Arseh Sevom, 4. Juni 2012 – Themen dieser Ausgabe: Die Sterne des Monats Khordad | #SaveMaleki | Cyber-Krieg trifft Iran | Schadprogramm in Form einer Simurgh-Fälschung im Umlauf | „Erschießt den Abtrünnigen“ | Ahmad Shaheed will Flüchtlinge in der Türkei besuchen | Afghanen aus 14 iranischen Provinzen verbannt | Journalisten von Radio Farda in Iran schikaniert | Krawattenverbot in Kraft getreten | Die gefährliche sexuelle Revolution der Frauen | Organverkauf: „22 Jahre, absolut gesund“ | Funken der Hoffnung
Die Sterne des Monats Khordad
Wir schreiben den Monat Khordad des iranischen Sonnenkalenders. In diesen Monat fallen die Geburtstage 9 iranischer Gewissensgefangener. Die Familien dieser Gefangenen versammelten sich zusammen mit Angehörigen von Todesopfern der Ereignisse nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl von 2009 zu einer gemeinsamen Geburtstagsfeier unter der Losung „Die eingekerkerten Edlen, die Sterne des Monats Khordad“. Unter den Teilnehmern befanden sich auch Nasrin Sotoudehs Ehemann Reza Khandan mit dem gemeinsamen kleinen Sohn Nima. Hier gibt es einen Fotobericht von der Veranstaltung.
#SaveMaleki
Die Sorge um die Gesundheit des in Teheran inhaftierten Bloggers und Menschenrechtsaktivisten Hossein Ronaghi Maleki war Thema eines Tweet Storms, der das Anliegen mit dem Hashtag #SaveMaleki zum Trending Topic auf Twitter machte. Maleki leidet an Nierenversagen und bekommt im Gefängnis keine angemessene Behandlung. Amnesty International hat eine Eilaktion mit Protestbriefen an iranische Offizielle gestartet:
Sein Vater Ahmad Ronaghi Maleki erklärt, dass staatliche Gerichtsmediziner und die Ärzte [Malekis] eine postoperative Spezialbehandlung für Hossein Ronaghi Maleki und medizinisch begründeten Hafturlaub gemäß den Gefangenenvorschriften angeordnet hätten. Die Gefängnisbehörden seien dieser Bitte nicht nachgekommen. Seine Eltern sagten gegenüber Journalisten, dass ihr Sohn unter Druck gesetzt werde und zunächst ein „Geständnis“ ablegen solle, bevor sein Antrag auf Hafturlaub genehmigt wird.
Nach Sachlage der Amnesty International vorliegenden Informationen handelt es sich bei Hossein Ronaghi Maleki um einen Gewissensgefangenen, der allein wegen der friedlichen Ausübung seines Rechts auf Ausdrucksfreiheit festgehalten wird. Die Organisation fordert seine umgehende und bedingungslose Freilassung.
Cyber-Krieg trifft Iran
Der Angriff der Malware „Flame“ auf Computer des Ölministeriums, der zu einer vollständigen Abkopplung des Computersystems des Ministeriums vom Internet führte, dominierte letzte Woche Teile der iranischen Nachrichten. Die iranische Cyber-Polizei hat die Bedrohung eigenen Angaben zufolge im Griff, während das Koordinationszentrum für Computernotfälle mitteilt: „Angesichts des Komplexitätsgrades und der fortgeschrittenen Funktionalität, aber auch der ähnlichen Zielsetzung dieser Malware kann es sich sehr wahrscheinlich um ein neues Produkt der Art von Stuxnet und Duqu handeln.“
Bemerkenswert an „Flame“ ist die Dauer seiner Online-Aktivitäten, bei denen vermutlich Informationen von iranischen Computern gestohlen wurden. Die russische Firma Kaspersky wird von der Nachrichtenagentur IRNA mit den Worten zitiert, die Malware sei „seit mehr als 5 Jahren aktiv“.
