Kahrizak – Täter und Opfer eines unheilvollen Ortes

Kahrizak

Masih Alinejad/Jaras, 20. Juli 2011 –  „Kahrizak“. Für Ortsansässige war dies kein wirklich unbekannter Begriff, doch erst die hochgradig fragwürdigen Präsidentschaftswahlen von 2009  verschafften diesem Wort  bittere, schmerzhafte und tragische Bekanntheit. Die Öffentlichkeit im In- und Ausland erfuhr von einem Ort namens Kahrizak – einer Haftanstalt, in der Demonstranten, die gegen die Wahl protestiert hatten, misshandelt, geschlagen, vergewaltigt und gefoltert wurden und in einigen Fällen sogar ihr Leben verloren.

Die Haftanstalt Kahrizak liegt am südlichen Rand von Shahr Ray, einer kleinen Stadt südlich von Teheran. In Umsetzung eines 2004 begonnenen Plans begannen die Sicherheitskräfte der Islamischen Republik unter dem Vorwand, die „Banden und Schläger“ dort sammeln zu wollen, in Kharizak alle Verhafteten festzuhalten. Kurz darauf begannen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten sowie das Komitee zum Schutz der Rechte von Gefangenen (PRDC), gegen die Misshandlung der Gefangenen zu protestieren. Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Shiva Nazar Ahari und das PRDC-Mitglied Mehdi Mahmoudian waren zwei der Aktivisten, die in der Öffentlichkeit über die schrecklichen Bedingungen in diesem Gefängnis informierten.

Doch die Bemühungen Mahmoudians und anderer Journalisten und Menschenrechtsaktivisten reichten leider nicht aus, um zu erreichen, dass die wirklichen Ausmaße der Katastrophe im In- und Ausland angemessen wahrgenommen wurden. Eine große Zahl verhafteter Demonstranten, die gegen die gefälschten Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahl von 2009 protestiert hatten, wurden Augenzeugenberichten zufolge in Gruppen von 30 bis 40 Personen in Container gepfercht, in die maximal 10 Personen gepasst hätten. Die Gefangenen wurden in diesen Containern unter unvorstellbaren physischen und sanitären Bedingungen in der glühenden Sommerhitze festgehalten und immer wieder gefoltert. Viele von ihnen wurden nach Aussage von Mitgefangenen und ehemaligen Offiziellen der Islamischen Republik vergewaltigt. Und so geschah es, dass Kahrizak [schließlich] weltweit Schlagzeilen machte und innerhalb wie außerhalb Irans einen Aufschrei der Empörung nach sich zog.
[Anm. d. Übers.: Zu den Vorfällen in Kahrizak s. auch Dokument: Die Anklageschrift des Kahrizak-Prozesses]

So ist das Wort „Kahrizak“ verwoben mit den Namen verschiedenster Personen: Die Verantwortlichen für dieses Gefängnis, diejenigen, die die Gefangenen geschlagen und gefoltert haben, diejenigen, die Informationen über das Gefängnis weitergegeben haben, und schließlich die Opfer der in Kahrizak praktizierten unfassbar brutalen Gewalt.

Von allen, die für die Gewaltakte in diesem berüchtigten Gefängnis offiziell Verantwortung übernommen, die nachfolgenden Untersuchungen und schließlich die Schließung des Gefängnisses angeordnet haben, ist in den Medien vor allem der Führer der Islamischen Republik Ayatollah Khamenei genannt worden. Ein weiterer oft im Zusammenhang mit Kahrizak genannter Name ist der des damaligen Teheraner Generalstaatsanwalts Saeed Mortazavi. Auch über den stellvertretenden Polizeichef Ahmad Reza Radan und seine Verwicklung in die Ereignisse von Kahrizak ist mehrfach berichtet worden.

Unter denen, die die Folterungen und Vergewaltigungen in Kahrizak öffentlich machten, sind der frühere Parlamentssprecher und Präsidentschaftskandidat von 2009, Mehdi Karroubi, sowie Mohammad Davari und Mehdi Mahmoudian. Auch Mohammad Hossein Sohrabi Rad, ein Wahlkampfmitarbeiter Karroubis, war an den Enthüllungen beteiligt. Nach zwei Jahren des Schweigens begann seine Mutter, darüber zu sprechen, wie ihr Sohn dem Herausgeber der Zeitung Saham News Mohammad Davari bei der Produktion eines Films über die Verbrechen von Kahrizak half.

In den offiziellen Medien werden meist nur drei Opfer von Kahrizak namentlich genannt: Mohsen Rouholamini, Amir Javadifar und Mohammad Kamrani – alle drei starben in Kahrizak. Doch auch die Angehörigen der Kahrizak-Insassen Ramin Aghazadeh und Ahmad Nejati-Kargar geben an, dass die beiden nach ihrer Freilassung ins Krankenhaus kamen und später an ihren durch Schläge und Folter erlittenen Verletzungen und Infektionen starben.

Und die Saga der Gefangenen der Wahl von 2009 endet damit nicht. Kahrizak forderte weitere Todesopfer. Nachdem die juristische Untersuchung der Verbrechen von Kahrizak angeordnet worden war, kam eine weitere Geschichte ans Licht und machte schnell Schlagzeilen. Ein junger Arzt namens Ramin Pourandarjani, der sich als diensthabender Arzt um die verletzten Gefangenen kümmern musste, begann damit, Informationen preiszugeben. Bald darauf starb er eines mysteriösen Todes. Auch er steht jetzt auf der Liste der Todesopfer von Kahrizak.

Somit sind bis jetzt sechs Opfer bekannt, wobei die Regierung nur drei von ihnen offiziell bestätigt hat. Die Einzelheiten der Verhaftung und Ermordung der anderen drei Opfer wurden von den Angehörigen in Interviews mit verschiedensten Medien immer wieder berichtet.

