Unsichtbare Iraner

Huffington Post, 30. September 2011 – von Roya Borumand – An manchen Tagen sehne ich mich nach der Zeit zurück, als es kein Internet gab, und Informationen über tragische Ereignisse schwer zu überprüfen waren und uns nur langsam erreichen. Wir fühlten uns entmutigt, und tatsächlich waren wir machtlos, aber heute verleiht uns unsere Informiertheit nicht unbedingt mehr Macht.

Im Zeitalter der Kommunikation bewegen sich Nachrichten schnell, und Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Iran mögen sogar Interesse wecken, wenn sie nicht gerade mit Berichten über Irans nukleare Ambitionen konkurrieren, und wenn die Opfer bekannt sind oder besonders grausam behandelt werden (zum Beispiel bei einer Steinigung). Es ist jedoch viel schwieriger, das Interesse der Medien für die normalen Bürger zu gewinnen, die unter jeder repressiven Regierung den Stützpfeiler des Widerstandes bilden und deren Weigerung, sich unterzuordnen, besonders hart bestraft wird. Denn sie sind unbekannt und daher unsichtbar.

Das Weiße Haus hat der Entscheidung Irans, einen christlichen Pastor wegen seiner Weigerung, zum Islam zu konvertieren, hinzurichten, willkommene Aufmerksamkeit geschenkt. Aber es gibt so viele andere Fälle…

Gestern bin ich vor meinem Laptop erstarrt, als ich die Nachricht vom Selbstmord einer jungen Frau, Nahal Sahabi, in Teheran las. Nahal gehört zu den vielen jungen Iranern, die die Gegenwart unerträglich finden und die Zukunft zu unsicher, um lebenswert zu sein. Wir wissen von ihrem Selbstmord, weil sie die Freundin des 22-jährigen Behnam Ganji war, der sich am 1. September 2011 das Leben genommen hat.

Soweit ich von einem Verwandten gehört habe, der ihn gut kennt, war Behnam ein optimistischer und sensibler junger Mann. Er hatte Pläne für die Zukunft und renovierte enthusiastisch das Haus, in das er einziehen wollte. Niemand weiß genau, warum er beschloss, sich das Leben zu nehmen. Wir wissen nur, dass sein Selbstmord drei Wochen nach seiner Entlassung aus dem Teheraner Evin-Gefängnis geschah. Behnam war weder Menschenrechtsaktivist noch Dissident, doch solche Details spielen im Iran heute keine Rolle mehr. Er hatte das Pech, am 31. Juli 2011 anwesend zu sein, als zivil gekleidete Sicherheitsbeamte seinen Mitbewohner Kouhyar Goudarzi, einen 25-jährigen Menschenrechtsaktivisten, verhafteten. Behnam gehört zu den vielen gewöhnlichen Bürgern Irans, die jedes Jahr zum Kollateralschaden der behördlichen Verfolgung von Dissidenten werden, unsichtbar für den Rest der Welt.

In einem Video, das Behnam hinterließ, erklärte er, den Glauben an den Wert des Lebens verloren zu haben und richtete eine ärgerliche Botschaft an die Adresse der Polizei: diese suche „nach einem Nichts“ und werde „nichts finden“. Was mag also in Evin geschehen sein, das Behnam und schließlich auch die Frau, die ihn liebte, zum Selbstmord bewegte? Warum hat die dritte Person, die zusammen mit Kouhyar und Behnam festgenommen wurde, ihr Mobiltelefon abgeschaltet und reagiert seit ihrer Entlassung am 7. August nicht mehr auf Nachrichten/Anrufe von Freunden? Vor allem aber: warum konnte seit seiner Verhaftung niemand, nicht einmal sein Anwalt, mit Kouhyar sprechen oder ihn besuchen? Warum geben die Behörden keine eindeutige Antwort auf die Frage, wo er sich befindet und wer ihn festhält?

Kouhyars Festnahme kam nicht überraschend. Sein Aktivismus und die Hartnäckigkeit, mit der er die Einhaltung der Menschenrechte forderte, hatten ihm seit 2006 mehrere Gefängnisaufenthalte eingebracht. Er musste bis zu seiner Entlassung im Dezember 2010 ein Jahr im Evin-Gefängnis verbringen und wurde von der Universität verwiesen.

Im Gegensatz zu Kouhyar war Behnam nicht wegen seiner Aktivitäten verwarnt worden. Er wurde mit festgenommen, weil er Zeuge war. Über eine Woche lang wurde er festgehalten und verhört, damit er begriff, dass er ernsthaft in Gefahr war und keine Informationen weitergeben würde. Behnam verhielt sich nach seiner Entlassung ruhig, und auch Kouhyars Mutter wurde am Reden gehindert. Sie wurde am 1. August in ihrer Heimatstadt Mashhad (Provinz Khorasan) verhaftet. Laut dem Committee of Human Rights Reporters, dem Kouhyar angehörte, wurde sie wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ und „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ angeklagt, weil sie während der letzten Inhaftierung ihres Sohnes einige Interviews gegeben hatte. Ihr wurde bereits hinter verschlossenen Türen der Prozess gemacht.

