21. Juni 2011 (Tavaana/Mohammad Mostafaei) – Sadegh Larijani war bis zu seiner Ernennung durch den Obersten Führer im August 2009 (Mordad 1388) anders als seine beiden Brüder [Parlamentspräsident Ali Larijani und Mohammad Javad Larijani, Leiter des Menschenrechtsrats der iranischen Justiz] wenig bekannt, obgleich er eine Zeit lang eines der geistlichen Mitglieder des Wächterrats gewesen war.
Etwa eineinhalb Jahre sind seit seiner Ernennung zum iranischen Justizchef vergangen. Der in Norwegen lebende iranische Anwalt Mohammad Mostafaei hat die Bedeutung der Ära Larijani für die iranische Justiz analysiert. Im Folgenden sind Auszüge aus seiner Analyse abgedruckt:Die Tatsache, dass ein Mensch von einem anderen Menschen zum Justizchef „ernannt“ werden muss, spricht ihm die Möglichkeit und das Recht ab, unabhängig zu handeln, denn seine Ernennung für bzw. Entlassung von dem Posten ebenso wie die Gesamtheit seiner Pflichten unterliegen der Kontrolle einer „dritten Partei“ – dem Herrscher des Landes.
Bislang gab es keinerlei Unabhängigkeit in der Justiz. Herr Larijani ist völlig in der herrschenden Gruppe aufgegangen und verfügt über keinerlei unabhängige und eigene Autorität. Seine Macht und seine Befehle erhält er vom Geheimdienst, und innerhalb der Justiz übt er eine gewalttätige Macht aus.
Alle Schlüsselpositionen in der Justiz werden von Herrn Larijani direkt besetzt und stehen in Verbindung mit dem Geheimdienst oder dem Obersten Führer. Demzufolge stehen alle Befehle, die herausgegeben werden, „über dem Gesetz“.
Meiner Ansicht nach erlebte dieses Brachland in der Ära Shahroudi eine gewisse Verbeserung. Er beseitigte einige Trümmer und versuchte, neue Fundamente zu legen. Unter Larijani wurde jedoch alles, was Herr Shahroudi getan hatte, genau unter die Lupe genommen. Im Moment würde ich sagen, dass sein Haus ein Sumpf geworden ist. Wir alle sehen, wie das „Justizsystem“ von Korruption, Erpressung, ungesetzlichen Anordnungen, illegalen Verhaftungen und Massenhinrichtungen heimgesucht wird.
Der Justizchef sollte jemand sein, dessen Werdegang und Entwicklung sich innerhalb des Justizsystems abgespielt hat. Jemand, der mit dem Schmerz und dem Leid des Volkes vertraut ist. Jemand, der die Mängel des Justizsystems gut kennt. Anderenfalls wird er das gesamte System mit Korruption, Bestechung, und Unrecht überziehen und schließlich in den eigenen Untergang reißen.
Ich kann sagen, dass das Unrecht sich durch alle Fälle zieht, in denen die Interessen des Regimes berührt werden. Die Unabhängigkeit des Justizsystems wird völlig verzerrt, da die Elemente des Geheimdienstes sich nur allzu oft einmischen und in solchen Fällen schließlich die letzte Entscheidung treffen.
Richter werden oft aus den Reihen des Theologischen Seminars in Qom rekrutiert, d. h. es handelt sich um Personen, die mit Rechtsfällen oder den Grundlagen des Straf- oder Zivilrechts überhaupt nicht vertraut sind. Diese Richter haben einen großen Teil ihres Lebens damit verbracht, religiöse Schriften zu studieren. Gewaltanwendung hat ihren Geist geformt, und sie haben keinerlei Kenntnis über die Grundrechte der Menschen.
In unserem Justizsystem schenkt Herr Larijani den positiven Aspekten des Islam [des islamischen Rechts] keinerlei Beachtung. Ihn interessieren nur die negativen und gewalttätigen Aspekte.
Viele mutige Anwälte wie Herr Dadkhah, Herr Soltani, Herr Zarafshan und Herr Seifzadeh sind oder waren im Gefängnis. Herr Oliayifar und Frau Nasrin Sotoudeh sind im Gefängnis. Jeder unabhängige Jurist wird vom Geheimdienst unter Druck gesetzt und kann seine Arbeit nicht machen. Fünf meiner eigenen Kollegen – unter anderem Sara Sabaghian, Maryam Kian-Arsi und Maryam Karbasi – wurden um 4 Uhr Morgens am Imam-Khomeini-Flughafen verhaftet. Auch Dr. Ghareh Ghozlou, eine angesehene Anwältin und Professorin, wurde in ihrer Wohnung verhaftet. All dies sind Indikatoren für eine Repression gegen Anwälte, mit der die Stimme der Gerechtigkeit zum Schweigen gebracht werden soll.
In sehr, sehr vielen Fällen war auch Geiselnahme involviert, nicht nur in meinem eigenen. Es gibt keine Diskretion über welches Verbrechen, welche Strafe auch immer. Neben meinem eigenen Fall gibt bzw. gab es auch den Fall der beiden amerikanischen Wanderer, die seit 15 Monaten unrechtmäßig in Iran festgehalten werden, und den Fall der beiden in Tabriz verhafteten deutschen Journalisten.
Die verbalen Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem Justizchef sind zum Teil ein politisches Spiel, zum Teil beruhen sie aber auch auf echten politischen Meinungsverschiedenheiten.
[Die seit Februar ohne Anklage und ohne erkennbare juristische Beteiligung unter Hausarrest stehenden Oppositionsführer] Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi und ihre Freunde werden innerhalb der Regierung niemals irgendeine Position von Bedeutung erlangen, so lange dieses Regime lebt. Sie wurden eliminiert und ersetzt.
Herr Moussavi und Herr Karroubi können wegen ihres Hintergrunds und wegen der Unterstützung, die sie zur Zeit haben, nicht vor den Obersten Richter [? Supreme Justice] oder die Teheraner Staatsanwaltschaft gebracht werden. Sie werden von [so bekannten Personen wie] Hashemi Rafsanjani, Mohammad Khatami oder Hassan Khomeini [Enkel von Ayatollah Khomeini], aber auch von vielen anderen, die sie persönlich kennen, unterstützt.
Sogar Herr Larijani selbst hat vor einigen Monaten gesagt, dass die iranische Justiz ein politisches System ist. Er selbst gibt regelmäßig politische Kommentare ab und gibt offen zu, dass in vielen seiner Fälle politisch vorgegangen wird.
Übersetzung aus dem Englischen. Anmerkungen in eckigen Klammern: Julia
Aus dem Persischen ins Englische übersetzt von Azita Eraani
Quelle (Persisch): Tavaana
Anmerkung: Der Artikel ist insgesamt 9 oder 10 Seiten lang. Azita Eraani hat in ihrer Übersetzung nur die ihrer Meinung nach wichtigsten Punkte herausgegriffen.
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