Zwei Jahre sind vergangen, und die Katastrophe von Kahrizak ist nicht abgeschlossen. Der folgende Bericht erzählt, wie es den Informanten ergangen ist und was all denen widerfuhr, die die Geschichten der Folter und Vergewaltigung in Kahrizak öffentlich machten. Dieser Bericht enthält Äußerungen der wichtigsten Offiziellen und Befehlsgeber von Kahrizak sowie die Berichte, die die Angehörigen der sechs Todesopfer an Jaras gaben.

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass dieser Bericht keine vollständige Analyse aller Vorkommnisse in Kahrizak darstellt. Über diesen entsetzlichen Ort – das „unstandardgemäße Gefängnis“, wie die Islamische Republik sich ausdrückt – wird noch sehr viel zu sagen sein.

Ayatollah Khamenei
Als die Wellen der Proteste nach der Präsidentschaftswahl von 2009 ihren Höhepunkt erreichten und zu viele Demonstranten gegen die extreme Gewalt gegen Gefangene im Gefängnis protestierten, sah sich die Führung der Islamischen Republik nicht mehr in der Lage, die Vorwürfe zurückzuweisen. Am 5. August 2009 gab der erste Stellvertreter Ayatollah Khameneis im Sicherheitsrat öffentlich bekannt, dass der Ayatollah die dauerhafte Schließung einer Haftanstalt in Auftrag gegeben habe, da diese die „erforderlichen Standards“ nicht erfülle. Nur einen Tag später wurde bekannt, dass es sich bei der besagten Haftanstalt um Kahrizak handelte.

Der ehemalige Präsident der Islamischen Republik Mohammad Khatami warf damals öffentlich die Frage auf: „Was genau bedeutet ’nicht standardgemäß‘? War die Klimaanlage kaputt? Waren die Waschräume nicht sauber? Nein. Dort wurden Verbrechen begangen. Dort wurden Leben genommen. Wir müssen all das untersuchen.“

Der Direktor des iranischen Gefängniswesens Gholam-Hossein Esmaili hingegen erklärte in einem Interview mit „Mellat-e Maa“: „Ein Gefängnis Kahrizak existiert nicht.“
Doch schließlich übernahm die Islamische Republik die Verantwortung für alle Verbrechen und Morde, die sich in Kahrizak ereignet hatten. Und im August 2009, nach einer Erklärung des Direktors des Nationalen Sicherheitsrates Jalili, erwähnte auch ein weiteres Mitglied des Sicherheitsrates, Kaazem Jalaali, die Anordnung Ayatollah Khameneis, die Haftanstalt Kahrizak südlich von Teheran zu schließen.

Nachdem der oberste Führer indirekt die Verantwortung für die Verbrechen von Kahrizak übernommen und die Schließung der Haftanstalt angeordnet hatte, trat der Direktor des Polizei-Inspektionskomitees vor die Kameras des staatlichen Fernsehsenders Seda-va Sima und entschuldigte sich in aller Form bei allen, die während des Bestehens von Kahrizak Schaden oder Verletzungen erlitten hatten. Danach war die Berichterstattung über Kahrizak nicht länger auf oppositionelle Medien beschränkt – auch die regimetreuen Medien begannen, wenn auch zurückhaltend, die Geschichten der Familien von Kahrizak-Opfern zu erzählen. Unter ihnen waren auch die Väter der beiden in Kahrizak ermordeten Protestteilnehmer Mohsen Rouholamini und Mohammad Kamrani. Sie verlangten bei einem Termin mit dem obersten Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Khamenei, eine strafrechtliche Verfolgung der Mörder ihrer Söhne.

Saeed Mortazavi
Der Teheraner Staatsanwalt Saeed Mortazavi wurde immer wieder als Mitverantwortlicher für die Morde von Kahrizak genannt – von den meisten Angehörigen der toten Gefangenen, aber auch von der im Fall Kahrizak eingerichteten parlamentarischen Untersuchungskommission und Mitarbeitern der Polizei. Selbst sein Nachfolger Abbas Jafari Dowlatabadi bezeichnete Mortazavi als die „am besten identifizierbare Person“ im Fall Kahrizak.

In den ersten Tagen nach [Bekanntwerden der] Morde von Kahrizak veröffentlichte die periodisch erscheinende lokale Publikation Panjereh einen Bericht, in dem Mohsen Rouholaminis Vater zu Wort kam. Dieser nannte Mortazavi als wichtigsten Befehlsgeber im Fall Kahrizak.
Nachdem die Nachricht über die Gewalt in Kahrizak an die Öffentlichkeit gelangt war, musste der Jalili, der Direktor des Sicherheitsrates. Mortazavi eine Nachricht von Khamenei überbringen, in der es um den Transfer von Gefangenen aus Kahrizak ins Teheraner Evin-Gefängnis ging. Mortazavi zögerte und berief sich auf „mangelnde Unterbringungskapazitäten“ in anderen Gefängnissen. Als Ayatollah Khamenei schließlich die Schließung von Kahrizak befahl, war es für die Gefangenen, die auf dem Weg von Kahrizak nach Evin starben, bereits zu spät.

In der ersten gerichtlichen Anhörung der wegen Verfehlungen angeklagten Sicherheitsbeamten sagten Mitarbeiter der Polizei erneut aus, dass Saeed Mortazavi nach dem Tod der Gefangenen sie mündlich angewiesen habe, als Todesursache Meningitis anzugeben. Sie hätten dieser Anweisung Folge geleistet und Briefe auf dem Briefpapier der Krankenhäuser Mehr und Loghman entworfen, in denen als Todesursache Meningitis genannt wurde. Die Angehörigen Amir Javadifars und Mohammad Kamranis bestätigten dies in Interviews mit der Webseite Jaras.

