Die Theologie der Folter – Mohammadreza Nikfar

Übersetzung aus dem Englischen – Zu Anfang dieses Artikels wird das Gefängnis als perfekter Ort für das Erkennen einer sich auf Religion gründende Regierung vorgestellt. Danach werden wir über diese Religion und ihren Gott sprechen – den Gott der Folterer, der naturgemäß ebenfalls ein Folterer ist. Wir werden dann die Frage stellen: Wer ist verantwortlich für diesen Gott?

Danach wiederum werden wir über „Allahu Akbar“ („Gott ist größer“) und die damit einhergehenden Privilegien und Einschränkungen sprechen. Zum Schluss betrachten wir eine besondere Spiritualität, die angeblich der Religion die Gewalt nehmen kann. Diese Spiritualität wird Säkularismus genannt.

Ein Phänomen des Gefängnisses
Am Samstag, dem 1. August 2009 fand die erste konstruierte Gerichtsverhandlung gegen die bei den Protesten gegen die Wahlergebnisse Verhafteten statt. Danach gab es für zwei der Inhaftierten eine Pressekonferenz. Sie gaben ein Fernsehinterview, das am selben Tag ausgestrahlt wurde. Bei diesen Geständnis-Shows erklärten die beiden Inhaftierten, sie hätten während ihrer Zeit im Gefängnis die „Wahrheit“ erlangt.
Dies ist nicht das erste Mal, dass wir solche „Geständnisse“ hören, und so lange dieses Regime besteht, werden solche Geständnisse ebenfalls bestehen. Wie kommt es, dass die „Wahrheit“ der Islamischen Regierung sich immer in Gefängnissen offenbart?

Wir können diese Frage phänomenologisch erklären. Phänomenologie ist ein Zweig der Philosophie, begründet von Edmund
Husserl (1859-1938). In der Phänomenologie geht es darum, uns durch Erfahrung einem Phänomen zu nähern, um von einer Vermutung zur Wahrheit eines Phänomens zu gelangen. Wenn wir beweisen wollen, dass es im Sommer in der Stadt Abadan wärmer ist als in Hamedan, müssen wir beide Orte aufsuchen und unsere Erfahrungen vergleichen. Eine geometrische Hypothese kann auf eine besondere Weise bewiesen werden, die chemischen Wirkungen einer Substanz auf eine andere. Möchten wir die Eigenschaften von Salpetersäure kennen? Dann begeben wir uns in ein Chemielabor. Möchten wir das Wetter im sommerlichen Abadan erleben? Dann sollten wir im August dorthin fahren! Möchten wir zum ersten Mal eine unbekannte Frucht kosten? Essen wir sie!

Wir können diese Experimente nicht untereinander vertauschen. Zum Beispiel können wir nicht sagen, dass wir nach Abadan reisen müssen, um den Satz des Pythagoras zu beweisen, oder eine unbekannte Frucht essen, um die Hitze in Abadan zu erfahren. Wenn wir wissen möchten, wie heiß der Süden Irans im Sommer ist, müssen wir im August dorthin fahren.

In Anwendung derselben phänomenologischen Methode bedeutet dies: Möchten Sie die Wahrheit über die Islamische Republik wissen? Besuchen Sie in ihre Gefängnisse! Das Gefängnis ist die Höhle der Erkenntnis („Hira-Höhle“ – Höhle, in der der Prophet seine Offenbarungen empfangen hat, d. Übers.) der Islamischen Republik. Ehrenwerte Engel verbergen sich in seinen ehrenwerten Mauern und offenbaren dir die heilige Wahrheit.

Unsere Frage war: Wie kommt es, dass die Wahrheit der Islamischen Regierung sich immer in Gefängnissen offenbart? Die Antwort ist, dass die Wahrheit dieses Regimes tatsächlich seine Gefängnisse sind. Wenn es eine andere Erklärung gäbe, würden ihre wundertätigen Ermittler Konferenzen und Reden außerhalb des Gefängnisses veranstalten, um die Wahrheit auch allen anderen zu bringen. Wie wir wissen, sind ihre Ermittler auch Herausgeber, Schriftsteller und Redner. Allerdings dringt ihr Wort nicht durch, es sei denn, sie sprechen im Gefängnis. Wenn Husserl noch leben würde, würde er sagen: Die reine Blüte der Islamischen Republik findet in den Gefängnissen statt.Von diesem Blickwinkel aus verstehen wir, dass jedes originäre Phänomen relativer immanenter Natur ist, was bedeutet, dass die Wahrnehmung dieses Phänomens von dem ihm in einer bestimmten Situation eigenen Geist abhängt.

