Die Verbrechen: Hilfe für Hinterbliebene und Berichterstattung über Homosexuelle

Siamak Ghaderi

Rooz, 27. August 2011 – In einem Interview mit Fereshteh Ghazi von Rooz Online hat die Ehefrau des inhaftierten Journalisten Siamak Ghaderi mitgeteilt, dass ihrem Mann „Verstöße gegen die Gesetze der Religion“ vorgeworfen werden, weil er über Homosexuelle berichtet hatte. Er habe damit jedoch seiner Pflicht entsprochen, die Öffentlichkeit zu informieren.

Ghaderi, ein früherer Reporter der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA, wurde der Verbreitung von Lügen, der systemfeindlichen Propaganda, der Beleidigung des Präsidenten und des Justizchefs sowie des Verstoßes gegen religiöse Gesetze für schuldig befunden und zu 4 Jahren Haft und 80 Peitschenhieben verurteilt.

Der inhaftierte Aktivist Seyed Mohamadd Ebrahimi
Außerdem berichtete eine Quelle aus dem nahen Umfeld der Familie des inhaftierten Aktivisten Seyed Mohammad Ebrahimi in einem Interview mit Rooz über den besorgniserregenden mentalen Zustand des Aktivisten und den Druck der Sicherheitskräfte auf dessen Familie. Das Vergehen Ebrahimis besteht in seiner humanitären Arbeit.

Ebrahimi war im Dezember 2010 verhaftet und wegen Verschwörung und Gefährdung der nationalen Sicherheit angeklagt worden. Er war ein Bindeglied zwischen [dem oppositionellen Präsidentschaftskandidaten] Mir Hossein Moussavi und Familien, die während der Unruhen nach der Präsidentschaftswahl von 2009 Kinder oder andere Angehörige verloren hatten.

Die Quelle berichtet: „Mohammads einziges Verbrechen bestand darin, dass er Familien besucht hat, die Angehörige verloren haben. Er half ihnen auf jede ihm mögliche Weise und bot ihnen Trost. Darum haben sie ihn verhaftet, deshalb ist er jetzt seit Monaten im Gefängnis. Offenbar ist es in unserem Land ein Verbrechen, hinterbliebenen Müttern Mitgefühl und Unterstützung anzubieten.“

„Wir waren geschockt, als wir hörten, dass Mohammad ‚Verschwörung gegen die nationale Sicherheit‘ vorgeworfen wird. Ist es ein Verbrechen, Mütter, die ihre Kinder verloren haben, oder Kinder, die ihre Väter verloren haben, zu besuchen? Stellen solche Handlungen wirklich so eine Gefahr für unsere nationale Sicherheit dar, dass sie Mohammad dafür derart unter Druck setzen müssen, dass er möglicherweise in der Psychiatrie endet?“

„Mohammads Frau steht unter extrem hohem Druck. Sie wurde viele Male vorgeladen und verhört. Aus diesem Grund schweigt sie, und Mohammad muss im Gefängnis ohne jede Hilfe weiter leiden.“

„Mohammad hat als Repräsentant Moussavis die weniger bekannten Märtyrer identifiziert und ihren Familien Trost und Hilfe angeboten. Das war sein einziges Verbrechen. Jetzt ist Mohammad selbst einer der wenig bekannten Gefangenen und wurde monatelang unter extremem Druck in Einzelhaft gehalten und gefoltert. Sein mentaler Zustand hat sich derart verschlechtert, dass er in die psychiatrische Klinik Aminabad gebracht werden musste. Er verbrachte dort 34 Tage und wurde dann wieder ins Gefängnis zurückverlegt.“

„Nachdem sie ihn in Abteilung 350 gebracht hatten, starb sein Vater. Als er davon erfuhr, traf ihn das so schwer, dass er einen [epileptischen?] Anfall erlitt [„convulsion“]. Er nimmt jeden Tag 24 Tabletten, die sehr stark sind und schwere Nebenwirkungen haben.“