Es gibt dafür eine Präzedenz. Nach dem mysteriösen Tod der kanadisch-iranischen Journalistin Zahra Kazemi im Juni 2002 erklärte der Geschäftsführer für Ausländische Medien im Ministerium für Islamische Führung Khoshvaght in einem Brief, der auch im Parlament verlesen wurde, Herr Mortazavi habe ihn mündlich angewiesen, auf dem offiziellen Briefpapier des Ministeriums zu erklären, dass Zahra Kazemi keine Genehmigung gehabt habe, journalistisch zu arbeiten oder zu fotografieren. Koshvaght erklärte in seinem Brief an das Parlament, Mortazavi habe gedroht, ihn wegen Ausstellung einer Genehmigung für eine „Spionin“ vor Gericht zu bringen, wenn er seinen Anweisungen nicht Folge leiste.

Saeed Mortazavi, der für die Verlegung der Verhafteten nach Kahrizak grünes Licht gegeben hatte, entging trotz der Anzeigen seitens der Angehörigen der getöteten Gefangenen nicht nur der strafrechtlichen Verfolgung. Nachdem er seinen Posten in der Justiz verloren hatte, wurde er auf direkte Anordnung Präsident Ahmadinejads zu dessen „Sonderrepräsentanten“ und zum „Leiter des Einsatzkommandos zur Schmuggelbekämpfung“ ernannt.

Ahmad Reza Radan
Der Name Ahmad Reza Radans – des stellvertretenden Polizeichefs – taucht in den Kahrizak-Akten und den Medien immer wieder auf. Irgendwann waren er und das Polizeikommissariat gezwungen, seine Rolle im Fall Kahrizak öffentlich zu verteidigen.

Zuvor hatte Radan in mehreren Interviews erklärt, Kahrizak sei ein sehr geeigneter Ort für die Bestrafung von Schlägern und Verbrechern: „Die südlich von Teheran herrschende höllische Hitze von mehr als 100 Grad, das Fehlen einfachster sanitärer Anlagen und die strengen Restriktionen und extremen physischen Belastungen dieses Ortes werden die Gefangenen zur Vernunft bringen!“

Panjareh hatte Mortazavi als einen der Verbrecher von Kahrizak benannt und auch auf seine mögliche Versetzung innerhalb des Polizeikommissariats hingewiesen. Der neue Polizeichef Ahmadi Moghaddam erklärte dann bei einer Pressekonferenz, derartige Gerüchte über Radan seien absolut falsch, und es sei für ihn völlig uncharakteristisch, auch nur im Gefängnis aufzutauchen und derartige Dinge zu tun.

Am 11. August 2009 erklärte Radan, von Reportern umgeben, vor laufenden Kameras: „Sie wissen, dass ich alle mir vorliegenden Informationen zu jedem Thema immer öffentlich enthüllt habe, aber diesem Grad an Gerüchten und falschen Berichten werde ich mich nicht beugen. Ich werde daher zu diesen falschen Anschuldigungen nicht Stellung nehmen…“

In ähnlicher Weise dementierte Radan später vor den Kameras von Seda-va Sima die Tötung und das absichtliche Überfahren von Demonstranten an Ashura [27. Dezember 2009]. Damals war die Videoaufnahme von dem Polizeiauto, das zwei Fußgänger überfuhr, bereits auf YouTube veröffentlicht worden und verbreitete sich über tausende Mobiltelefone im ganzen Land.

Mehdi Karroubi
Am 20. Juli 2009 schrieb Mehdi Karroubi, einer der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 2009, einen Brief an den Vorsitzenden des Schlichtungsrates Hashemi Rafsanjani. Darin erklärte er, er sei im Besitz von dokumentierten Beweisen, die belegten, dass mehrere Häftlinge in Kahrizak vergewaltigt wurden.

Den Berichten von Inhaftierten zufolge seien mehrere weibliche Gefangene mit derartig furchtbarer Gewalt vergewaltigt worden, dass sie Schnittwunden und schwere Verletzungen an den Genitalien davontrugen. Auch viele männliche Gefangene seien brutal vergewaltigt worden und litten jetzt an schweren Depressionen und ernsten körperlichen und psychischen Störungen, kauerten den ganzen Tag über zu Hause in einer Ecke, so Karroubi.

Karroubi bat Hashemi, sich mit Ayatollah Khamenei in einer von ihm als geeignet empfundenen Weise zusammenzusetzen und eine Sonderkommission mit der  Untersuchung der Vorfälle zu beauftragen.

Die Nachricht von Karroubis Schreiben, die nur wenige Tage nach der Schließung von Kahrizak bekannt wurde, rief heftige Reaktionen der staatlichen Zeitung „Iran“ hervor. Doch der ehemalige Justizchef Hashemi Shahroudi hatte bereits Anordnungen für eine Untersuchung der Inhalte des Briefes erlassen und den Chefankläger Najafabadi gebeten, Kontakt zu Karroubi aufzunehmen und ein Team zusammenzustellen, das sich die Akten und Meinungen Karroubis – des Vorsitzenden der Partei des Nationalen Vertrauens – beschaffen sollte.

Am 8. September 2009 um 15:30 Uhr statteten Agenten der Staatsanwaltschaft  Karroubis Büro im Distrikt Jamshidieh einen Besuch ab, durchsuchten es, befragten alle Mitarbeiter und beschlagnahmten schließlich sämtliche Dokumente und Akten, CDs, Videos und Computer, schlossen sein Büro und vernagelten Fenster und Türen mit Brettern.
Am Vortag hatten die Sicherheitsagenten auch die Büros der Untersuchungskommission zur  Gewalt gegen die Gefangenen und Verletzten der Ereignisse nach der Präsidentschaftswahl durchsucht, Dokumente, Akten und Computer konfisziert und den Karroubi-Berater Morteza Alviri verhaftet.