Die Wahrheit des Regimes
Die „Wahrheit“, die vom Gefangenen durch die Ermittler „realisiert“ wird, besteht darin, dass das System Rechte hat, und diese Rechte sind religiöse Rechte. Religiöse Wahrheit ist nicht verhandelbar. Man kann diese Wahrheit nicht durch Argumente und Diskussionen finden. Wenn Augen, Ohren und Herz eines Menschen von Anfang an mit einem Schleier bedeckt sind, bedeutet dies, dass seine Natur ihm nicht erlaubt, die Wahrheit zu sehen, und er bleibt immer im „Dunkeln“. Also muss der Schleier zerrissen werden, um die Wahrheit sichtbar zu machen. Nicht durch Diskussionen, sondern durch besondere Erfahrungen in besonderen Situationen. Diese Erfahrung kann ein Wunder oder ein Halb-Wunder sein.

Unter der Islamischen Regierung geschieht dies zumeist in Gefängnissen. Der im Koran (Baghareh 7) erwähnte Schleier ist derselbe, der Augen, Ohren und Herz vor der Wahrheit verschließt, und es ist eben dieser Schleier, der im Gefängnis reißt.

Am 25. August 2009 fand die 4. konstruierte Gerichtsverhandlung in Teheran statt. Dieses Mal wurde besprochen, wie Saeed Hajjarians Schleier der Finsternis zerrissen wurde. Sie sagten, er gestehe, stark von Max Weber beeinflusst zu sein und geglaubt zu haben, das System Irans anhand der Theorien dieses berühmten Sozialisten über die Struktur der Islamischen Regierungen des Ostens analysieren zu können, die er als eine Art Royalismus betrachte.All diese Jahre, die er über Webers Theorie nachgedacht hatte, wurden in dieser kurzen Zeit im Gefängnis zunichte gemacht. Sie sagten, er habe verstanden, dass er sich in Bezug auf das System geirrt hat.

An dieser Stelle erwartet der Zuschauer ein Argument. Hier ist das Argument: „Die Legitimität der Velayat-e Faghih (Prinzip der geistlichen Führerschaft, d. Übers.) ist durch Imam Zaman (den „Verborgenen Imam“, d. Übers.) abgesegnet. Daher ist es irrelevant, Webers Theorie auf die gegenwärtige Situation im Iran anzuwenden“. Dieses Argument wird auch wie folgt erklärt: „Die Entscheidungen der Velayat-e Faghih zeigen die Entscheidungen des Propheten Mohammad“. Daher handle es sich nicht um Royalismus.

Was wir hier als „Argument“ bezeichnen, ist nur akzeptabel, wenn man den eigentlichen Grund für das Argument akzeptiert, der da lautet „Die Legitimität der Velayat-e Faghih ist durch Imam Zaman gebilligt.“Wenn man annimmt, dass diese Aussage intuitiv ist, bedeutet das, dass man im System der Velayat-e Faghih den Führer als Gottes verlängerten Arm verstehen soll. Hajjarian hat zwei Velayat-e Faghih erlebt und beiden gedient. Aus diesen Erfahrungen hat er den Schluss gezogen, dass ihr System eine Art „Royalismus“ sei. Mit dem Geständnis will man uns sagen, dass seine Schlussfolgerung falsch ist. Die richtige Schlussfolgerung wurde im Gefängnis gezogen und bewirkt dass er – oder besser der Verfasser seines Geständnisses – versteht, dass „die Entscheidungen der Velayat-e Faghih die Entscheidungen des Propheten Mohammad zeigen“. Diese Schlussfolgerung ist intuitiv, und Intuition erfahren wir, wie bereits gesagt wurde, im Gefängnis.

Im Gefängnis wandert das Ergebnis lebenslanger Überlegungen und Nachforschungen in den Müll, und innerhalb sehr kurzer Zeit öffnen sich die Augen des Gefangenen für die Wahrheit. In der Philosophie der Mesha’ioun (حکمت مشّا), einer sehr einflussreichen argumentativen Richtung der Islamischen Philosophie, ist die Wahrheit eines jeden Objekts seine originäre Natur. Avicenna schrieb im „Buch der Heilung“ (2. Band, S. 292): „Jedes Ding hat eine Natur, die ihm Identität verleiht, und diese Natur ist die Wahrheit dieses Dinges“.

