Anwalt der amerikanischen Wanderer gerät in Iran unter Druck

ICHRI, 1. August 2012 – Der Anwalt Massoud Shafiee, der die nach mehr als einjähriger Haft in einem iranischen Gefängnis freigelassenen drei amerikanischen Wanderer vertreten hatte, wurde seit der Freilassung seiner ehemaligen Klienten eigenen Angaben zufolge wiederholt verhört. Er sei zudem mit neuen Beschränkungen für die Übernahme politischer Fälle konfrontiert, all seine Gespräche und „selbst das, was in (seinem) Schlafzimmer passiert“, würden von Geheimdienstorganisationen abgehört, teilte der Anwalt in einem ausführlichen Interview mit ICHRI mit.

Kurz nachdem seine Klienten Iran verlassen hatten, wollte Shafiee ins Ausland reisen, um seine Kinder zu besuchen. Als er den Ausreisestempel schon im Pass hatte, wurde er von Geheimdienstagenten in Zivil am Besteigen des Flugzeuges gehindert und aus dem Flughafengebäude gebracht. Sein Pass wurde beschlagnahmt.

Shafiee hat Fälle von sehr bekannten politischen Gefangenen vertreten. Unter seinen Klienten waren u. a. die Brüder Alaei, Kian Tajbakhsh und die drei amerikanischen Wanderer Sarah Shourd, Shane Bauer und Josh Fattal, außerdem viele Gewerkschaftsaktivisten wie Reza Shahabi und Rasoul Bodaghi.

Bei seinen Verhören habe er mitbekommen, wie Geheimdienstler externe und nicht im Zusammenhang mit seinem Fall stehende Punkte in seine Akte einfließen ließen, um seinen Ruf zu schädigen und seinen Fall zu verkomplizieren, so Shafiee gegenüber ICHRI.

Er habe wegen des Abhörens seines Telefons keine Beschwerde eingereicht, habe aber das Geheimdienstministerium und die Staatsanwaltschaft informiert. „Sie sagen mir meine E-Mail- und Facebook-Passwörter, also wissen sie alles“, so Shafiee. Als die Geheimdienstagenten bei ihm zu Hause waren, hätten sie zu seinem Sohn gesagt: „Dein Vater hat die Amerikaner freibekommen, jetzt muss er selbst (ins Gefängnis.“

Auf die Frage, ob die iranische Anwaltskamer ihn unterstützt, erklärt Shafiee: „Die Anwaltskammer behauptet, unabhänigig zu sein. Ist sie dafür da, einmal jährlich Mitgliedschaften zu verlängern oder ihre jährliche Unabhängigkeitsfeier zu veranstalten? Die Anwaltskammer hat uns im Stich gelassen wie Waisenkinder auf der Straße, während alle uns schikanieren und niemand da ist, an den wir uns wenden können. Was sind die Aufgaben der Anwaltskammer? Ich habe Kopien meiner gesamten Korrespondenz mit der Staatsanwaltschaft dort eingereicht.“

„Es gibt keine Begründung dafür, dass alle politischen und sicherheitsrelevanten Fälle von nur zwei Richtern bearbeitet werden“, so Shafiee. „Wir haben keinen Richtermangel. Mehr als 90 Prozent unserer Richter sind gesunde, gute und unabhängige Richter. Warum mischen sie sich nicht ein?“

Er sei weiterhin nicht in der Lage, ins Ausland zu reisen, so Shafiee. „In meinem Pass befindet sich ein Ausreisestempel, und mir kann alles zustoßen. Ich habe darum gebeten, mir die gegen mich erhobenen Vorwürfe mitzuteilen. Meine inhaftierten Kollegen sind jetzt wenigstens sicher, weil eine Einrichtung wie die Gefängnisorganisation für ihr Leben verantwortlich ist. Aber in meinem eigenen Fall sehe ich das nicht. Als ich diese Bedenken vorgebracht habe, wurde ich vorgeladen, und es gab ein langes Verhör. Im Moment sind mir meine grundlegendsten Rechte entzogen, wie zum Beispiel ein Besuch bei meinen Angehörigen. Meine Schwester ist im Ausland gestorben, und ich konnte nicht bei ihrer Beerdigung sein. Ich kann meine Kinder nicht sehen, die außerhalb Irans leben, und es wurden alle möglichen persönlichen und beruflichen Probleme für mich geschaffen.“