Karroubi erhielt von offiziellen Stellen der Islamischen Republik nie eine klare Antwort auf seine Bitte, die Vergewaltigungen in den Gefängnissen untersuchen zu lassen. Im Moment steht er unter Hausarrest. Nur einen Tag vor seiner Verhaftung hatte Karroubi in einem Interview mit Jaras erklärt, man könne die Demonstranten in Ägypten nicht mit denen in Iran vergleichen, weil iranische Offizielle bereits einen dunklen Fleck namens Kahrizak erschaffen hätten und „uns angreifen, anstatt auf unsere Stimmen zu hören“.

Mehdi Mahmoudian
Ein weiterer Journalist und politischer Aktivist, dessen Name ebenfall mit Kahrizak eng verwoben ist, ist Mehdi Mahmoudian. Er wurde während der Ereignisse nach der Wahl von 2009 verhaftet, der staatsfeindlichen Propaganda angeklagt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Mahmoudian hat die letzten zwei Jahre ohne Haftunterbrechung im Gefängnis verbracht. Im Jahr 2007 hatte er sich mit einem Brief an den obersten Führer Ayatollah Khamenei gewandt, in dem er angesichts der Verstöße gegen die Rechte von Gefangenen in Kahrizak Alarm schlug. Er erhielt nie eine Antwort auf diesen Brief.

In seinem Schreiben hatte er eine Vielzahl von Berichten über unmenschliches und kriminelles Verhalten von Gefängniswärtern gegen junge Männer angeführt, sogenannte „Banden und Schläger“, die in den Straßen verhaftet und nach Kahrizak gebracht worden waren. Er schrieb von Schlägen, Schimpfworten, Vergewaltigung, körperlicher, sexueller und psychologischer Folter an jungen Männern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Er schrieb über Dutzende Gefangene, die in der Haft gestorben waren und über die hässliche und unmenschliche Art, mit der der damalige Staatsanwalt die Familien der Gefangenen behandelte. Er beschrieb, wie die Gefangenen gezwungen wurden, sich zu entkleiden, und wie dann einer nach dem anderen mit schweren Kabeln verprügelt wurde. Er beschrieb, wie mehr als 40 Personen wochenlang in kleine Container von 30 m² Größe gepfercht wurden. Er schrieb über gebrochene Arme und Beine, und über viele andere Gräuel, die sich hinter den Mauern von Kahrizak zutrugen. All dies beschrieb er 2007 in seinem Brief an den Führer.

Mehdi Mahmoudian wurde während der Ereignisse nach der Wahl verhaftet. Nachdem er im April 2011 aus dem Evin-Gefängnis in das Gefängnis Rajai Shahr verlegt worden war, schrieb er ein weiteres Mal an den obersten Führer und erinnerte ihn daran, dass dieser auf seinen ersten Brief noch nicht geantwortet hatte, „was dazu führte, dass im Jahr 2009 der Sohn eines unserer nächsten Freunde (Dr. Rouholaminis Sohn Mohsen) verhaftet wurde, der zusammen mit einer Gruppe unserer lieben jungen Männer in den Folterkammern von Kahrizak sein Leben ließ. Und gerade jetzt erinnern Sie sich plötzlich daran, dass dieses Gefängnis geschlossen werden muss!“

In einem Interview mit Jaras sprach Mehdi Mahmoudians Mutter von dem Schmerz und der Folter, der ihr Sohn unterworfen wird. „Mehdi wurde acht Stunden lang nur mit seiner Unterwäsche bekleidet bei 10 Grad Minus im Evin-Gefängnis festgehalten“, berichtete sie. Folge waren eine Lungenentzündung, Atemprobleme und andere Leiden wie Nasenbluten und eine Nierenerkrankung. Bisher hat er mehrere Male das Bewusstsein verloren.

Zehn Monate nach der Inhaftierung Mahmoudians gaben einige Abgeordnete, darunter auch der Teheraner Abgeordnete Zakani, bekannt, dass mehrere Gefangene vom obersten Führer begnadigt werden würden. Mahmoudians Mutter gegenüber Jaras: „Wir haben nicht um Begnadigung gebeten. Es waren die Warnungen meines Sohnes, die dazu führten, dass Kahrizak schließlich geschlossen wurde. Warum üben sie so viel Druck auf unsere Kinder aus, die angeklagt werden, weil sie die Wahrheit sagen? Und dann werden sie unter Druck gesetzt, damit sie um Begnadigung bitten?“

Trotz des immensen Drucks erinnerte Mahmoudian Ayatollah Khamenei in seinem zweiten Brief nochmals daran, dass es sogar im Gefängnis Rajai Shahr „Vergewaltigungen“ gebe. „Im Gefängnis wurde – auf IHRE Anordnung hin – ein junger Mann mehrmals in einer Nacht vergewaltigt, und als er sich am nächsten Morgen beim Gefängnisdirektor darüber beschwerte, wurde er in eine Einzelzelle gesperrt – in die „Suite“, wie der Gefängnisdirektor sie nennt. Keinem der Vergewaltiger wurden Fragen gestellt!“

Mohammad Davari
Mohammad Davari, Journalist und Chefredakteur bei der offiziellen Seite von Karroubis „Partei des Nationalen Vertrauens“, war einer derer, die Mehdi Karroubi halfen, die [Zeugenaussagen der] Gefangenen zu filmen und zu dokumentieren, die Opfer von Vergewaltigung und Folter geworden waren. Davari wurde nach Karroubis Brief an den Vorsitzenden des Expertenrates über Misshandlungen und Folterungen an Gefangenen in Kahrizak am 8. September 2009 verhaftet.

