Kalemeh, 17. August 2011 – In einem Brief an den Teheraner Generalstaatsanwalt haben politische Gefangene aus Abteilung 350 des Teheraner Evin-Gefängnisses die Verletzung gesetzlich verbriefter Rechte für Gefangene thematisiert. Politischen Gefangenen würden Grundrechte vorenthalten, die inhaftierten Straftätern – also nicht-politischen Gefangenen – gewährt werden, wie z. B. Telefonnutzung, persönliche Besuche von Angehörigen und Hafturlaub.
Der Wortlaut des Briefes wurde der oppositionellen Webseite Kalemeh anonym zugespielt. Die Namen der Gefangenen, die den Brief unterschrieben haben, wurden von Kalemeh nicht veröffentlicht.
An den Generalstaatsanwalt von Teheran
Herrn Jafari Dowlatabadi
Wir schreiben heute nicht an Sie, um Sie oder irgendjemand anderen um Freiheit zu bitten – auch wenn wir der Meinung sind, dass unsere Urteile ungerecht sind. Wir schreiben an Sie, um Sie auf die Verletzung unserer gesetzlich verankerten Rechte aufmerksam zu machen.
Seit Beginn Ihrer Amtszeit als Generalstaatsanwalt ist mehr als ein Jahr vergangen. In dieser Zeit wurden die für Gefangene geltenden Grundrechte für viele von uns beschnitten, so z. B. das Recht auf persönliche Besuche von Angehörigen, Telefonnutzung und Gewährung von Hafturlaub.
All diese Einschränkungen waren Ergebnis Ihrer direkten Anordnungen. So hat sich Ihre Amtszeit als Generalstaatsanwalt von Teheran für uns ausgewirkt.
Sie als Staatsanwalt für Teheran glauben offenbar, dass persönliche Besuche, Telefongespräche und Hafturlaub gesetzlich verankerte Rechte für Gefangene sind, da diese Rechte den Gefangenen in den Gefängnissen des Landes gewährt werden – mit Ausnahme der politischen Gefangenen, denen diese Rechte entzogen werden.
Sie persönlich sind für dieses ungesetzliche Vorgehen gegen uns verantwortlich. Ihr Büro trifft die Entscheidungen über die Gewährung von Besuchsrecht und Hafturlaub. Diese Entscheidungen, die nur von Ihnen getroffen werden, erfolgen in selektiver Weise. Dadurch haben sie viele politische Gefangene zu einer separaten Gruppe werden lassen, für die im Gefängnis andere Regeln und Richtlinien gelten als für andere Gefangene.
Sie haben sich von der Gefängnisbehörde die Befugnis übertragen lassen, darüber zu entscheiden, ob politische Gefangene 3-5 Minuten täglich mit ihren Angehörigen telefonieren oder persönlichen Besuch von ihnen bekommen dürfen. Sie haben diese Befugnis der Rechtssprechung Ihrer Staatsanwaltschaft unterstellt, um einen Teil der Macht und Autorität wiederherzustellen, die Ihre Institution verloren hatte.
Ein Jahr ist vergangen, seit Ihr autoritäres Regime in der Staatsanwaltschaft begann. Sicherlich wissen Sie selbst am Besten, wie groß Ihr Anteil an diesen Ungerechtigkeiten ist. Einige dieser Ungerechtigkeiten haben Sie sogar bei Treffen mit einzelnen politischen Gefangenen selbst angesprochen; lediglich bezüglich des Ausmaßes waren Sie anderer Meinung.
Einigen politischen Gefangenen und Familien gegenüber haben Sie sogar zugegeben, dass das einzige Verbrechen dieser Menschen darin besteht, laut ihre Stimme erhoben zu haben.
Herr Jafari Dowlatabadi,
bei Zusammentreffen mit Familien der politischen Gefangenen haben Sie immer und immer wieder gesagt, dass die Genehmigung persönlicher Besuche nur der Güte des Staatsanwalts zu verdanken sei.
Vermutlich glauben Sie, dass diese Familien für Ihre Freundlichkeit und Güte dankbar sein sollten. Freundlichkeit und Güte, die ihnen nur zuteil wurde, nachdem sie wieder und wieder in Ihr Büro gekommen und stundenlang vor verschlossenen Türen gewartet haben.