So hätten seine Kollegen Angst, in sein Büro zu kommen, weil sie von den entsprechenden Organisationen eingeschüchtert worden seien. Mit den derzeitigen von der Justiz geschaffenen Behinderungen sei eine Fortsetzung seiner Arbeit praktisch unmöglich. „Mit welchem Recht lädt Richter Salavati von Abteilung 15 des Revolutionsgerichts Verdächtige oder Angehörige von Verdächtigen vor, die ich in der Vergangenheit verteidigt habe, und sagt ihnen, dass ich ihre Fälle nicht behalten kann?“

„Wenige Tage, nachdem meine drei amerikanischen Klienten Iran verlassen hatten, kamen sieben oder acht Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums zu mir nach Hause und nahmen persönliche und berufliche Unterlagen mit. Ich forderte sie auf, mir einen Durchsuchungsbefehl zu zeigen, was sie auch taten. In dem Durchsuchungsbefehl stand, dass sie meine Wohnung durchsuchen und mich danach mit ins Evin-Gefängnis nehmen sollten.  Danach kamen sie in meine Büros und nahmen meine Computer und die Akten der politischen und sicherheitsbezogenen Fälle mit, die ich vertrete. Wir machten uns auf den Weg nach Evin. Kurz bevor wir ankamen sagte einer, wir müssten wieder zu meinem Haus fahren. Am selben Tag gaben sie mir meine Dokumente zurück. Ich sagte ihnen, dass ich vorhätte, in wenigen Tagen auf Reisen zu gehen, weil meine Schwester gestorben sei und ich meine Kinder im Ausland besuchen müsse. Ich fragte sie, ob für mich ein Ausreiseverbot gelte. Sie verneinten und gaben mir meinen Pass zurück.“

„Am Sonntag, dem 2. Oktober 2011 wollte ich mit Turkish Airlines nach Chicago fliegen. Nachdem ich den Ausreisestempel in meinem Pass bekommen hatte, aus dem hervorgeht, dass ich das Land verlassen habe, näherten sich mehrere Zivilbeamte des Geheimdienstministeriums, nahmen mir meinen Pass ab und gaben mir einen Beleg, mit dem ich zu einem Büro des Präsidentenbüros gehen sollte, um mich (wegen meines Passes) zu erkundigen. Als ich dieses Büro kontaktierte, wurde mir mitgeteilt, dass dort etwas gegen mich vorliege und man mir meinen Pass nicht zurückgeben könne. Ich solle mich ans Gericht wenden.“

„Zehn Monate sind vergangen, und ich war sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch beim Staatsanwalt selbst. Ich habe der Staatsanwaltschaft mehrere Schreiben und Rechnungen [? „bills“]vorgelegt, habe aber keine Antwort bekommen. Von den unzähligen Malen, die ich bei Abteilung 6 des Gerichts im Evin-Gefängnis war, wurde mir nur ein Mal Einlass gewährt. Damals sagte man mir, ich müsse mich an das Geheimdienstministerium wenden. Obwohl ich weiß, dass der Geheimdienst juristische Entscheidungen nicht fällen, sondern nur vollstrecken kann, habe ich dort angerufen. Aber ich habe keine richtigen Antworten erhalten.“

