungsrichter erhob Anklage in fünf Punkten gegen mich: Regimefeindliche Propaganda, Versammlung und Verdunkelung mit Umsturzabsicht, Störung der öffentlichen Ordnung, Beleidigung des Präsidenten sowie Beleidigung der Heiligtümer und Hinterfragung islamischer Vorgaben. Richter Pirabbasi, der vorsitzende Richter von Abteilung 26 des Revolutionsgerichts, verurteilte mich zu 5 Jahren Haft, einem zehnjährigen Journalismusverbot und einer Geldstrafe in Höhe von 3.000 Dollar. In meiner Fallakte gab es abgesehen von meinen persönlichen Blogs und meinen Interviews mit Medien im Ausland keine Gründe oder logischen Beweise, die meine Verhaftung oder Verurteilung gerechtfertigt hätten“, so Pourheydar.

„Selbst wenn ein Gefangener keine physische Misshandlung oder Folter erleiden muss, ist die Einzelhaft an sich eine Manifestierung psychologischer und mentaler Folter. Die schwerwiegendste Misshandlung, die ich im Gefängnis erfahren habe, war die psychische und mentale Folter („Weiße Folter“). Hin und wieder wurde ich auch körperlich gefoltert, u.a. gab es Schläge während der Verhöre, Schlafentzug, einmal wurde ich in einen Behälter mit kaltem Wasser geworfen, und ich musste unbekleidet draußen in der Kälte stehen. Einige der mentalen und psychischen Foltermethoden bestanden darin, dass man mir falsche Nachrichten und Informationen lieferte, mir mit Auspeitschung drohte, mich zwang, unmoralische Vergehen zu gestehen, mir mit der Verhaftung meiner Familienmitglieder drohte bzw. mir erzählte, dass meine Frau und mein Vater verhaftet worden seien. Bei einem Verhör spielten sie mir die Stimme meiner Tochter vor und erzählten mir, dass auch meine Frau und meine Tochter verhaftet wurden. Sie drohten mir eine lange Haftstrafe an und verboten mir Besuche und Kontakt mit meiner Familie.“

„Bevor ich ins Gefängnis musste, habe ich wegen meiner Herzerkrankung jeden Tag eine Tablette nehmen müssen. Das ‚Geschenk‘ meiner einmonatigen Einzelhaft besteht darin, dass ich nach meiner Freilassung täglich drei Herztabletten und zusätzlich Beruhigungsmittel nehmen musste. Nach vier Tagen Hungerstreik – bei dem ein Gefangener normalerweise Gewicht verliert – habe ich innerhalb eines Monats 9 kg abgenommen, und einmal erlitt ich nach dem Verhör einen Herzinfarkt“, so Pourheydar.

„Die Haftbedingungen in den Abteilungen mit Einzelzellen sind anders als die in der allgemeinen Abteilung. In den Einzelzellen haben die Gefangenen keinen Zugang zum Laden, zu den Sporteinrichtungen, Büchern etc. Manche Zellen haben eine Toilette, manche aber auch nicht, und in diesem Fall muss der Gefangene sich mit verbundenen Augen von einem Wachmann zur Toilette führen lassen… In der allgemeinen Abteilung 350, wo die politischen Gefangenen einsitzen, sind die Bedingungen etwas besser. Dort gibt es einen Laden, einen Hof für den Freigang, eine Bücherei, ein beschränktes Angebot an Sportmöglichkeiten, Heizung usw., außerdem haben die Gefangenen die Möglichkeit, gegen Bezahlung weitere Annehmlichkeiten in Anspruch zu nehmen.“