Demnach spielt die Berichterstattung durchaus eine Rolle, und wir können dazu beitragen, die Informationen zu verbreiten. Aber ohne internationale Unterstützung und Sichtbarkeit in den Medien werden unsere Bemühungen nicht den gewünschten Erfolg haben. Nachdem iranische Aktivisten darüber diskutiert hatten, wie sie die Aufmerksamkeit auf das zwei Monate andauernde spurlose Verschwinden Kouhyars und den Selbstmord seiner Freunde lenken könnten, stellte sich heraus, dass keine der ersonnenen Aktionen – Online-Poster, Internetkampagnen, Protestaktionen am Dupont Circle, ein Sit-In vor dem Büro der Washington Post – eine Berichterstattung durch die Medien garantieren konnte.

Für diejenigen unter uns, die mit repressiven Regimen vertraut sind, ist die Rechnung einfach. Jedes Mal, wenn die Mutter oder der Anwalt eines Dissidenten verhaftet wird, werden zahlreiche andere Mütter und Anwälte abgeschreckt und entscheiden sich, zu schweigen oder politischen Fällen nicht weiter nachzugehen. Immer noch erreichen uns Namen von jungen Leuten, die im Jahr 2009 getötet wurden, und deren Eltern es bis vor kurzem nicht gewagt haben, die Nachricht vom Tod ihrer Kinder öffentlich zu machen. Internationale Unterstützung und das Interesse der Medien schaffen einen Raum der Sicherheit für diejenigen, die Widerstand leisten und ermutigen andere, sich ihnen anzuschließen. Nichts ist so demotivierend für diejenigen, die gegen die Tyrannei kömpfen, wie das Gefühl, unsichtbar oder vergessen zu sein. Die politische Entwicklung in geschlossenen Ländern wird nicht unbedingt von Ereignissen bestimmt, die sich vor laufenden Kameras ereignen, oder von Panzern, die über Demonstranten rollen. Die wichtigsten Kämpfe sind langfristiger Natur und drehen sich darum, gehört zu werden, um psychologische Kriegsführung zwischen Verfolgten und Verfolgern. Letztere beziehen ihre Stärke aus ihrer Fähigkeit, ihre Opfer davon zu überzeugen, dass die Welt sie nicht hört und dass sie unbedeutend seien.

Im Sommer 1988 beispielsweise erreichte uns die Nachricht von geheimen Massenhinrichtungen in iranischen Gefängnissen erst Monate, nachdem mehrere Tausend junger Männer und Frauen heimlich erhängt und begraben worden waren. Ihr Verbrechen bestand hauptsächlich darin, dass sie sich trotz jahrelanger Misshandlung im Gefängnis nicht der offiziellen Ideologie unterordnen wollten. Sie waren den meisten von uns sowie der Außenwelt unbekannt. Sie waren unsichtbar. Ihr Tod wurde kaum registriert und war schnell vergessen. Im Juli 1999 gingen tausende Studenten auf die Straße, um gegen die brutalen Attacken auf ihre Wohnheime zu protestieren. Es handelte sich bei ihnen größtenteils um gewöhnliche, unbekannte junge Iraner. Sie wurden brutal unterdrückt und von der Welt vergessen, sobald sie nicht mehr im Blickfeld der Öffentlichkeit waren. In ihrem Fall könnten allerdings die modernen Kommunikationstechnologien dazu beigetragen haben, dass es nicht zu Massenhinrichtungen kam.

Seit 1999 wurden tausende Studenten verhaftet, gefoltert und vom Studium suspendiert oder ausgeschlossen, weil sie Dinge taten, die hier in den Vereinigten Staaten jeder Student tun kann. Einige sind im Gefängnis gestorben, andere wurden ins Exil gezwungen, und viele andere sind durch hohe Kautionssummen oder Bewährungsstrafen zu Geiseln geworden. Dieses Muster blieb nach den medienwirksamen Protesten gegen die Wahl 2009 bestehen. Diesmal aber waren die Gefängnisstrafen viel länger, und sie wurden nicht zur Bewährung ausgesetzt. Während vorher bereits eine große Zahl an Flüchtlingen den Iran verließ, sehen wir uns nun einem wahren Flüchtlingsstrom gegenüber. Jedes Mal wurden viele verhaftet, die wie Behnam zur falschen Zeit am falschen Ort waren und zu Kollateralschäden wurden. Wir können nicht auf sie aufmerksam machen, weil sie nicht bekannt sind und daher für unbedeutend gehalten werden.

Selbstverständlich passiert in der Welt vieles, worüber es sich zu berichten lohnt, und wir können nicht erwarten, dass jede Menschenrechtsverletzung im Iran außerhalb des Landes Sichtbarkeit bekommt. Bei einer Diskussion unter Aktivisten darüber, was im Zusammenhang mit Kouhyars Verschwinden und Behnams Tod der „Aufhänger“ für die Medien sein könnte, wies jemand auf den Selbstmord der Frau hin, die Behnam liebte. Natürlich hätte dies Nachrichtenwert, wenn es in den Vereinigten Staaten geschehen wäre. Diejenigen, die über Politik, polizeiliche Gewalt oder rechtliche Angelegenheiten in den Vereinigten Staaten berichten, wissen genau, dass die Verhaftung eines Bürgerrechtsaktivisten oder der Selbstmord einer Person, die zuvor eine Woche lang verhört wurde, für ihre Arbeit von Bedeutung ist. Wenn es aber um die Berichterstattung über andere Länder geht, verliert sich diese Logik in einem Labyrinth von Meinungen darüber, was wichtig ist und was nicht. Trotz jahrelanger Beobachtung verirren sich viele von uns darin.

Roya Borumand ist geschäftsführende Direktorin der Abdorrahman Boroumand Stiftung.

Übersetzung aus dem Englischen: Elli Mee
Quelle: Huffington Post

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