„Die ganze Zeit über haben sie ihm nicht einen einzigen Tag Hafturlaub gewährt. Er durfte nicht einmal zum Begräbnis seines Vaters gehen, um sich von ihm zu verabschieden.“

Der Quelle zufolge wurde Ebrahimi inzwischen wieder in die (Hochsicherheits-) Abteilung 209 zurückverlegt. „Er hatte gerade damit begonnen, mit der Hilfe anderer Gefangener in Abteilung 350 etwas Sport zu treiben. Sie haben ihm wirklich geholfen und ihn emotional unterstützt, aber jetzt ist er wieder in Abteilung 209, um weiter verhört zu werden.“

„Wir verstehen wirklich nicht, wozu diese Verhöre gut sein sollen. Sie haben ihn sieben Monate lang verhört, sie haben ihn in die Psychiatrie und wieder zurück ins Gefängnis gebracht. Was für Informationen wollen sie noch von ihm? Was hat Mohammad ihnen zu sagen, dass er nochmals in Abteilung 209 verhört werden muss?“

„Welche Verbrechen hat er begangen? Ist es ein Verbrechen, Müttern von Märtyrern Mitgefühl und Unterstützung anzubieten? Wenn ja, dann muss das ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden.

Der inhaftierte Journalist Siamak Ghaderi
Nach Angaben der Ehefrau des früheren IRNA-Reporters Siamak Ghaderi wird ihrem Mann vorgeworfen, gegen die Gesetze der Religion verstoßen zu haben. Weil er mit Homosexuellen Interviews geführt und über sie berichtet hatte, wurde er zu einer Haftstrafe und Peitschenhieben verurteilt.

Siamak Ghaderi war am 27. Juli 2010 in seiner Wohnung verhaftet worden. Ihm wurden Verbreitung von Lügen, systemfeindliche Propaganda, Beleidigung des Präsidenten und des Justizchefs, Verstöße gegen religiöse Gesetze und Störung der Öffentlichkeit vorgeworfen. Er wurde zu 4 Jahren Haft, einer Geldstrafe und 80 Peitschenhieben verurteilt. Zur Zeit ist er in Abteilung 350 des Evin-Gefängnisses inhaftiert.

Seine Frau Farzaneh Mirvand, die ihn gestern im Gefängnis besucht hat, berichtet, dass er guter Dinge sei. „Mein Mann hat nicht einen einzigen Tag Hafturlaub erhalten. Ich war unzählige Male bei der Staatsanwaltschaft, um um Hafturlaub für ihn zu bitten, aber ich habe keine Antwort von ihnen bekommen.“

„Ein Mal traf ich zufällig den Generalstaatsanwalt, Herrn Jafari-Dowlatabadi. Ich habe ihm die Situation meines Mannes beschrieben und gesagt, dass mein Mann noch immer mit dem ersten Haftbefehl im Gefängnis festgehalten wird, der für die Dauer von 2 Monaten ausgestellt ist und der nie verlängert wurde. Der Staatsanwalt war überrascht und fragte, ob meinem Mann überhaupt Hafturlaub gewährt worden sei. Als ich verneinte, sagte er, ich solle mir vom diensthabenden Soldaten ein Formular geben lassen, er würde es unterschreiben und dafür sorgen, dass der Sache nachgegangen wird.“

„Als ich das Formular bekommen hatte, fragte er nach dem Namen meines Mannes. Als ich sagte, es handle sich um Siamak Ghaderi, fragte der Staatsanwalt: ‚Etwa dieser Journalist?‘ Er sagte, in diesem Fall sei es nicht notwendig, dass ich das Formular ausfülle, ich solle es zurückgeben. Mein Mann habe schreckliche Dinge verbrochen und müsse lange im Gefängnis bleiben. Ich könne erst um etwas bitten, wenn mein Mann mindestens zwei weitere Jahre im Gefängnis war.“