Wenn wir akzeptieren, dass die Wahrheit eines jeden Wesens die Art und Weise ist, wie es eine originären Form erlangt, und dazu annehmen, dass, wie Avicenna sagt, die Wahrheit die originäre Natur dieses Wesens ist, können wir schließen, dass die Wahrheit der Islamischen Regierung tatsächlich das ist, was uns durch das Wunder der Folter und sexuellen Misshandlung in Gefängnissen sichtbar wird. Die Wahrheit dieses Regimes ist das, was der Folterer am Opfer zu beweisen versucht. Wenn wir die Folterberichte und alles, was die Ermittler gesagt haben, sorgfältig analysieren, stellen wir fest, dass sie alle eine Gemeinsamkeit haben: Die Wahrheit, die von den Gefangenen verstanden werden soll ist die, dass das Regime besondere Rechte hat, die es befähigt festzulegen, was die „Wahrheit“ ist und was sie sein sollte. Vor der Revolution haben sie gefoltert, um von den Gefangenen zu erfahren, was in der Vergangenheit passierte, welche Informationen ein Gefangener hat, was er und seine Freunde tun, und was die Wahrheit ist. Für die Ermittler von heute ist es nicht so wichtig zu erfahren, welche Informationen ein Gefangener hat. Das Wichtigste ist, dass der Gefangene „gesteht“ und akzeptiert, dass die Wahrheit das ist, was der Ermittler sagt. Ein Gefangener hat seinen Akzeptanzprozess als Akt des „Verrücktwerdens“ beschrieben.

Am 2. August 2009 waren in der Fernsehübertragung der Geständnisse zweier inhaftierter Reformer – Mohammad Atrianfar und Mohammad Abtahi – die folgenden Sätze zu hören:
Atrianfar: „Wir sind verrückt, aber auf eine schöne Art, das ist eine wichtige und schöne Sache“
Abtahi: „Aber ich bin nicht auf diese Weise verrückt“.
Atrianfar: „Aber ich bin wirklich verrückt geworden! Und ich habe mich verändert, und diese Veränderung ist Folge eines Verstehens“— „Verrückt werden“ heißt in diesem Gespräch „Informationen und Themen im Kopf durcheinanderbringen“ und „zwei Dinge nicht mehr voneinander unterscheiden können“. Es wird eine Zeit kommen, wenn der Gefangene nicht weiß, was die „Wahrheit“ ist. Nur eines bleibt – die Folterungen durch den Ermittler, und dieser Ermittler hat die Macht, eine Wahrheit zu zerstören und eine andere zu erschaffen. Der Ermittler erschafft die „Wahrheit“. Dies ist sein besonderes Recht. Woher hat er dieses Recht?

Der Akt der Schöpfung ist in der Religion bekanntermaßen ein Akt Gottes, und es ist Gott, der das Unbekannte kennt. Der Ermittler ist sowohl Schöpfer als auch Wissender des Unbekannten. Der Ermittler ist einer derer, die Gott nahe sind. Er ist ein Agent der Göttlichen Regierung. Wenn wir die Worte des Ermittlers analysieren, sehen wir, dass er dem Gefangenen einzureden versucht, dass er, der Gefangene, in der Falle des Gefängnisses einer Göttlichen Regierung festsitzt, und dass diese Regierung die Wahrheit im Namen Gottes erschaffen und festsetzen kann. Es ist nicht von Bedeutung, was der Gefangene gesehen oder gehört hat; seine Augen, Ohren und sein Herz waren von einem Schleier bedeckt. Der Schleier ist zerrissen, und nun muss der Gefangene sich zu einer Wahrheit bekennen, die er zuvor nicht erfahren konnte.
Wenn er das Land niemals verlassen hat, sie aber sagen, dass er viele Male nach Israel gereist ist, sollte er dies akzeptieren. Die Aufhebung der Wahrheit wird begleitet durch die Aufhebung der Norm.
Der Übergang von der Wahrheit, die der Gefangene erlebt, zur Wahrheit des Ermittlers ist wie eine Reise durch die Hölle, wo es keine Norm gibt. Hier spricht nichts gegen Vergewaltigung und sexuelle Misshandlung, um den Gefangenen dazu zu bringen, zuzugeben, dass es keine höhere Ethik als die religiöse gibt. In diesem Höllenloch ist Vergewaltigung ein Teil der Ethik. Ethik ist alles, was der Ermittler tut. Vergewaltigung ist ein Akt, dessen Ethik nach sich selbst erschaffen ist.