„In Abteilung 350 gibt es feste Wach- und Schlafenszeiten, aber in den Einzelzellen wissen die Gefangenen nicht einmal, ob Tag oder Nacht ist. In Abteilung 350 werden die Gefangenen um 7:00 Uhr geweckt, um 22:00 Uhr beginnt die Nachtruhe. Zwei Mal täglich gibt es einen Appell, d. h. die Gefangenen der allgemeinen Abteilung finden sich auf dem Hof ein und werden gezählt. Der Morgenappell ist um 7:00 Uhr, der Abendappell um 18:00Uhr. Aber die Gefangenen mussten die Ruhezeiten nicht einhalten. Abgesehen von den zwei Appellen pro Tag, wo jeder anwesend sein musste, konnten wir selbst entscheiden, ob wir schlafen wollten oder nicht.“

„Die Bücher, die es in Abteilung 350 gibt, sind ausnahmslos solche, die von der Gefängnisbehörde genehmigt wurden, und die meisten dieser Bücher sind für die Gefangenen natürlich uninteressant und werden nicht gelesen. Viele Bücher waren alt, meine Freunde nannten sie „Bücher mit niedrigem bzw. ohne Risiko“. Die normalen Abteilungen bekamen die Zeitung Kayhan, aber Abteilung 350 nicht. Nach meiner Freilassung erfuhr ich von meinen Freunden, dass die Gefangenen jetzt nicht einmal mehr diese nutzlosen Zeitungen lesen können. In den Einzelzellen gibt es für die Gefangenen überhaupt keine Bücher oder Zeitungen.“

„Viele meiner Mitgefangenen in Abteilung 350, die zuvor schon in den Abteilungen 209, 240 und der IRGC-Abteilung 2A in Einzelhaft gesessen hatten, waren in irgendeiner Art psychisch, mental oder körperlich gefoltert worden. In meiner Zeit in Abteilung 350 konnte ich mit 19 Freunden sprechen, die gefoltert worden waren. Am meisten wurde in der Abteilung gefoltert, die den Revolutionsgarden (IRGC) gehört, und je nachdem, was die Sicherheitskräfte für den jeweiligen Gefangenen vorgesehen hatten, gab es unterschiedliche Arten und Intensitäten der Folter. Wenn sie z. B. darauf aus waren, jemanden zum Ablegen eines falschen Geständnisses zu zwingen, haben sie alle Mittel angewandt, die ihnen zur Verfügung stehen. Meine Freunde haben mir in den Gesprächen vollständige Beschreibungen dessen gegeben, was sie in der Einzelhaft durchgemacht haben. Diese Geschichten über die furchtbaren psychischen und körperlichen Folterungen haben mir neue Einblicke in die Brutalität des Regimes im Umgang mit seinen politischen Gefangenen gegeben.“

„Schläge, urinieren ins Gesicht und auf den Kopf, Aufhängen an den Füßen, Auspeitschen, Elektroschocks, Schläge auf empfindliche Körperstellen und ein Fall einer entsetzlichen Vergewaltigung unter Anwendung von Klebstoff sind nur einige der Folterungen, von denen meine Freunde mir erzählten. Es gab Scheinhinrichtungen, Beleidigungen und Erniedrigungen, Verhaftung von Familienmitgliedern, Drohungen, die Ehefrau oder Tochter des Gefangenen zu verhaften und zu vergewaltigen, Drohungen mit Todesstrafe, Zwangsverabreichung psychedelischer Drogen usw. – das ist nur ein kleiner Teil der psychischen und mentalen Foltermethoden in den Gefängnissen der Islamischen Republik, die die 19 Mitgefangenen erlebt hatten. Die Zahl der Folteropfer war weitaus höher als 19, aber während meiner Zeit in Abteilung 350 konnte ich nur mit 19 von ihnen sprechen. Einige von ihnen wurden später hingerichtet, andere sitzen dort immer noch ihre Haftstrafen ab.“

Veröffentlicht bei International Campaign for Human Rights in Iran am 2. Juni 2011
Quelle (Englisch): http://www.iranhumanrights.org/2011/06/saeed-pourheidar-1/
siehe dazu auch: https://englishtogerman.wordpress.com/2011/05/13/folter-in-evin/

3 Antworten zu “Folter in Evin: Eigene Erlebnisse und Interviews eines Journalisten

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