Kaspersky beschreibt „Flame“ als eines der „bis heute ausgeklügeltsten Angriffs-Tools“. „Wir glauben, dass das Flame-Projekt nicht vor 2010 entwickelt wurde und bis heute aktiv weiter entwickelt wird.“ Dies könnte bedeuten, dass „Flame“ seit mindestens 2 Jahren unentdeckt sein Unwesen treibt.
Die Malware war in der Lage, die Kontrolle über Mikrofone der Computer zu übernehmen, Screenshots anzufertigen und Daten zu attackieren. Eingeführt wurde es über ein Thumb Drive.
Mehr über Flame:
How a Secret Cyberwar Program Worked
Companies Failed to Catch Flame and Stuxnet
Schadprogramm in Form einer Simurgh-Fälschung im Umlauf
Auf unserer persischsprachigen Seite erwähnten wir ein beliebtes Anti-Zensur-Tool (Anti-Filter-Software) mit dem Namen “Simurgh-e Sabz”.
Unter iranischen und syrischen Usern wurde jetzt eine manipulierte Version von Simurgh verbreitet, die über eine Hintertür Informationen von ihren Computern stehlen kann. Diese Informationen werden dann auf eine Remote-Site mit einer ISP in Saudi Arabien weitergeleitet. Mehr dazu gibt es in diesem Bericht.
Simurgh-e Sabz hat auf seiner Webseite eine Warnung vor dieser Bedrohung veröffentlicht.
„Erschießt den Abtrünnigen“

Screenshot aus dem Online-Spiel, in dem virtuelle Glaubensabfällige und insbesondere der Rapper Shahin Najafi getötet werden können.
Auch in dieser Woche gab es weiterhin Reaktionen von systemtreuen Webseiten und Offiziellen der Islamischen Republik auf den regimekritischen Rapper Shahin Najafi und seinen umstrittenen Song Naghi, der in ihren Augen Gotteslästerung ist und Najafi zu einem Glaubensabfälligen macht, der „von den Gläubigen“ hingerichtet werden muss. (Frühere Berichte über Shahin Najafi in englischer Sprache gibt es hier und hier.)
In einem offiziellen Interview mit dem Leiter des Nationalen Zivilstandsregisters der Provinz Fars sagt dieser, viele Menschen mit dem Namen Shahin würden ihren Namen aus Protest gegen Shahin Najafi ablegen und sich religiöse Namen zulegen. Ein Offizieller behauptet: „Einige Landsleute namens Shahin, oder solche, die einen Sohn dieses Namens haben, kommen in unser Büro, um die Namen durch religiöse Namen der heilige Imame zu ersetzen.“
Ein islamisches Institut mit dem Namen „Reine Islamische Kunst“ hat zwei Spiele entwickelt und in Umlauf gebracht, in denen es um die Ermordung Shahin Najafis geht. Die Spiele heißen „Erschießt den Abtrünnigen“ und „Fall in die Hölle“. Wenn der Spieler den „verdammten Ketzer“ verfehlt, erscheint eine Botschaft auf dem Bildschirm, mit der ihm zu seinem „Märtyrertod“ gratuliert wird. (Anm. d. Herausgebers: Wegen der Hetzbotschaften dieser Spiele haben wir uns dazu entschlossen, sie nicht direkt zu verlinken. Man findet sie über den Suchberiff „Honarenab“).
Ahmad Shaheed will Flüchtlinge in der Türkei besuchen
Der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechtslage in Iran hat in einem Interview mitgeteilt, dass er in der Türke mit iranischen Asylsuchenden zusammentreffen will.
Afghanen aus 14 iranischen Provinzen verbannt
In 14 der 31 iranischen Provinzen dürfen jetzt keine Afghanen mehr leben.
Einem Bericht zufolge werden Nichtiraner nicht mehr für Master- und Phd-Studiengänge in Fächern wie Atomphysik, Physik (Nukleare Vedichtung), Nuklearingenieurwesen und Waffentechnik zugelassen.
Nach Angaben des Hohen UN-Flüchtlingsrats (UNHCR) haben Iran, Pakistan, Afghanistan und der UNHCR einen Plan zur Repatriierung afghanischer Flüchtlinge entwickelt, die zum Teil seit 30 Jahren in Iran leben.
