Kurzmeldungen aus Iran – 15. Juli 2011

Mesbah Yazdi (l.), Ahmadinejad

Tehran Bureau, 15. Juli 2011 (Auszüge)

1. Kontroversen um Ahmadinejad
In Reaktion auf die zunehmende Kritik an seiner Unterstützung für Mahmoud Ahmadinejad – vor allem auf einen offenen Brief von Ayatollah Mohammad Javad Hojjat Kermani – hat Ayatollah Mohammad Taghi Mesbah Yazdi betont, er habe niemals gesagt, dass der innere Kreis um den Präsidenten aus Freimaurern bestehe bzw. von Freimaurern infiltriert worden sei (in Iran gelten die Freimaurer schon immer als Agenten Großbritanniens). „Ich glaube weiterhin an Ahmadinejad und unterstütze ihn“, so Mesbah Yazdi.
Die Webseite Ayandeh News (die Akbar Hashemi Rafsanjani und den gemäßigten Konservativen nahesteht) reagierte umgehend auf das Dementi und veröffentlichte ein Foto des Artikels, in dem der reaktionäre Geistliche seine Behauptungen über Verbindungen des Kabinetts mit den Freimaurern veröffentlicht hatte.

Azadeh Ardakani, Kuratorin des iranischen Nationalmuseums, ist von ihrem Posten entlassen worden. Sie steht Ahmadinejads Kabinettschef und engstem Vertrauten Esfandiar Rahim Mashaei nahe. Ruhollah Ahmadzadeh, Leiter der Organisation für Kulturerbe und Tourismus, ernannte Dariush Akbarzadeh zu ihrem Nachfolger.
Ardakani, die auch Mashaeis Englischlehrerin gewesen sein soll, war zur Kuratorin bestellt worden, nachdem sie einen Bachelor-Abschluss in Mikrobiologie erlangt hatte. Mehrere Berichte sprechen davon, dass sie verhaftet worden sein soll.

Gerüchten zufolge soll auch Vizepräsident Hamid Baghaei verhaftet worden sein. Die Gerüchte verstärkten sich, als der Ahmadinejad-Berater Mojtaba Samareh Hashemi auf entsprechende Fragen ausweichende Antworten gab. Neuere Berichte sprechen davon, dass Baghaei nicht verhaftet wurde. Anderen Berichten zufolge hat er an den letzten Kabinettsitzungen nicht teilgenommen.

Die Vizepräsidentin für Rechtsfragen, Fatemeh Bodaghi, erklärte, es sei gegen kein Mitglied von Ahmadinejads Kabinett eine gerichtliche Vorladung oder ein Haftbefehl ausgestellt worden. Derartige Anordnungen würden mit den Rechtsabteilungen der Regierungsorgane koordiniert, so Bodaghi.

Die konservative Tageszeitung Jomhouriye Eslami wirft Ahmadinejad vor, die armen Bevölkerungsteile gegen das politische System aufbringen zu wollen. In ihrem Leitartikel schreibt die Zeitung: „Eine Regierung, die sich am Ende ihres sechsten Amtsjahres befindet, verspricht dem Volk noch immer alles Mögliche, wobei sie sehr wohl weiß, dass die Versprechungen nicht einzulösen sind. Solche Versprechungen stinken nach ‚Wahlen‘ (eine Anspielung auf die nächste Parlamentswahl im kommenden März) und werden die Erwartungen der Bevölkerung in die Höhe treiben. Vor allem provozieren sie die Ärmeren.“
Wie von Tehran Bureau berichtet, hatte Ahmadinejad kürzlich zugesagt, dass seine Regierung jeder iranischen Familie 1000 m² Grund kostenlos zur Verfügung stellen werde, damit sie ihr „Traumhaus“ bauen können.

Nach Angaben von Jahan News, die Webseite des erzkonservativen Abgeordneten und früheren Basij-Kommandanten Ali Reza Zakani, könnte der 1. Vizepräsident Mohammad Reza Rahimi die Regierung Ahmadinejad verlassen. Er soll sich Jahan News zufolge beim Präsidenten über dessen mangelnde Autorität beschwert haben.

2. Aus der Propagandaabteilung/unfreiwillig Komisches
In einer Rede in Tabriz ging Ahmadinejad schonungslos mit allen bisherigen Regierungen der Islamischen Republik von 1979 bis 2005 ins Gericht. Die Arbeit, die seine Regierung für Iran geleistet habe, sei „um ein Vielfaches größer als die aller früheren Regierungen zusammen“. Dann dankte der Präsident all seinen Vorgängern.