Göttliche Regierungen
Dieses Höllenloch ist der Ort der Reinkarnation, ein Ort, um wieder geboren und neu erschaffen zu werden. Die reale Welt mit ihren Normen wird nach dieser Hölle sein. Während der Reinkarnation gibt es so etwas wie Ethik nicht. Wir erweitern die Dimensionen dieses Stadiums, bis sie zu den Welten großer Systeme, Methaphysik und Göttlichkeit passen, und erschaffen eine neue Welt. Dieser Akt ist erlaubt, denn Menschen erschaffen Götter wie sich selbst, und wenn diese Götter erschaffen sind und die Zeit für die Vorherrschaft kohärenter Religionen gekommen ist, erschaffen diese Götter Menschen, die ihnen ähnlich sind.

Darum haben wir das Recht, den Ursprung der göttlichen, schöpferischen Kraft der Ermittler der Göttlichen Regierung in Frage zu stellen, und wir haben auch das Recht, große metaphysische und göttliche Systeme zu erforschen, um die Welt von Hölle und Folter zu verstehen. Wir studieren „Gefängniswissenschaft“, um Gott zu verstehen, und wir studieren Theologie, um das Gefängnis zu verstehen.

Dieser “Demiurg”, der Welterschaffer in Platons Timaios, wirkt nicht in einem absoluten normativen Vakuum. Eine edle Idee, genannt die „Über-Idee“, existiert, und der Welterschaffer benutzt diese Über-Idee für seine Schöpfung. Am Ende des Altertums übertrug der Hellenismus diesen Gedanken einer Welterschaffung auf das Christentum. Auf diese Weise floss in eine semitische Religion eine Idee ein, die nicht zur Natur dieser Religion passte, wie man im Alten Testament sehen kann. Dort ist die Rede davon, dass die Welt aus dem Nichts erschaffen wurde. Aus dem absoluten Nichts. In diesem Nichts gibt es keinen Existenten und keine Norm. Lediglich der Schöpfungswille existiert und wird später im Koran als „Kon Fayakoon“ („sei, so es ist“) beschrieben. In der „Schöpfungsreise“ (Schöpfungsgeschichte) erschafft Gott kein Licht, um das Gute darzustellen: „Gott sah, dass das Licht gut war, und schied es von der Finsternis“.

Die Struktur der Erde ist ebenfalls nicht auf eine edle Idee zurückzuführen – im Gegenteil, die edle Idee resultiert aus der Wahrnehmung der Struktur der Welt: „Und Gott nannte das Trockene ‚Erde‘ und das Wasser ‚Meer‘, und Gott sah, dass es gut war.“ Alles andere wird auf dieselbe Weise gemacht. Gott tut etwas und sieht dann, dass es „gut“ ist.
Der Protestantismus in seiner ursprünglichen Form und seinem Fundamentalismus geht auf diesen Willen zurück, der jenseits von Gut und Böse angesiedelt ist. Der Kulturprotestantismus als starker Indikator des protestantischen Glaubens entfernt Gott von der Erde und macht den Menschen zum Herrn über seinen eigenen Willen. Nun wird der Mensch zum Schöpfer und weiß, ob das von ihm Erschaffene gut ist oder nicht. Die blinde Willenskraft wird respektvoll verbannt und ist nicht länger gefährlich; die menschliche Welt ist sich selbst überlassen. Diese Entwicklungen geschehen in der bereits erschaffenen Welt. Der Protestantismus wird durch die Kultur neutralisiert. „Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ schreibt Kant, ein protestantischer Philosoph. Er hat die jenseits des Geistes angesiedelte Willenskraft in die Begrenzungen des Geistes geholt.