Obwohl Karroubi in einem Schreiben an den Teheraner Staatsanwalt die volle Verantwortung für alle als Beweise für Vergewaltigung und Folter im Gefängnis vorgelegten Dokumente und Videos übernommen und erklärt hatte, dass Davari nur für die Videoaufnahmen der Interviews zuständig gewesen sei und ansonsten nichts mit dem Material zu tun habe, wurde Davari der regimefeindlichen Propaganda angeklagt und zu 5 Jahren Haft verurteilt, von denen er mittlerweile zwei Jahre ohne eine einzige Haftunterbrechung abgesessen hat.

Seine Familie erhielt in den ersten acht Monaten seiner Haftstrafe keinerlei Nachricht von ihm oder über ihn. In einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beschrieb die Familie ihre große Sorge um Davaris Zustand. Und tatsächlich wurde Davari im Gefängnis gefoltert, damit er vor laufenden Kameras Geständnisse ablegt und Karroubi belastet. „Davari ist zu falschen Aussagen gezwungen worden und musste die Beweiskraft der Dokumente über Vergewaltigungen im Gefängnis dementieren“, schrieb Karroubi in seinem Brief an Generalstaatsanwalt Abbas Jafari Dowlatabadi.

Mohammad Davari war Lehrer und arbeitete im Bildungsministerium. Nach seiner Verhaftung wurde sein Gehalt gekürzt. Seine betagte und kranke Mutter, die in Khorasan lebt, kann ihren Sohn wegen körperlicher Gebrechen und finanzieller Schwierigkeiten nicht jede Woche in Teheran besuchen, weshalb sie die Beamten wiederholt um Erlaubnis gebeten hat, wenigstens mit ihrem Sohn telefonieren zu dürfen. Allerdings dürfen bestimmte Gefangene in Evin seit mittlerweile fast einem Jahr nicht mehr telefonieren.

„Ich habe alles getan, was ich konnte. Wir haben mehrere Menschenrechtsorganisationen angeschrieben und um eine Untersuchung des Falles gebeten, aber es hat zu nichts geführt. Ich habe mehrmals mit den Offiziellen über die Situation meines Sohnes gesprochen, über seine Gehaltskürzungen und meine eigenen psychischen und finanziellen Probleme. Aber sie wollen mich nicht anhören, oder vielleicht wollen sie einfach nichts unternehmen. Jede Tür ist mir verschlossen“, so Davaris Mutter gegenüber Jaras.

Mohammad Hossein Sohrabi Rad
Sohrabi Rad ist ein weiteres Mitglied von Karroubis Team, dessen Name in den letzten zwei Jahren nicht in den Nachrichten vorkam. Seine Familie hat das zwei Jahre währende Schweigen schließlich gebrochen und enthüllt, dass auch er ein Opfer von Kahrizak ist.  Gemeinsam mit Davari, dem Redakteur von Saham News, hatte er an der Produktion der Dokumentarfilme über die Verbrechen von Kahrizak mitgearbeitet, die als Beweismaterial an die Justiz und an Khamenei gehen sollten. Darum ist er seit zwei Jahren inhaftiert.

Mohammad Hossein Sohrabi Rad ist zu vier Jahren Gefängnis und 74 Peitschenhieben verurteilt. Im Gefängnis wurde er ständig unter immensen Druck gesetzt, was dazu führte, dass er mindestens ein Mal versuchte, sich das Leben zu nehmen. Seine Mutter erklärte in einem Interview mit Jaras: „Sie werfen meinem Sohn vor, dass er lügt. Wenn er aber wirklich gelogen hat, warum wurden dann seine Aussagen vom parlamentarischen Untersuchungsausschuss exakt bestätigt? Sie haben in diesem Zusammenhang sogar Staatsanwalt Mortazavi abgesetzt. Ich frage den Staatsanwalt: Wenn mein Sohn wirklich gelogen hat, dann müssen alle Mitglieder des Untersuchungsausschusses, die genau dieselben Dinge gesagt haben, ebenfalls gelogen verhaftet und ins Gefängnis geworfen werden, weil sie dann ebenfalls Lügner sind.“

Mohsen Rouholamini
Viele sind der Meinung, dass die iranische Führung niemals Verantwortung für den Tod von Demonstranten gegen die Wahl von 2009 in der illegalen Haftanstalt Kahrizak übernommen hätte, wenn nicht Mohsen Rouholamini, der Sohn des hochrangigen Regimeoffiziellen Abdol Hossein Rouholamini, dort umgekommen wäre. Unmittelbar nach der Ermordung seines Sohnes im Gefängnis, als die Offiziellen noch die Existenz von Kahrizak und den Tod weiterer Demonstranten abstritten, erklärte Mohsen Rouholaminis Vater in einem Interview:  „Wir vertrauen in das System… anders als diejenigen, die sich im Angesicht einer kleinen Krise nicht kontrollieren können, sage ich hier NEIN, ich glaube nicht an unser System.“
[Eine Übersetzung dieses Interviews befindet sich hier. Die entsprechende Stelle liest sich dort etwas anders – ich kann nicht sagen, welche Lesart die richtige ist, d. Übers.]

Mohsen Rouholamini befand sich tatsächlich unter den Demonstranten, die gegen die Wahlergebnisse protestierten. Zusammen mit unzähligen anderen jungen Männern wurde er am Donnerstag, dem 9. Juli 2009 von Zivilagenten verhaftet und Augenzeugenberichten zufolge auf die Polizeiwache in der Kargar-Straße in der Nähe des Enghelab-Platzes gebracht. Am nächsten Morgen wurden er und andere in mehreren Bussen nach Evin und Kahrizak gebracht. Am 13. Juli um 1:30 Uhr wurde er als „unidentifizierte Person“ in das Krankenhaus der Märtyrer in Tajrish gebracht, wo er sechs Stunden später starb.

