Brief des inhaftierten Bloggers Hossein Ronaghi Maleki an den Teheraner Staatsanwalt

Hossein Ronaghi Maleki

HRANA, 13. August 2011 – Der inhaftierte Blogger und Menschenrechtsaktivist Hossein Ronaghi Maleki hat in einem offenen Brief an den Teheraner Staatsanwalt (Jafari Dowlatabadi) die unerträgliche Situation in Abteilung 350 des Teheraner Evin-Gefängnisses und das illegale Vorgehen der Revolutionsgarden beschrieben, die verhindern, dass er medizinisch motivierten Hafturlaub erhält.

Mit respektvollen Grüßen

Am 29. Juli 2011 haben Sie mich einbestellt, damit ich Ihnen meinen Gesundheitszustand und meine Probleme schildern kann. Sie haben versprochen, innerhalb zwei oder drei Wochen persönlich die Abteilung 350 aufzusuchen und sich ein Bild von den in der Abteilung herrschenden Problemen und Schwierigkeiten persönlich ein Bild zu machen.

Es wäre schön gewesen, wenn Sie Ihr Versprechen gehalten hätten. Dann hätte ich Ihnen diesen Brief persönlich übergeben können, anstatt mich darauf zu verlassen, dass er Sie auf indirektem Wege erreicht.

Ich und meine Mitgefangenen haben auf Sie gewartet, aber Sie haben, wie die anderen Offiziellen der Islamischen Republik, Ihr Versprechen nicht gehalten.

Herr Staatsanwalt, ich erinnere mich an die Zeit, in der Sie die Verantwortung für die Staatsanwaltschaft übernahmen. In den Zeitungen Mardomsalari, Etelaat und Hemayat erschienen Ihre Interviews. Darin betonten Sie, dass Sie dem Einfluss der Geheimdienste auf die Justiz Einhalt gebieten würden.

Zum damaligen Zeitpunkt deuteten diese Worte darauf hin, dass der Justiz eine große Veränderung bevorstand. Keines der existierenden Gesetze für dieses Land lassen irgendeine legale Beeinflussung der Justiz durch Sicherheitsorgane und Polizei zu.

Mir kamen Zweifel an der Ernsthaftigkeit Ihrer Absichtsbekundungen, nachdem im August 2010 der mir von Abteilung 26 des Revolutionsgerichts gegen eine Kaution von 300.000 Dollar genehmigte  Hafturlaub von den Revolutionsgarden widerrufen wurde.

Später wurden meine Zweifel zur Gewissheit. Sie hatten angedeutet, dass die Staatsanwaltschaft mit meinem medizinisch begründeten Hafturlaub einverstanden sei. Die Revolutionsgarden erhoben jedoch Einspruch dagegen und erklärten, dass ich, Hossein Ronaghi Maleki, selbst gegen 1 Million Dollar nicht vorübergehend freigelassen werden könne.

Erinnern Sie sich, wie Sie sagten, dass die Staatsanwaltschaft nichts tun könne, wenn die Revolutionsgarden dagegen sind? Erinnern Sie sich daran, wie ich Ihnen von den Folterungen in den Haftanstalten des Geheimdienstes und der Revoultionsgarden erzählte?

Ich habe Ihnen alle Verstöße gegen die Richtlinien und Vorschriften der Gefängnisbehörde, gegen die Verfassung und gegen das Islamische Strafgesetz dargelegt, zu denen es in diesen Haftanstalten kommt.

Sie haben gesagt, dass all dies nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich fällt, und dass es nichts gibt, was Sie dagegen tun können. Erinnern Sie sich daran, dass Sie gesagt haben, Sie seien in diese Dinge nicht involviert?

Erinnern Sie sich, was ich Ihnen über meinen schlechten Gesundheitszustand erzählte, der eine Folge von zwei Nierenoperationen, einem Gallenstein, einer Herzerkrankung [„heart angina“] und meinen gebrochenen Zähnen ist, die ein Geschenk meiner Befrager sind?

Erinnern Sie sich – ich wurde entgegen strikter Instruktionen der medizinischen Spezialisten im Krankenhaus Hasheminejad ins Gefängnis zurückgebracht  – entgegen der Instruktion von Dr. Rezvani, dem Leiter der Gerichtsmedizin West-Teheran, Aktenzeichen Nr. 16820 vom 11. Mai 2010, in dem meine Verlegung in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses empfohlen wurde, und entgegen den wiederholten gleichlautenden Empfehlungen der Gerichtsmedizin vom 28. Juni und 31. Juli 2011?

Entgegen all dieser Empfehlungen wurde ich ins Gefängnis zurückgebracht.

Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen erzählt habe, dass mir angemessene Nahrung, Medikamente, ärztliche Spezialisten und eine für meine Genesung erforderliche ruhige Umgebung vorenthalten werden? Erinnern Sie sich, was Sie darauf gesagt haben? Ihre einzige Antwort war, dass Sie mir wegen der Einwände der Revolutionsgarden keinen Hafturlaub gewähren könnten.

Erinnern Sie sich, dass Sie bei unseren früheren Treffen angedeutet hatten, dass Sie mir Hafturlaub gewähren würden, wenn die Gerichtsmedizin damit einverstanden ist? Nachdem Sie mir das gesagt hatten, stellte ich Nachforschungen an und fand heraus, dass die Gerichtsmedizin meinen medizinisch begründeten Hafturlaub schon drei Monate vor unserem Gespräch befürwortet und Ihnen dies schriftlich mitgeteilt hatte.

Bei unserem Gespräch sagte ich Ihnen, dass es die Sicherheitseinrichtungen sind, die entscheiden, wer wie medizinisch behandelt wird.

Herr Staatsanwalt,

ich habe den Eindruck, dass es um Ihr Wissen über Abteilung 350 nicht besonders gut bestellt ist. Erinnern Sie sich daran, wie ich mit Ihnen über persönliche Besuche sprach und Ihnen sagte, dass ich und meine Freunde mittlerweile von so etwas wie persönlichen Besuchen nur noch träumen?

Erinnern Sie sich, wie Sie antworteten, dass ich, Hossein Ronaghi Maleki, am vorangegangenen Montag persönlichen Besuch bekommen hätte? Erinnern Sie sich, wie ich sagte, dass wer auch immer Ihnen Informationen gibt, nicht Ihr Freund sei, denn ich hätte seit fünf Monaten keinen persönlichen Besuch mehr erhalten. Dies ist bis heute so geblieben.

Wissen Sie noch, wie Sie daraufhin sagten: „Stellen Sie einen Antrag, und ich werde ihn genehmigen“?

Eure Exzellenz, Herr Staatsanwalt,

erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen über die fürchterliche Qualtität des Essens im Gefängnis berichtete und sagte, dass nicht einmal fünf Prozent der von der Gefängnisbehörde festgelegten Ernährungsstandards eingehalten werden? Sie sagten darauf „Sie beschaffen sich ziemlich viel hochqualitative Nahrungsmittel – Sie essen ja sogar Pistazien.“

Wissen Sie noch, wie ich Ihnen die unstandardgemäßen sanitären Zustände in Abteilung 350 beschrieb? Ich erzählte Ihnen, dass auf 30 Gefangene ein Baderaum und eine funktionierende Toilette kommen.

Ich sagte zu Ihnen, wenn wir schon für unser eigenes Essen bezahlen, könnten wir uns ja auch richtige Baderäume und Toiletten finanzieren. Ihre Antwort: „Was würden die Leute sagen, wenn wir das zulassen.“ Ich weiß noch genau, wie Sie das sagten. Sie haben gesagt, dass Sie sich persönlich um dieses Problem kümmern würden. Bis heute haben wir davon noch nichts gemerkt.

Herr Dowlatabadi, erinnern Sie sich daran, wie Sie sagten, dass alle politischen Gefangenen Hafturlaub bekommen, und wie ich daraufhin erwiderte, dass nur eine begrenzte Zahl von Gefangenen Hafturlaub bekämen?

Wissen Sie noch, wie ich Ihnen sagte, dass wöchentlich 30 bis 40 Briefe an Sie geschrieben werden, die Sie nicht beantworten? Sie sagten: „Wo auf der Welt trifft der Staatsanwalt sich direkt mit Gefangenen?“ Ich sagte, die Staatsanwaltschaft sei nirgendwo auf der Welt eine unerreichbare Autorität, und die Bürger könnten [anderswo] jederzeit die Büros der Staatsanwälte aufsuchen und mit ihnen reden.

Ich weiß noch, dass Sie zu mir sagten: „In Fällen wie Ihren (also politischen Gefangenen und Angeklagte mit sicherheitsrelevanten Anklagen) ist die Justiz nicht die höchste Entscheidungsinstanz.“

Vor diesem Hintergrund bin ich natürlich verwundert darüber, dass Sie mir sagen, ich solle bei Ihnen einen Antrag auf Begnadigung stellen, damit Sie mein Urteil reduzieren können.

Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen antwortete, dass sowohl Sie als auch ich wissen, dass meine 15jährige Haftstrafe ungerrecht und politisch motiviert ist, da das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik für die gegen mich vorliegenden Anklagen eine Höchststrafe von sechs Jahren vorsieht?

Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen sagte, dass ich nur einen fairen Prozess fordere, auf den die Revolutionsgarden und das Geheimdienstministerium keinen Einfluss nehmen können?

