Kurzmeldungen aus der iranischen Zivilgesellschaft – 25. Juni 2012

Arseh Sevom, 25. Juni 2012 – Themen dieser Ausgabe: Gedenken an Neda | 10 000 Unterschriften gegen die Subventionsreform | Arbeiteraktivisten schikaniert | Tribunal untersucht die Massenhinrichtungen im Iran der 1980er Jahre | Nargess Mohammadi: „Sie sind verantwortlich für alles, was mir zustößt“ | Friedensnobelpreisträgerin: Die Islamische Republik will den Tod von Gewissensgefangenen | Polizei stürmt Konzert in Teheran | Todesstrafe für Alkoholkonsumenten | Löwen- und Bärenjungen in Mashhads Straßen unterwegs

Gedenken an Neda
Am 20. Juni ist es drei Jahre her, seit eine Videoaufnahme des gewaltsamen Todes von Neda Agha Soltan um die Welt ging.

Nedas Familie hat „aus Sicherheitsgründen“ nie eine richtige Gedenkfeier für sie abhalten dürfen. Ihre Grabstätte ist jedoch zu einem Pilgerort für viele Aktivisten und Regimekritiker in Iran geworden. Allem Druck zum Trotz versammelten sich vergangene Woche Angehörige und Freunde von Neda  an ihrem Grab auf dem Friedhof Behesht-e Zahra bei Teheran, um eines Opfers zu gedenken, das „anders als die meisten anderen Nationalhelden der patriarchalischen iranischen Gesellschaft eine junge Frau ist, die zum ‚Gesicht der Nation‘ geworden ist.  Was sie so besonders macht, ist, dass sie nicht besonders war. Sie war das iranische Mädchen von nebenan, eine Welt liegt zwischen ihr und dem von der Islamischen Republik gutgeheißenen Bild.“ (Zitat entnommen aus diesem Artikel).

10 000 Unterschriften gegen die Subventionsreform
Nach Angaben der Nachrichtenagentur ISNA soll die zweite Phase des Plans zur Reformierung der Subventionen dieses Jahr umgesetzt werden.

Die erste Phase des Vorhabens, das unter der Regierung Ahmadinejad eingeleitet worden war, überschnitt sich mit einem wirtschaftlichen Niedergang in Iran, zweistelligen Inflationsraten und einem steilen Verfall des Wertes der iranischen Währung Rial.

Besonders hart traf die Subventionsreform die Arbeiterschaft. Bei gleichbleibenden Löhnen schossen die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe. Iranische Arbeiteraktivisten haben landesweit Unterschriften für die Aussetzung der zweiten Phase der Subventionsreform gesammelt.

Die Nachrichtenagentur ILNA berichtet, dass bis zum 16. Juni rund 10.000 Arbeiter unterschrieben hatten.

Auf der Website der Initiative gibt es eine Musterseite zum Ausdrucken. Die mit Unterschriften versehene Seite kann unter der angegebenen Adresse an das Organisationskomitee geschickt werden.

Die Organisatoren nennen sich „Iranian Independent Workers‘ Union“. In ihrem Aktionsaufruf schreiben sie:

 „Liebe Kollegen und Freunde! Diese Petition ist der geringste Beitrag, den wir landesweit leisten können, um das Leben und Wohlergehen unserer Familien zu schützen. Schließt euch an, unterschreibt diese Petition und verbreitet sie für den Schutz unseres Lebens und des Lebens unserer Familien.“

Arbeiteraktivisten schikaniert
Vergangene Woche berichteten wir von den Massenverhaftungen gegen Mitglieder des Koordinationsausschusses zur Unterstützung der Bildung von Arbeiterorganisationen. Inzwischen hat die Organisation einen Bericht über die gewaltsame Auflösung ihres Treffens in englischer Sprache veröffentlicht. Demnach wurden 60 Mitglieder verhaftet, von denen 9 nach wie vor festgehalten werden. Die Sicherheitskräfte hätten [bei der Razzia] in die Luft geschossen und viele Mitglieder verprügelt. Durchsuchungsbefehle oder andere offizielle Anordnungen hätten sie nicht vorgelegt.

Tribunal untersucht die Massenhinrichtungen im Iran der 1980er Jahre
Ein nicht-bindendes internationales Tribunal (Iran Tribunal) ist in der vergangenen Woche zusammengetreten, um die Massaker an politischen Gefangenen in den 1980er Jahren zu untersuchen. John Cooper, ehemaliger britischer Parlamentarier und Mitglied des Lenkungsausschusses des Tribunals, schrieb teilte über Twitter mit: „Mehr als 80 Opfer haben in den letzten 5 Tagen ausgesagt“.

An manchen Stellen der Anhörung konnten die Richter ihre Tränen nicht zurückhalten. Arseh Sevom hat auf seinen persischen und seinen englischen Seiten über das Tribunal berichtet. Ein Interview mit Professor Payam Akhavan, der den Untersuchungsausschuss leitete, ist auf Englisch und auf Persisch verfügbar.

Auszüge aus den Zeugenaussagen wurden von Anwesenden auf Twitter verbreitet. Hier sind einige der englischen Tweets zusammengefasst.

Nargess Mohammadi: „Sie sind verantwortlich für alles, was mir zustößt“
Die Gewissensgefangene und Menschenrechtsaktivistin Nargess Mohammadi ist in einem alarmierenden gesundheitlichen Zustand und muss dringend medizinisch behandelt werden.