Philo von Alexandria, ein hellenistischer Jude, hat den Gott der Thora in die Grenzen des Geistes verwiesen. Er machte die metaphorische Interpretation der Thora populär. Diese Interpretationsmethode übernahm er von den Griechen und ihren Analysen des Epos von Homer. Auf ihn ist die absolute Trennung von Gott und der Welt zurückzuführen; er erklärte die über die Welt wirkende Macht Gottes so, wie die Griechen den Logos – Sprache, Vernunft und Weisheit hinter dem Grund für das Sein – erklärten und diskutierten.
Den Namen des Juden Philo verbindet man mit der „Graecifizierung“des Christentums. Gottes Willenskraft wird durch Philos Graecifizierung vernünftig.

Das Christentum hat immer zwei Götter gehabt. Mit dem Wachsen der menschlichen Kultur wird Gott vernünftiger und transzendentaler. Wenn Gewalt, Rache und zornige Willenskraft benötigt wird, erscheint der andere Gott. In diesem Zeitalter ist der christliche Gott zumeist ruhig und weise. Inquisition und Folter in seinem Namen sind nicht möglich.
Der Islam hat ebenfalls zwei Götter. Einen kulturellen Gott, der sein übergroßes Ego verloren hat und nun innerhalb der Mauern von Weisheit und Normen wirkt. Die Erzeugung eines solchen Gottes war für die islamischen Gesellschaften ein langer, schwieriger Prozess. Menschen wie Avicenna, Saadi, Molavi und Hafiz haben Gott eleganter, größer und ein wenig ruhiger und toleranter gemacht. Die gänzliche Errungenschaft der islamischen Kultur ist es, Allah gnädig (rahim) gemacht zu haben.

Wenn soziale Gruppen eine kulturelle und zivilisatorische Krise verursachen, wird Gott seine kulturelle Form verlieren und eine abnorme Gestalt annehmen. Gott wird unordentlich, zornig und hinterlistig und nimmt wieder seine ursprüngliche Gestalt an.

Der Islam drang in eine Gesellschaft mit zivilisierten Göttern ein. Sie waren bekannt für ihre „Gutmütigkeit“. Die Kultur der Zoroastrier glaubte, dass Gott Gutes tut. In „Bundahishn“ lesen wir: „Ahura Mazda war vor der Schöpfung nicht Gott. Nach der Schöpfung wurde er Gott, Gönner, weise, dem Schlechten abgeneigt, sichtbar, allen gebend, Versorger, und besorgt um jeden. Das erste, was er erschuf, war das „Gutsein“. Als er diese Schöpfung vollbrachte, machte er sich selbst gut, denn er war der Gott der Schöpfung.“

Als ein Imperium aus dem Herzen der islamischen Religion erwuchs, fand es für sich einen eigenen Ort, eigene Bücher und Regeln, so dass Gottes Zähmung einen qualitativen Punkt erreichte. Zorn wurde weniger, Weisheit wurde vermehrt. „Das Buch“ wurde interpretiert, was ein Akt der Zähmung war. Um Gott zu kontrollieren, trennte man sein Wesen von seinen Beschreibungen und benutzte diese Beschreibungen, um ihn einzusperren. Einige dieser Beschreibungen machte man zu Eigenschaften (inhärent), und somit wurde Gott in sich selbst gebunden.

Natürlich war eine dieser Beschreibungen gut. Die Kultur nahm alles, was sie als gut empfand und machte daraus Eigenschaften, die dem Namen Allahs angemessen waren. Es ist klar, dass ein Mensch, der vor tausend Jahren lebte, nicht dieselben Ansichten über das Gute hatte wie der heutige Mensch. Dennoch war diese erste Beschreibung des Guten gut genug, um Gott davon abzuhalten, alles zu tun, was er wollte.

Im Koran gibt es keine Satzzeichen. Wenn wir in dem Koranzitat „Sei und es ist“ ein Komma hinter „Sei“ setzen, wird daraus „Sei, und es ist“, was bedeuten könnte, dass beide Schritte voneinander getrennt sind. Im ersten Schritt ist der Sprecher bereit, den Befehl „Sei“ zu geben; im nächsten Schritt gehorcht Etwas diesem Befehl und „beginnt zu sein (zu existieren)“. Existiert das Gute auch in dem „Sei“, oder wird das Gute erst nach dem Komma sichtbar? Auf Grund der Art und Weise, wie der Islam die Menschen erzieht, wurde der Islam nie zu einer Logos-Lektion, was bedeutet, dass er niemals fähig sein wird, Gottes Willen und damit die Religion zu zähmen. Der einzige als rationalistisch anzusehende metaphysische Plan ist der von Avicenna, der eine tiefe Kluft zwischen Gott und der Welt festlegte und diese Kluft mit jenem Teil der Schöpfung füllte, den man „Weisheit“ nennt. Diese Kluft ist so tief, dass kein König behaupten kann, er habe die Willenskraft Gottes, kein Geistlicher bestimmen kann, was die Willenskraft Gottes tun würde. Avicenna empfand das Komma als Segen, und diesen Segen hielt er für „gut“. Sein Gott ist ein segnender Gott, kein vorenthaltender. Sein Gott kann, wenn man ihn für voll nimmt, seine Wahrheit nicht in Gefängnissen unter Folter offenbaren.

