Arseh Sevom, 14. August 2012 – Themen dieser Ausgabe: Medien und Regierung ignorieren Erdbeben in der Provinz Aserbaidschan | Soziale Medien und NGOs ergreifen Initiative für Erdbebenopfer | Studentenvereinigung appelliert an Khamenei | Wasserpfeifen zu Sportgeräten | Weizenimporte aus den USA verdoppelt?| „Iran Tribunal“: Massenhinrichtungen der 1980er Jahre erstmals offiziell erwähnt | Das besondere Studium: Islamische Rechtswissenschaften für den Weltraum
Medien und Regierung ignorieren Erdbeben in der Provinz Aserbaidschan
In der nordwestiranischen Provinz Ost-Aserbaidschan hat es kurz hintereinander zwei Erdbeben gegeben. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts gab es bereits über 300 Tote und tausende Verletzte, zumeist Frauen und Kinder.
Die im Exil lebende Journalistin Masih Alinejad konnte mit dem Abgeordneten Abbas Falah Babajan sprechen, der zwei der vom Erdbeben getroffenen Dörfer im iranischen Parlament vertritt. Er berichtet_
Mehr als 50 Prozent der Dörfer wurden zerstört. Wir haben keine Hilfe von außerhalb erhalten. Die Überlebenden wurden evakuiert und benötigen dringend Zelte, warme Kleidung, Nahrungsmittel und Wasser.
Ich bitte die Bevölkerung Irans, ihre Hilfe nicht an den Roten Halbmond zu geben, sondern ihre Spenden persönlich an die Überlebenden auszuhändigen. Anderenfalls befürchte ich, dass es weitere Todesopfer geben wird.
Fotos von den am schlimmsten betroffenen Dörfern.
Das staatliche Fernsehen schweigt
Das staatliche Fernsehen schweigt sich zur Bestürzung der Bevölkerung über das Erdbeben aus. Die nebenstehenden Bilder – Screenshots von iranischen Sendern – wurden auf der Suche nach Berichten über die Erdbeben aufgenommen und im Internet verbreitet. Sie zeigen offenbar religiöse Sendungen und Live-Berichte von religiösen Stätten wie Kerbala in Irak und Mekka.
In einem der Kommentare zu dem Bild heißt es:
„Glaubt mir – das ist meine Stadt Andimeshk (in West-Iran). Der Rote Halbmond ist geschlossen. Die staatliche Organisation für Bluttransfusionen ist geschlossen. Und warum? Weil diese Leute gestern Nacht aufgeblieben sind, um „Al-afv“ zu rufen (ein religiöses Ritual für bestimmte Nächte im Fastenmonat Ramadan). Wenn ihr mir nicht glaubt, ruft an und überzeugt euch selbst…“
Ein weiterer vielgelesener Kommentar lautet:
„Einer der Gründe, warum die staatlichen iranischen Medien nicht so über die Erdbeben berichten, wie sie sollten, ist, dass sie mit Problemen niemals realistisch umgehen. Ein Erdbeben, das sich am 22. Ramadan (einem religiösen Feiertag) zwischen den Nächten Ahya und Ghadr ereignet, passt nicht in ihre offiziellen Werbekampagnen. Die (staatlichen) Medien sind in der Hand derer, die glauben, dass ein Erdbeben nicht wissenschaftlich erklärbar sind, sondern von Menschen verursacht werden, die sich versündigen.“
Younes Asadi, ein Abgeordneter aus Meshkinshahr, kritisiert die Berichterstattung der staatlichen Rundfunkanstalt IRIB über das Erdbeben und folgert: „Die Offiziellen der Rundfunkanstalt der Islamischen Republik Iran sollten sich schämen“.
Global Voices hat einige der Reaktionen auf die staatliche Berichterstattung zusammengestellt.

LKWs auf dem Weg nach Aserbaidschan. Die transportierten Spenden wurden von studentischen Gruppen in Mashhad gesammelt.
Soziale Medien und NGOs ergreifen Initiative für Erdbebenopfer
Die Blogosphäre ist voll mit Berichten aus allen Teilen des Landes, verfasst von Menschen, die Hilfszentren für Blut- und andere Spenden eingerichtet haben.
Webseiten wie diese wurden eingerichtet, um Spenden unabhängig von offiziellen Wohltätigkeitsorganisationen zu verteilen.
Die von Shirin Ebadi gegründete Gesellschaft für den Schutz der Rechte von Kindern hat eine Spendenkontonummer für die hilfebedürftigen Opfer eingerichtet.