Ein früherer Befehlshaber der Revolutionsgarden namens Hossein Alaai enthüllte die Einzelheiten des Todes von Mohsen Rouholamini in einem offenen Brief wie folgt: „Jemand rief im Büro von Herrn Abdol Hossein Rouholamini (Mohsens Vater) an und fragte ihn: ‚Sie sind selbst ein Offizieller, warum fragen Sie nicht nach Ihrem Sohn?‘ Worauf Rouholamini angwortete: ‚Ich habe zwei Wochen lang überall nach meinem Sohn gesucht, und niemand weiß, wo er ist…‘ Dann, in demselben Telefonat, wurde ihm Beileid bekundet und die Adresse mitgeteilt, wo er die Leiche seines Sohnes abholen konnte.“

Den Medien gegenüber sagte Mohsens Vater: „Mein Sohn war ein ehrlicher Junge. Er log nie. Ich bin sicher, dass er auf jede beliebige Frage, die sie ihm gestellt haben, eine ehrliche Antwort gegeben hat. Vielleicht konnten sie seine Ehrlichkeit nicht aushalten und schlugen ihn zusammen und töteten ihn unter Folter. Dank der Freundlichkeit der Offiziellen konnte ich seine Akten lesen. Sie hatten den Ort seines Todes verschleiert, und seine Leiche wurde als die einer „nicht identifizierten Person“ in die Leichenhalle eingeliefert.“

Auch Abdol Hossein Rouholamini hat wiederholt die strafrechtliche Verfolgung des damaligen Chefankläters von Teheran Saeed Mortazavi gefordert. Er glaubt fest daran, dass es Mortazavi war, der die Anordnung zur Verlegung der Gefangenen nach Kahrizak gab und dass er in diesem Mordfall der Hauptverdächtige ist.

Amir Javadifar
Und auch andere haben Geschichten über Kahrizak zu erzählen: Babak und Ali Javadifar, Vater und Bruder des jungen Studenten Amir Javadifar. Auch er wurde während der Unruhen nach der Wahl am 9. Juli verhaftet. Der leblose Körper des 25jährigen wurde an seine Familie übergeben, nachdem er [Tage zuvor] selbst seine Familie gebeten hatte, ihn als Geste der Gesetzestreue wieder den Beamten zu übergeben.

Die Kommission zur Untersuchung der Ereignisse nach der Wahl berichtete, dass Amir Javadifar infolge heftiger Schläge starb, die seinen Körper extrem schwächten, so dass er nicht in der Lage war, die Verletzungen zu überleben. Sein Vater Ali hat in mehreren Interviews jedoch eine andere Geschichte erzählt. Zum Zeitpunkt seiner Beerdigung sagte er gegenüber Voice of America (VoA), Amir sei im Krankenhaus Firoozgar komplett untersucht worden und sei über Nacht dort geblieben. Er sei absolut gesund gewesen und sei zu Fuß zur Polizei gegangen. „Ich habe ihm etwas zu trinken gegeben, bevor er zur Polizei ging. Er lachte und sagte, er würde in ein paar Tagen zurück sein. Aber mein Sohn ist weg… Ich habe ihn mit meinen eigenen Händen an sie übergeben. Warum haben sie mir seine Leiche zurückgegeben? Ich habe das getan, weil ich wusste, dass mein Sohn sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Hätte ich auch nur die leisesten Zweifel an ihm gehabt, hätte ich ihn nicht dorthin gebracht. Ich hätte ihm geholfen zu entkommen. Ich habe ihn dem Gesetz übergeben. Aber jetzt denke ich, dass dieser Respekt vor dem Gesetz dumm war. An wen soll ich mich mit meinem Appell wenden? Dem Gesetz nach müssten sie diesen Vorfall untersuchen und diejenigen, die für dieses Verbrechen die Befehle gegeben und ausgeführt haben, identifizieren und juristisch zur Rechenschaft ziehen.“

Amirs Bruder Babak Javadifar sagt über die von seinem Bruder erlittenen Schläge und Verletzungen: „Ich habe jede einzelne Person, die meinem Bruder in Kahrizak nahe gewesen ist, gefunden und getroffen. Sie haben uns erzählt, dass Amir in seinen letzten Tagen wegen der Augeninfektion, die er wegen der unhygienischen Situation im Gefängnis nach den Schlägen auf seine Augen bekam, nichts mehr sehen konnte.  Er konnte nicht mehr allein gehen, da er nichts mehr sehen konnte. Ich habe mit Leuten gesprochen, die ihn am Arm führten, damit er nicht gegen die Mauern stößt. In dem Bus, der die Gefangenen zurück nach Evin bringen sollte, wurde Amir sehr krank – um 23:30 Uhr an dem schicksalhaften Tag am 9. Juli [sic – der 9. Juli war jedoch der Tag der Demonstration. Amir starb am 14. Juli, d. Übers.]. Sie hielten an, brachten ihn aus dem Bus und legten ihn auf den Boden. Jemand, der sich mit Erster Hilfe auskannte, hat versucht, ihn wiederzubeleben. Ich habe mit dem Mann gesprochen. Er sagte, dass Amir Blut hustete. Sie machten sich nicht die Mühe, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Hätten sie das getan, wäre Amir noch am Leben.“

Amir Javadifars Vater und Bruder haben in Medieninterviews immer wieder gesagt, dass Saeed Mortazavi der Hauptverantwortliche für die Anordnungen im Fall Kahrizak ist und vor Gericht gestellt werden muss.
[s. dazu auch: Iran trauert um Amir Javadifar]

Mohammad Kamrani
Ein junger Mann, der noch nicht einmal alt genug war, um zu wählen – doch auch sein Name ist mit Kahrizak verbunden. Auch Mohammads Familie gehört nach seinem Tod zu den Chronisten von Kahrizak.