Die Justizbehörden hätten der Familie des iranisch-amerikanischen Gefangenen Amir Hekmati mitgeteilt, dass sie Shafiee nicht als Anwalt beauftragen könne. „Die Schwester von Herrn Hekmati hat mir erzählt, dass der Richter gesagt hat, ich könne keine Fälle annehmen. Was gibt ihm das Recht, so etwas zu behaupten? Der Repräsentant der Staatsanwaltschaft fragt mich, warum ich Rasoul Bodaghi oder Reza Shahabi unentgeltlich vertrete. Was soll ich dazu sagen? Meine Antwort ist: Wie kann ich von diesen finanziell belasteten Familien Geld verlangen? Sie wollen mir unterstellen, dass ich von irgendwoher Geld bekomme. Sie sagen zu mir, dass ein Herr Soundso, der mich angerufen hat, von den Medien der Mojahedin (MKO) sei. Ich bin Anwalt. Ich muss allgemeine Informationen und Nachrichten über meine Klienten zur Verfügung stellen. Natürlich sagt mir niemand offiziell, dass ich nicht arbeiten soll, aber darauf läuft es hinaus.“

„Ich habe die Brüder Alaei (Arash und Kamyar) vertreten, und in diesem Fall gelang es mir, zu beweisen, dass die USA kein ‚feindlicher Staat‘ ist. [Die Brüder Alaei] erweisen dem Land Dienste auf dem Gebiet der AIDS-Forschung sowohl innerhalb als auch außerhalb Irans. Im Fall von Kian Tajbakhsh wurde das 15jährige Hafturteil im Berufungsverfahren aufgehoben. In meinem letzten Fall, dem der drei Amerikaner, die wegen Spionage und illegalen Eindringens auf iranisches Territorium angeklagt waren, habe ich die Akten gelesen und konnte keine Grundlage für derartige Anklagen erkennen. Ich hatte eine fundierte Verteidigung in diesem Fall. Oder nehmen Sie den Fall der Brüder Alaei – wenn sie, wie in der Anklage behauptet, mit einem feindlichen Staat zusammengearbeitet hätten, warum wurde ihnen gestattet, auszureisen [? „to leave“]. Ich habe praktisch die Wahrheit verteidigt, und leider zahle ich jetzt einen Preis dafür. Hätte ich die drei Amerikaner in meinen Interviews als Spione bezeichnen sollen, um jetzt keine Probleme zu haben?“

„Der Verhörbeamte sagte [zu mir], dass Frau Sotoudeh oder Herr Seifzadeh auf demselben Stuhl gesessen haben, auf dem ich jetzt sitze. Ein anderer sagte zu mir: ‚Was haben sie überhaupt getan?‘ Wenn ich getan hätte, was meine Kollegen und Kolleginnen wie Nasrin Sotoudeh, Abdolfattah Soltani oder Mohammad Seifzadeh getan haben, dann muss ich wie sie ins Gefängnis. Und wenn sie getan haben, was ich getan habe, warum sind sie dann im Gefängnis? All diese Leute haben so aufrichtig ihre Arbeit getan, und jetzt sind sie im Gefängnis. Offenbar ist es ein Problem, politische Fälle zu übernehmen, und wenn wir das nicht dürfen, sollte ein entsprechendes Gesetz erlassen werden, damit wir Bescheid wissen und uns danach richten können. Aber im Moment ist das, was wir tun, legal. Ich habe dem Staatsanwalt gesagt, dass ich meine Klienten im Rahmen des Gesetzes und der Sharia verteidige.“

Die Situation wirft für Shafiee mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. „Warum musste mein Pass eingezogen werden? Warum wurde mir der Grund dafür nicht mitgeteilt? Warum ist niemand verantwortlich? Warum sind das Geheimdienstministerium oder die Staatsanwaltschaft nicht verantwortlich? Welches Recht hat der Richter, mir Fälle zu entziehen oder vorzuenthalten oder dafür zu sorgen, dass die Familie eines Angeklagten mir den Fall wieder entzieht? All das verletzt sowohl meine Rechte als auch die Rechte meiner Klienten, die möchten, dass ich ihren Fall vertrete.“

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: International Campaign for Human Rights in Iran

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