UPDATE: Das Britische Rote Kreuz erklärt, warum es nicht zu Spenden für die Erdbebenopfer in Iran aufruft:
„Der Rote Halbmond in Iran ist sehr gut gerüstet, um auf solche Notfälle zu reagieren. Die benachbarte Türkei ist einsatzbereit, und andere Länder aus aller Welt haben Hilfe angeboten. Der iranische Rote Halbmond hat keine Hilfe von weiteren Ländern angefordert.“
Studentenvereinigung appelliert an Khamenei
Die studentische Vereinigung „Büro zur Konsolidierung der Einheit“ hat sich an den obersten Führer der Islamischen Republik Ayatollah Khamenei gewandt und ihn aufgerufen, „die Gefängnistüren zu öffnen, um die wahren Stimmen der Studenten zu hören“.
„Wasserpfeifen zu Sportgeräten“
Nachdem in einer großangelegten Kampagne Satellitenempfänger in Teheran eingesammelt wurden, hat eine Moschee in Süd-Bushehr jetzt eine ähnliche Kampagne unter dem Motto „Wasserpfeifen gegen Sportausrüstung“ gestartet.
Fotobericht
Weizenimporte aus den USA verdoppelt?
Laut einer von der Zollverwaltung der Islamischen Republik IRICA veröffentlichten Statistik haben sich die Importe von Weizen aus anderen Ländern, darunter auch die USA, verdoppelt. Aktivisten und Analysten stellen sich daraufhin die Frage, warum es auf Grund der Restriktionen im Bankensektor nicht möglich ist, lebenswichtige Medikamente einzukaufen (s. unseren Bericht von letzter Woche).
Gleichzeitig äußern einige Ökonomen Zweifel daran, dass die Zahlen der iranischen Zollbehörde auf Fakten beruhen. Im Gespräch mit Rooz Online erklärt Jamshid Asadi: „Es ist unwahrscheinlich, dass die Weizeniporte nach Iran sich verdoppelt haben – es sei denn, es wurde amerikanischer Weizen unter Umgehung der Sanktionen über mehrere Zwischenhändler eingekauft“.
„Iran Tribunal“: Massenhinrichtungen der 1980er Jahre erstmals offiziell erwähnt
Endlich und vielleicht erstmals in ihrer Geschichte hat die den iranischen Revolutionsgarden nahestehende Nachrichtenagentur Fars News die Massenhinrichtungen der 1980er Jahre bestätigt. Fars kritisiert die Untersuchungen der Hinrichtung politischer Gefangener durch das Iran Tribunal und schreibt:
„Anlass für diese Meldung ist der Jahrestag einer Fatwa von Imam Khomeini über die inhaftierten Mitglieder der MKO, die in Wirklichkeit eine Rettungsfatwa war. Die Fatwa (dieselbe, die den Massenhinrichtungen den Weg ebnete) hat damals dazu beigetragen, dass der damaligen Volksverhetzung das Auge ausgestochen werden konnte.“
Der Artikel rechtfertigt die Hinrichtungen mit dem in internationalen Gesetzen verwendeten Begriff des „Character of the Enemy“ und behauptet, dass alle während eines Kriegszustandes anwendbaren Regelungen auch auf Personen anwendbar sind, die in Kontakt mit feindlichen Kräften stehen.
Immerhin hat das Tribunal erreicht, dass die Islamische Republik erstmals die Existenz der Massenhinrichtungen eingeräumt hat.
Das besondere Studium: Islamische Rechtswissenschaften für den Weltraum
„Jedenfalls ist es für Muslime wichtig zu wissen, wie sie im Weltraum ihre religiösen Pflichten erfüllen können. Da heutzutage Menschen im Weltall schweben, werde ich euch jetzt sagen, dass es kein Problem sein würde, wenn der Körper einer Astronautin den Körper eines Astronauten berührt. Um sicher zu gehen, ist es jedoch erforderlich, dass beide vor ihrer Reise ins All eine Zeitehe eingehen.“
Zitat aus dem Film Marmoulak
Diejenigen, die den Film „Marmoulak“ gesehen haben – eine Komödie über die Eskapaden eines entflohenen Sträflings, der sich als Geistlicher ausgibt – werden nicht überrascht sein, dass Islamische Rechtswissenschaften für den Weltraum jetzt als Studienfach angeboten werden. Der Bildungsbeauftragte des schiitischen Seminars Khorasan Hawzah gab die Eröffnung eines weiterführenden Sonderstudiengangs namens „Islamic Space Jurisprudence“ bekannt.
Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom
Pingback: News vom 26. August 2012 « Arshama3's Blog