Vermutlich erfüllt der Gedanke, diesen Familien aus Freundlichkeit und Güte einen 20minütigen persönlichen Besuch bei ihrem Gefangenen ermöglicht zu haben, Sie mit einem Gefühl der Freude. Vielleicht denken Sie, dass Sie im Jenseits für Ihre Güte belohnt werden und gleichzeitig ihre irdischen Segnungen erfahren können.
Die Familienangehörigen vieler politischer Gefangener leben nicht in Teheran. Ihre einzige Möglichkeit, mit ihrem Gefangenen in Kontakt zu bleiben, war das Telefon – ein tägliches Telefonat von 2 – 3 Minuten Dauer. Selbst diese kurzen Gespräche wurden von den Gefängnisbeamten oft vorzeitig unterbrochen, um ihnen – wie Sie einmal sagten – „Benehmen“ beizubringen.
Diese Art Disziplinierung erfolgte, wenn ein zum Tode verurteilter Gefangener zur Hinrichtung gebracht wurde oder wenn ein Gefangener in ein Gefängnis im Exil wechseln musste und wir uns um ihn versammelten, um uns zu verabschieden und einander zum letzten Mal zu sehen. Diese Versammlungen wurden dann von den Gefängnisbeamten zum Vorwand genommen, um die Telefone abzustellen und Telefonate zu verbieten, weil sie (die Versammlungen) ihrer Meinung nach gegen die Regeln verstoßen.
Als Sie beschlossen, Telefonate grundsätzlich zu verbieten, sagten Sie, wir müssten jeden Tag und jeden Augenblick daran denken, dass wir uns „benehmen“ müssten. Diese Aussage haben Sie uns und unseren Familien gegenüber immer wieder wiederholt. Immer wieder haben Sie gesagt, dass Verzögerungen in der Bearbeitung unserer Fälle darauf zurückzuführen seien, dass wie noch nicht gelernt hätten, uns zu „benehmen“.
Uns stellt sich die Frage, worin Ihre Aufgabe eigentlich besteht. Sind Sie dafür verantwortlich, politischen Gefangenen Benehmen beizubringen, oder besteht Ihre Arbeit in der Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit?
Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie Generalstaatsanwalt der größten Stadt des Mittleren Ostens sind, fragen wie Sie: Ist das die Sprache, die Sie im Umgang mit der Bevölkerung zu verwenden haben, selbst wenn diese Menschen Ihrer Meinung nach schuldig sind?
Welche Verbrechen haben die Angehörigen dieser Schuldigen im Übrigen begangen, dass sie von Ihnen so behandelt werden?
Herr Jafari Dowlatabadi,
wir verstehen Sie sehr gut. Während Sie in Ihrem Büro sitzen, kommen viele Männer, Frauen und Kinder zu Ihnen, um von Ihnen die Erlaubnis zu bekommen, ihre geliebten Angehörigen bei einem persönlichen Besuch im Gefängnis oder bei einem Hafturlaub sehen zu können. In solchen Momenten müssen Sie sich groß und wichtig vorkommen.
Es ist mehr als ein Jahr vergangen, seit Sie groß und wichtig wurden. Mehr als ein Jahr, in dem Sie persönliche Besuche verboten, Anträge auf Hafturlaub abgelehnt und Telefonkontakt unterbunden haben.
Wir schreiben Ihnen dies alles nicht, um irgendetwas von Ihnen zu erbitten. Wir möchten lediglich diese Tatsachen für die Nachwelt festhalten. Die Geschichte wird bald über Sie und über uns richten.
Sie scheinen allerdings ein schwaches historisches Gedächtnis zu haben, denn Sie müssten lediglich an den psychologischen und sozialen Status Ihres Vorgängers denken.
Kein freiheitsliebender Iraner würde unserer Meinung nach gern an Ihrer Stelle sein. Wenn Sie auch nur den geringsten Respekt vor Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit hätten, würden Sie ebenso fühlen.
(Unterschriften von Kalemeh nicht veröffentlicht)
Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/Übersetzung ins Englische: Persian Banoo
Persisch: Kalemeh
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