Mohammad Kamrani war erst 18. Er bereitete sich auf die Aufnahmeprüfungen für die Universität vor und wurde mit den Demonstranten zusammen am 9. Juli verhaftet. Am 16. Juli war er tot, gestorben an seinen massiven Verletzungen. Seine Familie gab gegenüber der Webseite Rooz an, dass Mohammad am 9. Juli verhaftet und nach „Camp Kahrizak“ gebracht worden sei. Nach vielem Gerenne wurde Mohammads Bruder angewiesen, seinen Bruder mit dem Auto abzuholen. Als die hochgradig beunruhigte Familie eintraf, um ihn zu holen, wurde ihr mitgeteilt, dass Mohammad sich im Loghman-Krankenhaus befände. Sie bestanden darauf, ihn ins Mehr-Krankenhaus zu bringen, wo er später starb.

Als die Karavane der Gefangenen mit tagelanger Verspätung aus Kahrizak in Evin eintraf, sahen sich die dortigen Beamten angesichts des stechenden Geruchs aus den offenen und infizierten Wunden der Gefangenen außerstande, diese aufzunehmen. Mohammad Kamrani war einer von denen, die bei der Aufnahmeprozedur am Tor von Evin das Bewusstsein verloren und zusammenbrachen. Die Gefängnisbeamten brachten ihn ins Krankenhaus und kontaktierten dann seine Familie, um ihr zu sagen, dass sie ihn im Krankenhaus abholen sollte.

Der damalige Chef der Teheraner Gefängnisbehörde Sohrab Soleimani gibt an, dass Kamrani in der Warteschlange vor dem Evin-Gefängnis das Bewusstsein verloren habe und daraufhin ins Loghman-Krankenhaus eingeliefert worden sei. Er sei freigelassen und lebend an seine Familie übergeben worden.

Kamranis Vater, einer der beharrlichsten Chronisten des Falls Kahrizak, berichtete in Interviews immer wieder: „Sie haben meinen fiebernden und komatösen Sohn an sein Bett gefesselt, mit Ketten, bis er ins Teheraner Mehr-Krankenhaus kam, wo er starb.“

Nachdem er vom Tod seines Sohnes erfahren hatte, nannte Kamranis Vater in einem Beschwerdebrief an Staatsanwalt Shahroudi Saeed Mortazavi als die Person, die für die Verlegung der verhafteten Demonstranten nach Kahrizak verantwortlich war. Einen ähnlichen Brief richtete er an Ayatollah Khamenei, der daraufhin offiziell anordnete, den Fall Mohammad Kamrani zu untersuchen.

[Interviews mit Mohammad Kamranis Vater: „Erst vor Gericht ist und klar geworden, was für Verbrechen sie begangen haben“ und Jaras-Interview mit dem Vater des Kahrizak-Opfers Mohammad Kamrani]

Ramin Aghazadeh Ghahremani
Der 30jährige Ramin Aghazadeh Ghahremani ist nach Angaben von Mohsen Rouholaminis Vater ein weiteres Opfer von Kahrizak. Während die Justiz Mohsen Rouholamini, Mohammad Kamrani und Amir Javadifar offiziell als die drei Opfer von Kahrizak anerkannte, fügte Abdolhosein Rouholamini der Liste der Opfer Ramin Aghazadeh Ghahremani hinzu. Die Ursache seines Todes ist von der Regierung nie bekannt gegeben worden, ganz so, als wolle man dem Gewissen der Nation keinen zusätzlichen Schmerz mehr zufügen.

Ghahremanis Familie hat nach zwei Jahren ihr Schweigen gebrochen und die Geschichte ihres Sohnes erzählt. Sein Bruder fordert, dass die Verantwortlichen für die Verbrechen von Kahrizak vor Gericht gestellt werden. Seine Mutter sagte gegenüber Jaras: „Ich habe ihnen meinen Sohn selbst gebracht. Ich dachte, sie würden ihn nach ein paar Fragen wieder gehen lassen.  Und dann kam er nicht mehr nach Hause. Sein Vater und ich sind am Nachmittag wieder zur Polizeiwache gegangen, und man sagte uns, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, unser Sohn würde nicht nach Kahrizak kommen. Ich lief einem Soldaten hinterher und bettelte ihn an, mir zu sagen, was mit meinem Sohn geschehen ist… mein Herz schmerzte… Er sagte, dass er es auch nicht wisse, ich solle bei den Beamten nachfragen. Ich fragte die Männer drinnen, und wieder wurde mir gesagt, dass es keinen Grund zur Sorge gebe, mein Sohn würde vor Sonnenuntergang frei sein. Aber sie haben ihn am Morgen nach Kahrizak gebracht, und das war die letzte Fahrt seines Lebens.“

Nachdem die Familie ihr Schweigen gebrochen hatte, brachte ein Reporter ein bis dahin unveröffentlichtes Interview heraus, das seine Mutter einmal gegeben hatte. Das Interview macht deutlich, dass die Familie aus Angst um ihre Sicherheit so lange geschwiegen hatte. Die Mutter erzählt in dem Bericht, dass beide Schienbeine ihres Sohnes von tiefen Furchen überzogen waren, die von Schlägen mit einem Schlagstock herrührten. Die linke Körperseite war vollständig schwarz und blau. Sein Schädel wies tiefe Wunden auf, am Nacken hatte er eine noch schlimmere Wunde. Er hatte ihr erzählt, dass man sie gezwungen habe, sich hüpfend statt gehend fortzubewegen und sich im Schmutz zu wälzen. Sie seien an den Füßen aufgehängt worden … und…

Und jetzt, unmittelbar nach dem 2. Jahrestag der tragischen Ereignisse von Kahrizak, steht auch Ramins Bruder in einer Reihe mit den Angehörigen von Mohammad Kamrani, Amir Javadifar und Mohsen Rouholamini und fordert die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen für die Verbrechen von Kahrizak. Doch die Mutter dieses jungen Mannes sagt: „Welchen Unterschied würde es machen  – ich habe meinen Sohn ‚dem Gesetz‘ übergeben, und sie haben mir seine Leiche zurückgebracht.“

Ahmad Najati Kargar
Es gibt noch ein weiteres Opfer, dessen Mutter auf den Ort zeig, wo ihr Sohn geschlagen wurde, der später im Krankenhaus seinen massiven Verletzungen erlag. Seine Mutter ist absolut sicher, dass ihr Sohn ebenfalls in Kahrizak war, aber von offizieller Seite gibt es bisher keine Bestätigung.