Herr Staatsanwalt, ich habe Ihnen gesagt, dass wir Kinder dieses Landes sind und dass wir nicht wie Feinde behandelt werden sollten. Erinnern Sie sich?

Ich erinnere mich, dass ich Ihnen sagte, dass ich vor meiner Inhaftierung wegen Verleumdung und Propaganda gegen das System angeklagt war. Dabei wollen wir in Wirklichkeit nichts, was außerhalb oder jenseits der Gesetze der Islamischen Republik liegt.

Herr Staatsanwalt, ich wollte, dass Sie Abteilung 350 besuchen und selbst sehen, dass die Gefangenen pro Kopf weniger als 2 Quadratmeter Platz zur Verfügung haben.

Ich weiß nicht, wie man Ihnen weisgemacht hat, dass es auf diesen 2 Quadratmetern genug Platz für Erholungs- und Sporteinrichtungen gibt.

Ich habe Ihnen erzählt, dass das, was sie als „Erholungsbereich“ bezeichnen, aus ein paar  Hanteln im Hof besteht. Das ist die einzige Sportmöglichkeit, die es in Abteilung 350 gibt.

Erinnern Sie sich – ich habe Ihnen gesagt, dass die politischen Gefangenen trotz ihres großen Potenzials und ihres großen politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Wissens keinerlei Zugang zu den kulturellen Möglichkeiten haben, in deren Genuss Gefangene kommen, die wegen finanzieller Vergehen oder Drogenvergehen verurteilt sind.

Ich habe Ihnen erzählt, dass die Zeitungen, die diese Gefangenen zur Verfügung gestellt bekommen, den politischen Gefangenen in Abteilung 350 nicht zugänglich sind.

Ich wünschte, Sie würden einfach in Abteilung 350 vorbeikommen und sich selbst von der ungleichen Behandlung der politischen Gefangenen überzeugen.

Herr Staatsanwalt, ich fand es interessant, dass Sie mich dazu brachten, Ihnen ein Schreiben zu übergeben, mit dem ich die Übernahme aller Kosten für meine Operationen, Krankenhausaufenthalte und postoperative Pflege garantiere. Damals fragte ich mich, warum [ich] alle Kosten für meine medizinische Versorgung selbst übernehmen soll, wenn ein Häftling [doch eigentlich] durch die vom Gefängnis gestellte Versicherung abgesichert ist.

Und es wurde noch interessanter, als ich herausfand, dass das Hasheminejad-Krankenhaus, das mir für meine Operationen 14.000 Dollar in Rechnung stellte, durch die Versicherung der Gefängnisbehörde abgedeckt ist.

Was bedeutet es eigentlich, die Familien von Gefangenen derart finanziell unter Druck zu setzen und sie zu zwingen, für die Kosten aufzukommen, wenn ein Krankenhaus die Kosten über die Versicherung der Gefängnisbehörde abrechnen kann?

Herr Staatsanwalt, ich habe nur aus Anstand bis heute geschwiegen. Ich habe versucht, ohne die Hebel der Medien und der öffentlichen Meinung meine Rechte zu bekommen, von denen Sie gesprochen haben.

Sind Ihre Äußerungen im Moment nicht ein Zeichen dafür, dass die derzeitigen Methoden ineffektiv sind und keine wirklichen Ergebnisse bringen?  Zwingt mich all dies nicht dazu, mein Vorgehen zu ändern? Aus unterschiedlichen Gründen hoffe ich, dass dies nicht so ist.

Housein Ronaghi Maleki
Evin, Abteilung 350

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/Übersetzung ins Englische: Persian Banoo
Auf Persisch veröffentlicht bei HRANA, 13. August 2011
außerdem bei Rooz Online und RAHANA

Vier Tage nach Veröffentlichung dieses Briefes meldet RAHANA, dass Hossein Ronaghi Maleki im Gefängnis von einem Revolutionsgardisten bewusstlos geprügelt worden sein soll: https://englishtogerman.wordpress.com/2011/08/17/hossein-ronaghi-maleki-im-gefangnis-verprugelt-und-bewusstlos-ins-krankenhaus-eingeliefert/

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Bitte unterstützen auch Sie die Eilaktion von Amnesty International für Hossein Ronaghi Maleki und weitere politische Gefangene! Sie können damit etwas bewirken. Vielen Dank!

Zur Internet-Seite für Hossein Ronaghi-Maleki

Zur Facebook-Gruppe für Hossein Ronaghi-Maleki

2 Antworten zu “Brief des inhaftierten Bloggers Hossein Ronaghi Maleki an den Teheraner Staatsanwalt

  1. Pingback: Hossein Ronaghi Maleki im Gefängnis verprügelt und bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert | Julias Blog

  2. Pingback: News vom 18. August 2011 « Arshama3's Blog

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