3. Internationales
Der frühere Botschafter für Iran in China und Befehlshaber der Revolutionsgarden Javad Mansouri hat Berichte bestätigt, dass mindestens 40 iranische Botschaften derzeit nicht mit einem Botschafter besetzt sind. Außenminister Ali Akbar Salehi hatte diese Berichte dementiert.
Mansouri, der unter Ali Akbar Velayati stellvertretender Außenminister war, gab außerdem preis, dass seit Ahmadinejads erstmaliger Wahl zum Präsidenten in 2005 mehrere hundert erfahrene Diplomaten und Ministeriumsmitarbeiter in den Zwangsruhestand versetzt wurden.
„Die letzten Jahre waren für das Außenministerium eine besondere Zeit – es hatte nicht mehr seine (traditionelle) Autorität, weil der Präsident bei den Entscheidungen des Ministeriums mitgemischt hat, was (das Land) auf vielfältige Weise geschädigt hat. So hat das Ministerium viele erfahrene Mitarbeiter verloren. In den letzten zwei Jahren musste 600 Mitarbeiter gehen, was dem Außenministerium definitiv schweren Schaden zugefügt hat. Zudem wurden diese Mitarbeiter nie ersetzt. Selbst die Botschaften, die noch über Botschafter verfügen, sind mit unterdurchschnittlich schwachem Personal besetzt, das nur eingestellt wurde, weil der Präsident dies angeordnet hat.“

Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning hat Iran aufgefordert, [die seit Februar unter Hausarrest stehenden Oppositionsführer] Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi freizulassen. Die beiden würden „ohne jegliche rechtliche Grundlage ohne Kontakt zur Außenwelt an einem unbekannten Ort festgehalten“ und müssten „ebenso wie alle anderen politischen Gefangenen“ freigelassen werden, so Löning in seiner genau fünf Monate nach Beginn des Hausarrests der Ehepaare Moussavi und Karroubi abgegebenen Erklärung.

Außenminister Ali Salehi erklärte am Dienstag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem österreichischen Amtskollegen [Michael Spindelegger], Iran beanspruche nicht, über eine makellose Menschenrechtsbilanz zu verfügen.
Spindelegger: „Wir sind besorgt über das allgemeine Klima und einige spezifische Praktiken. Insbesondere habe ich die Verhaftung zweier Menschenrechtsaktivistinnen angesprochen.“ Er habe sich zudem nach den inhaftierten amerikanischen Wanderern erkundigt, die in wenigen Tagen [in Iran] vor Gericht erscheinen müssen.
Salehi erklärte, Iran sei entschlossen, seine Menschenrechtssituation zu verbessern: „Es gibt auf der ganzen Welt kein Land, das von sich behaupten kann, eine makellose Menschenrechtsbilanz vorweisen zu können. Wir behaupten nicht, dass in unserem Land alles zum Besten bestellt ist. Wir sind entschlossen, den Schutz der Grund- und Menschenrechte zu gewährleisten.“

4. Parlamentswahl 2012
Nachdem der ehemalige Präsident Mohammad Khatami [vor längerer Zeit] Bedingungen für eine Teilnahme von Reformern und Unterstützern der Grünen Bewegung an der bevorstehenden Parlamentswahl formuliert und für den Fall der Nichterfüllung dieser Bedingungen von einer Teilnahme abgeraten hatte, schreibt die Webseite Javan – Sprachrohr der Revolutionsgarden – Khatami habe bei einem privaten Treffen erklärt, die Reformer müssten „unter allen Bedingungen an den Wahlen teilnehmen.“ Der frühere Präsident habe außerdem gesagt, dass die Reformer von den Auseinandersetzungen der Hardliner und Konservativen profitieren könnten, doch „angesichts der von Moussavi und Karroubi geschaffenen Bedingungen haben sie den schlimmsten Verrat an den Reformern begangen – anderenfalls hätten wir als Helden an der Wahl teilnehmen können.“
Javan blickt auf eine lange Liste von Lügen über die Reformer und die Grüne Bewegung zurück.

Der einflussreiche linksgerichtete Geistliche Ayatollah Seyyed Mohammad Mousavi Khoeiniha unterstützt die von Khatami genannten Bedingungen. Auf die Frage, ob er eine Teilnahme der Reformer an den Wahlen im nächsten Jahr befürworte, erklärte Khoeiniha: „Viele unserer Freunde sitzen unter falschen Anklagen im Gefängnis, zwei treue Diener unserer Nation, Mir Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi, stehen unter Hausarrest, und die Presse möchte unabhängig und frei ihre wahre Mission erfüllen, kann dies aber nicht tun. Kann man unter solchen Bedingungen an Wahlen teilnehmen? Welche Sünde haben wir begangen, um über Monate und Jahre zum Ziel hässlichster Angriffe zu werden? Sollen wir trotzdem an Wahlen teilnehmen, die von denselben Leuten geleitet werden, die uns und unseren Freunden all das angetan haben?“