„Dem Gesetz nach hat jeder Gefangene, auch ein politischer Gefangener, das Recht auf Hafturlaub, wenn er ein Sechstel seiner Haftstrafe verbüßt hat. Aber als der Staatsanwalt den Namen meines Mannes hörte, sagte er, mein Mann müsse noch mindestens zwei Jahre im Gefängnis verbringen, bevor ich Hafturlaub für ihn beantragen kann. Nach diesem Gespräch richtete ich weitere Hafturlaubsgesuche an die Behörden, aber ohne Erfolg.“

„Mein Mann ist Journalist, er hat nichts getan, außer zu berichten. Von seiner Stelle bei IRNA wurde er gefeuert, nachdem er 18 Jahre lang für sie gearbeitet hatte. Sie haben seine Internetseite 13 Mal gefiltert und ihn dann verhaftet und gesagt, er habe bei den Protesten mitgemacht. Ich frage mich, wie ein Journalist einen Bericht über einen Protest schreiben kann, wenn er nicht vor Ort ist. Es ist für einen Reporter kein Verbrechen, am Ort eines Protestes anwesend zu sein, um darüber berichten zu können.“

Nachdem Präsident Ahmadinejad an der Universität erklärt hatte, es gebe in Iran keine Homosexuellen, hatte Ghaderi mit mehreren Homosexuellen Interviews geführt und einen Bericht verfasst. Für diese Interviews muss sich der Journalist jetzt wegen „Verstoßes gegen religiöse Gesetze“ verantworten.

„Wir sind sehr aufgebracht über diese Situation“, so seine Frau. „Es ist der Gipfel der Ungerechtigkeit, ihn wegen solcher Vorwürfe zu 4 Jahren Haft und 80 Peitschenhieben zu verurteilen. Mein Mann als Journalist hat mit mehreren Homosexuellen Interviews geführt. Als sie ihn verhafteten und ihn mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen religiöse Gesetze konfrontierten, teilten sie ihm mit, dass er selbst ein Homosexueller sei und dass seine Kontakte mit ihnen nicht der Berichterstattung gedient hätten. Sie haben auch einige Personen verhaftet, die mein Mann interviewt hatte.“

„Mein Mann wurde für seine Berichte für IRNA oft gelobt. Einmal hat er sich als Drogendealer ausgegeben und ist nach Khake Sefid gefahren, um über den Drogenhandel dort zu berichten. Auf Grund seines Berichts hat die Polizei dann dort ermittelt und einige Verhaftungen vorgenommen. Heißt das jetzt, dass mein Mann ein Drogendealer ist? Er hat nur seinen Beruf ausgeübt.“

„Dasselbe gilt für seine Interviews mit den Homosexuellen. Es ist ihm gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen, und sie haben ihm Interviews gegeben. Heißt das, dass mein Mann homosexuell ist?“

„Ich erinnere mich, dass die Zeitung Kayhan einen Artikel veröffentlichte, in dem sein Name und weitere Informationen über ihn angegeben waren. Sie beschuldigten ihn, homosexuell zu sein. Kayhan warf meinem Mann vor, mit den Anliegen von Homosexuellen zu sympathisieren.“

„Wir haben nichts dazu gesagt, wenn eine Zeitung so viel Unkenntnis über den Beruf des Journalisten offenbart und nicht versteht, dass ein Journalist für einen Bericht viele Menschen aus vielen verschiedenen Bereichen interviewt. Was können wir denn sagen, wenn sie nicht wissen, dass ein Journalist, der über ein Thema berichtet, dieses nicht notwendigerweise gutheißen oder missbilligen muss?“

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/Übersetzung ins Englische: Persian Banoo
Persisch: Rooz Online, 27. August 2011

2 Antworten zu “Die Verbrechen: Hilfe für Hinterbliebene und Berichterstattung über Homosexuelle

  1. Pingback: Gefangener nach Enthüllungen über seine Folter in Evin bedroht | Julias Blog

  2. Pingback: News vom 2. September 2011 « Arshama3's Blog

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