In einem offenen Brief an den Teheraner Staatsanwalt beschreibt sie ihre Situation als „langsamen Tod“ und erklärt: „Was auch immer mir zustoßen wird: Die Behörden tragen dafür die Verantwortung“.

Sollte sie sterben, werde es für ihren Tod nicht nur „natürliche Ursachen“ geben wie bei Haleh Sahabi und Hoda Saber, die beide infolge der Behandlung im Gefängnis bzw. durch Sicherheitskräfte starben. In einem Auszug der englischen Übersetzung des Briefes heißt es:

„Ich möchte anmerken, dass ich am 10. Juni 2010 völlig gesund ins Evin-Gefängnis kam. Am 1. Juli 2010 wurde ich mit schweren neurologischen und psychologischen Störungen ins Krankenhaus gebracht.

Nach intensiver medizinischer Behandlung wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich musste täglich 18 Tabletten einnehmen. Mittlerweile sind es nur noch 11 Tabletten pro Tag, aber seit meiner letzten Festnahme ist meine Krankheit mit den Medikamenten nicht mehr zu kontrollieren und hat sich verstärkt.

Zur Zeit bin ich zusammen mit 50 Mörderinnen, zum Tode verurteilten Drogendelinquentinnen, wegen moralischer Vergehen inhaftierten Frauen und Frauen mit mentalen Störungen inhaftiert.

Seit ich in diesen Trakt gekommen bin, habe ich nichts als Anspannung, Nervosität und Angst erlebt, war meine Krankheit kontinuierlich verschlimmert hat.

Nach meiner Krankenakte und nach Auffassung meiner behandelnden Ärzte ist es wahrscheinlich, dass meine Krankheit in direktem Zusammenhang mit der immer mehr zunehmenden Anspannung und Beklemmung zu tun hat.

Zudem habe ich, seit ich in diesem Trakt untergebracht bin, derart furchtbare Situationen erlebt, dass ich nicht in der Lage bin, darüber zu sprechen oder zu schreiben.

Mich in eine solche stressbesetzte Situation zu bringen kommt einer langsamen Vergiftung gleich, mit der ich ganz allmählich zerstört werde.“

Friedensnobelpreisträgerin: Die Islamische Republik will den Tod von Gewissensgefangenen
Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat vor der drohenden Gefahr einer organisierten Tötung von Gewissensgefangenen in Iran gewarnt.

Sie bezieht sich dabei auf mehrere Berichte und Zitate iranischer Offizieller, unter anderem auch auf die Antwort eines Strafanklägers an die Ehefrau Mohammad Sadegh Kaboudvands, der gesagt haben soll: „Es ist für uns überhaupt kein Problem, wenn Gefangene sterben.“ Ein anderer Offizieller soll gesagt haben: „Der Todesengel kommt überall hin, auch ins Gefängnis“. Nargess Mohammadis Verhörbeamter soll gedroht haben, man werde sie „nicht lebend herauskommen lassen“.

In den letzten Monaten sind mehrere Gewissensgefangene in Iran gestorben. Sehr verbreitet sind Nierenerkrankungen.

Polizei stürmt Konzert in Teheran
Die iranische Polizei hat im Rahmen des sogenannten Plans für „soziale Sicherheit“ ein weiteres Konzert in der Hauptstadt Teheran gestürmt (Fotobericht hier).

Wie vor Kurzem berichtet, hat der Druck auf gesellschaftliche Freiheiten rapide zugenommen; stark betroffen ist die Kleiderordnung für Frauen. Angeheizt wurde die Atmosphäre durch vernichtende Kritik eines Befehlshabers der iranischen Sonderpolizei NAJA an Schauspielerinnen und der Filmindustrie für ihr „obszönes Auftreten“. Die NAJA werde noch mehr „Unheil“ bei öffentlichen Anlässen nicht dulden.

In mehreren Fällen hatte die Polizei öffentliche Veranstaltungen gestürmt und Frauen festgenommen, deren Kleiderauswahl sich nicht mit den Vorstellungen der Polizisten deckten. Auch die Schauspielerin Laleh Eskandari wurde bereits festgenommen.

Todesstrafe für Alkoholkonsumenten
Radio Zamaaneh berichtet, dass zwei Männer, die wiederholt wegen Alkoholkonsums verhaftet worden waren, zum Tode verurteilt wurden.

Laut BBC reagieren die iranischen Gesundheitsbehörden alarmiert auf den steigenden Alkoholkonsum. Bei Alkoholtests unter iranischen Autofahrern habe sich gezeigt, dass 26 Prozend der getesteten Fahrer betrunken waren.

Löwen- und Bärenjungen in Mashhads Straßen unterwegs
Vier junge Löwen und zwei junge Bären sind vergangene Woche aus dem Haus eines Zooangestellten in Mashhad entwischt. Es ist unklar, warum die Tiere dort gehalten wurden, ob sie im nahegelegenen Zoo geboren wurden und warum ihre Geburt dem iranischen Umweltministerium nicht gemeldet wurde. Zunächst zauberte der verspielte Spaziergang der sechs Jungen in den Straßen von Mashhad vielen Menschen ein Lächeln in die Gesichter. Weitere Fotos gibt es hier.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom

2 Antworten zu “Kurzmeldungen aus der iranischen Zivilgesellschaft – 25. Juni 2012

  1. Pingback: Kurzmeldungen aus der iranischen Zivilgesellschaft – 2. Juli 2012 | Julias Blog

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