5. Rafsanjani
Bei einem Zusammentreffen mit Vertretern der Universität Shiraz erklärte Rafsanjani, der immer noch dem Schlichtungsrat vorsteht, freie Wahlen würden dem Land helfen, sich aus den „gegenwärtigen Bedingungen“ zu befreien. „Unter den gegenwärtigen Umständen müssen die Menschen, vor allem die Jugend, die Studenten, aber auch andere Bevölkerungsschichten, ihre Meinung äußern können, ihre Fragen stellen dürfen und von den Offiziellen Antworten erhalten. Denn wenn wir (die Offiziellen) auf solche Fragen keine Antworten geben, werden die Antworten von anderen kommen, die Abweichler sein könnten.“
Seine Beziehung zu Ayatollah Khamenei beschrieb Rafsanjani als „sehr gut“, fügte aber hinzu: „Das bedeutet nicht, dass es nicht auch Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gibt. Aber ich habe immer versucht, die Probleme nach bestem Vermögen durch Gespräche und Beratungen mit den Offiziellen zu lösen.“

6. Wirtschaft
Die Zentralbank hat in einer Erklärung Grünes Licht für die Streichung von 4 Nullen in der nationalen Währung gegeben. Ein US-Dollar wird statt jetzt 1200 Toman nur noch 0,12 Toman kosten. Es sei eine Webseite eingerichtet worden, auf der Informationen erhältlich und die Möglichkeit zu Diskussionen gegeben sei.
Der Wirtschaftsexperte und ehemalige Vizepräsident Ahmadinejads, Davoud Danesh Jafari, erklärte, mit der Streichung von Nullen werde man kein einziges Problem lösen können.

7. Streiks in Kurdischen Gebieten
Mehreren Berichten zufolge werden viele kurdische Gebiete in Iran zum 22. Jahrestag der Ermordung von Dr. Abdolrahman Ghasemlou, Generalsekretär der Kurdischen Demokratischen Partei, bestreikt. Offenbar gibt es in den entsprechenden Gebieten ein hohes Sicherheitsaufgebot. Ghasemlou war während einer Reise nach Wien erschossen worden, wo er mit Vertretern der iranischen Regierung verhandeln wollte. Niemand wurde im Zusammenhang mit dem Mord jemals verhaftet.

8. Gefangene und ihre Familien
Die zum Tode durch Steinigung verurteilte Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani, deren Todesurteil nach weltweiten Protesten ausgesetzt worden war, hat Hafturlaub erhalten, um an der Beerdigung ihrer Mutter teilnehmen zu können. Ashtiani ist wegen Beteiligung am Mord an ihrem Ehemann sowie Ehebruch verurteilt. Der Hafturlaub könnte darauf hindeuten, dass ihr Todesurteil nicht vollstreckt werden soll.

8. Verhaftungen
Dr. Omid Kokabi, ein Postdoc-Student der Physik und Experte für Laserphysik an der Universität Austin/Texas, war im Februar nach Iran gereist, um seine Familie zu besuchen, und war bei seiner Ankunft verhaftet worden.
Berichten zufolge soll er stark unter Druck gesetzt worden sein, um sich mit Aussagen selbst zu belasten und seine Professoren und Mentoren zu denunzieren. Er soll sich in der berüchtigten Abteilung 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses befinden.
Kokabi, ein Sunnit und Turkmene, wird als vollkommen unpolitisch beschrieben. Die Gründe für seine Verhaftung sind nach wie vor unklar. In einem bewegenden Brief an Justizchef Sadegh Larijani beschreibt Kokabi, wie er im Gefängnis unter Druck gesetzt wird und schreibt: „Ich weiß noch immer nicht, warum ich verhaftet wurde und warum mir die Ansichten meiner Befrager aufgezwungen werden sollen. Was ich weiß, ist, dass mein Alter und meine Akte zeigen, dass ich nie politisch war und dass weder ich noch meine Familie politisch aufgefallen sind. Ich bitte Sie in Ihrer Eigenschaft als Chef der Justiz, mir zu ermöglichen, dass ich mich vor Gericht verteidigen kann.“
Sein Anwalt Saeed Khalili hat Kokabi eigenen Angaben zufolge noch nicht sehen dürfen. Der Prozess gegen Kokabi soll am Samstag beginnen.

In Isfahan und Birjand sind 10 Angehörige der Baha’is verhaftet worden. Die religiöse Minderheit der Baha’i wird in der Islamischen Republik nicht als Religion anerkannt, obwohl der verstorbene Großayatollah Hossein Ali Montazeri ein Jahr vor seinem Tod im Dezember 2009 eine Fatwa erlassen hatte, in der er erklärte, dass die Baha’is wie alle anderen iranischen Bürger uneingeschränkte Rechte besitzen müssten.

Übersetzung aus dem Englischen (in Auszügen)
Quelle: Tehran Bureau. 15. Juli 2011

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