Es handelt sich um Manzelat Mohammadi, die Mutter des 24jährigen Ahmad Nejati Kargar, der im Juni 2009 verhaftet wurde und später an den Folgen heftiger Schläge und schwerer Verletzungen starb, die zu Infektionen und schließlich zu Lungen- und Nierenversagen führten.

Regimetreue Medien haben immer wieder versucht, eine Ermordung dieses jungen Mannes abzustreiten. Ein Fernsehsender, aber auch dieZeitung Kayhan behaupteten sogar, dass Ahmad Kargar noch am Leben sei. Mit der Veröffentlichung von Geschichten eines fiktiven Bloggers, der behauptete, Ahmad Kargar zu sein, versuchten sie, alle wirklichen Opfer der Ereignisse nach der Wahl von 2009 in Frage zu stellen.

Saham News zufolge fand Kargars Familie nach viel Angst und Beklommenheit schließlich den Weg zu Mehdi Karroubi und berichtete ihm, dass ihr Sohn umgebracht wurde.

Auf der Webseite der „Trauernden Mütter“ wurde später ein Artikel veröffentlicht, in dem Kargars Mutter eine Beschreibung der Gegebenheiten im Gefängnis durch ihren Sohn wiedergab. „Um 6 Uhr morgens begannen sie, uns zu schlagen. Sie schlugen uns bis zum Abend, wo dann unsere einzige Mahlzeit serviert wurde, die aus einem Stück Kartoffel und einem Stück Brot bestand. Dann mussten wir im Stehen schlafen, weil es in unseren engen Zellen nicht einmal genug Platz gab, um uns hinzusetzen.“ Wegen dieser Berichte glaube die Familie, das ihr Sohn in Kahrizak war, so die Mutter.

Kargars Mutter sagte gegenüber Jaras, es sei äußerst schmerzlich gewesen zu sehen, dass Mitarbeiter von Seda-va Sima, nachdem ihr Sohn gerade erst beerdigt worden war, ein gefälschtes Video von dem Grab von Mohammads Bruder Mehdi anfertigten, der 8 Jahre zuvor gestorben war, und dieses dann mit einigen nachträglichen Veränderungen Mohammads Grab gegenüberstellte, um zu zeigen, dass das Grab eigentlich jemand anderem gehörte. Damit wollten sie beweisen, dass Mohammad nicht tot ist.

Wie alle anderen auch verlangt Kargars Familie die strafrechtliche Verfolgung aller Schuldigen am Tod ihres Sohnes.

Ramin Pour Andarjani
Ein weiterer Name, der mit Kahrizak verbunden ist: Ramin Pourandarjani wird in den Medien oft als der „Kahrizak-Arzt“ bezeichnet. Doch nach den Enthüllungen über Folter und Gewalt in Kahrizak ist seine Familie nicht sehr glücklich über diesen Titel in Verbindung mit dem Namen ihres Sohnes. Sie betonen, dass Ramin, ein Militärarzt, in der Zeit nach der Wahl von 2009 während der Proteste nach Kahrizak beordert worden war, um sich um die Gefangenen zu kümmern.

Ramin Pourandarjani wurde am 8. Juni 1983 in Tabriz geboren. Im Verlauf der Untersuchungen der Fälle der Todesopfer von Kahrizak wurde auch sein Name veröffentlicht. Offizielle Akten geben an, dass er an einem Herzinfarkt starb, aber wenig später wurde Selbstmord als Todesursache genannt. Schließlich erklärte die Gerichtsmedizin eine Vergiftung zur Todesursache. Weitere Nachforschungen in dem Fall ergaben, dass er sich mit Parlamentsabgeordneten verabredet hatte und sich darum bemühte, ihnen Einzelheiten über gewisse Zustände und Umstände in Kahrizak zur Kenntnis zu bringen.

Die widersprüchlichen Informationen über den Tod des jungen Arztes ließen das Misstrauen seiner Familie wachsen, und sie wurden in ihrer Forderung nach einer gründlichen Untersuchung seines Falles immer hartnäckiger. Die Offiziellen reagierten darauf mit der Aussage, dass der Fall des Arztes für den Fall absolut irrelevant sei und dass es keine Verbindung zwischen beiden Fällen gebe, weshalb sein Fall nicht in dem Kontext von Kahrizak verfolgt werde.

Ramins Vater erklärte gegenüber Jaras: „Die Sicherheitskräfte hatten unseren Sohn von uns geliehen… und eines Tages riefen sie uns an, um uns zu sagen, dass wir seine Leiche abholen sollen, ohne uns jemals eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Ursache seines Todes zu geben.“

[s. dazu auch: Fereshteh Ghazis Bericht über den Mord an Ramin Pourandarjani und Der Arzt von Kahrizak fürchtete um sein Leben]

Bericht: Masih Alinejad

Übersetzung aus dem Englischen
Weiterführende Links eingefügt v. Übers.
Auf Persisch veröffentlicht bei Rahe Sabz
Übersetzung ins Englische: Azita Eerani