Journalisten von Radio Farda in Iran schikaniert
Wir erinnern uns noch an die Skype-Verhöre und Schikanen gegen Journalisten von BBC Persian. Der Direktor des persischsprachigen Senders von Radio Free Europe/Radio Liberty (Radio Farda) hat mitgeteilt, dass Sicherheitskräfte der Islamischen Republik die in Iran lebenden Angehörigen von Kollegen vorgeladen, verhört und bedroht hätten. In einem Interview mit Radio Farda erklärt Armand Mostofi: „Die Befrager haben die Familien bedroht und sie aufgefordert, den Kontakt zu ihren bei Radio Farda arbeitenden Angehörigen abzubrechen. In einigen Fällen haben sie die Familien sogar aufgefordert, die Journalisten anzuhalten, ihre Zusammenarbeit mit Radio Farda einzustellen und nach Iran zurückzukehren.“
Krawattenverbot in Kraft getreten
Die Nachrichtenagentur ISNA in Teheran berichtet von neuen Bemühungen um eine Durchsetzung des Verkaufsverbotes für Krawatten in Iran: „Nach der Islamischen Revolution wurde der Verkauf von Krawatten in Iran verboten. Doch noch immer werden sie in einigen Geschäften verkauft. Die betreffenden Geschäfte wurden von den verantwortlichen Disziplinarkräften verwarnt.“
Zwar seien trotz des Verbotes in den letzten Jahren mehr Krawatten verkauft worden, doch sei die Einhaltung des Verbots in letzter Zeit entschlossen überwacht worden, so ISNA weiter. Ein Teheraner Verkäufer wird mit den Worten zitiert: „Vor einigen Tagen hat uns die Abteilung für Öffentliche Orte der Disziplinarkräfte (NAJA: Die iranische Polizei) angewiesen, sämtliche Krawatten aus unserem Verkaufsangebot zu entfernen.“
Javad Doroodian, der Vorsitzende der Gilde der Hemdenverkäufer und Schneider, gab gegenüber ISNA an, die Gilde habe ihr Logo abändern und die dort abgebildete Krawatte entfernen müssen.
„Die gefährliche sexuelle Revolution der Frauen“
Ein Ahmadinejad-treuer Universitätsprofessor in Teheran hat vor den Gefahren des – wie er es nennt – „Satelliten-TV-Life Style“ gewarnt.
Dr. Ebrahim Fayyaz: „Ich bleibe dabei: So lange es sexuelles Begehren gibt, wird kein Problem gelöst werden. Leider sind es derzeit die Frauen, die sich um sexuelle Beziehungen bemühen, und das bedeutet eine gefährliche sexuelle Revolution.“ Die Entstehung dieses Trends innerhalb der iranischen Gesellschaft erklärt Dr. Fayyaz so: „Frauen haben jetzt mehrere Sexualpartner, und all das ist das Ergebnis des Satelliten-(TV)- Life Style.“
Organverkauf: „22 Jahre, absolut gesund“
Die wirtschaftliche Not in Iran bringt eine soziale Tragödie für die wirtschaftlich weniger privilegierten Mitglieder der Gesellschaft hervor. Die Zeitung „The Guardian“ hat bestürzende Fotos von Aushängen auf Straßen und an Krankenhäusern veröffentlicht, auf denen Organe zum Verkauf angeboten werden. Sie enthalten Angaben zur Blutgruppe, und auf den meisten wiederholt sich ein einziges Wort: „Dringend“.
Funken der Hoffnung
Bei vielen unserer Leser kam Hoda Rostamis Fotosammlung unter dem Titel „Die verbotene Stadt“ mit Fotos aus Teheran gut an (s. Bericht der vergangenen Woche).
Als seien sie einem dieser Fotos entstiegen, singen Mahsa und Marjan Vahdat auf einem Dach in Teheran für die Hoffnung:
Ich habe eine Hoffnung, in deinem Himmel, ich habe eine weiße Wolke gesehen, die weiße Wolke unserer Hoffnung…
Bis nächste Woche.
Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom
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