Philosophen haben Gott in eine vielversprechende Diskussion verwickelt. Es gibt eine populäre These, die besagt, dass wir uns alle göttlichen Systeme als Diskussion zwischen den Schöpfern des Systems und Gott vorstellen können. Zum Beispiel können wir die göttlichen Theorien Avicennas als Gespräch zwischen ihm und Gott darstellen:

– Bitte erkläre mir, wie du die Welt erschaffen hast.
– Zunächst wurde die erste Weisheit aus mir geboren.
– Und dann?
– Aus der ersten Weisheit wurde eine zweite geboren.
– Und das ging so weiter?
– Ja, bis wir die zehnte Weisheit erreichten.
– Und danach wurde die Welt erschaffen?
– Ja, die Welt unter dem Mond.
– Warum waren all diese Schritte nötig?
– Damit der Weg von der Einheit zur Vielfalt Sinn ergibt.
– Oh, ich verstehe!
(Kommentar eines Dritten: Der Schöpfer hat diesen langen Weg erschaffen, damit die Philosophen ihn nicht kritisieren können!)

Zwischen einem heutigen Avicenna und Gott könnte auch ein solches Gespräch stattfinden:
– Was hältst du von der Islamischen Republik?
– (spöttisch und ärgerlich): Islamische Republik? Die Kleinigkeiten der Welt sind mir egal.
– Aber sie sagen, dass sie direkte Order von dir empfangen.
– Sie spinnen.

Götter lassen sich zu Anfang ihrer Erschaffung nicht auf solche Gespräche ein. Ein Gespräch wie dieses braucht Zeit und Frieden. Wann immer ein Gott geboren wird, kann er sich zwischen zwei Wegen entscheiden: Er kann sich in eine bösartige Seele verwandeln und als trügerisch verrufen werden. Oder er hat Glück, hält sich vom Bösen fern und wird „gut“. Alles hängt vom Gleichgewicht der Kräfte ab. Götter werden aber nicht nur aus dem Nichts erschaffen. Sie haben ihre eigene Vergangenheit. Ihre Charakterisierung als gut und böse ist ebenfalls nicht beständig. Sie alle gehen während ihrer Existenz durch Höhen und Tiefen. Für gewöhnlich haben sie multiple Gene, sie sind also Hybriden und haben daher unterschiedliche Eigenschaften.

Der Gott des Islam herrschte zuerst über Mekka und Medina und erweiterte später sein Territorium. Hätte Mohammad eine seiner großen Schlachten verloren und wären seine Taktiken nicht aufgegangen, wäre aus seinem Gott etwas anderes geworden. Vielleicht wäre nur noch ein Gedicht über diese Religion in der arabischen Welt übrig geblieben, die einst jeder verehrte, die dann aber böse wurde und dessen Anhänger eine Niederlage erlitten.
Einzigartige, besondere Phänomene sind immer Zufälle. Wenn (zwei der Idole von Mekka. d. Übers.) Lat und Azza und ihre Gefährten nicht ihren Wert verloren hätten und es keine Feinde gegeben hätte, die in der Lage waren, sie zu besiegen, hätten sie im Nervenzentrum arabischen Welt bestanden und hätten irgendwann die Macht gehabt, ihre Überzeugungen anderen aufzuzwingen. Vielleicht wären es dann ihre Götter, die wir heute in unserem Land kennen und verehren würden. Und vielleicht wollte der religiöse Intellektuelle Abdolkarim Soroush ja versuchen, das „Gute“ in der herrschenden Religion zu finden und es von seiner schlechten Historie zu trennen.

Der islamische Gott nahm nach seinem Eintritt in die islamische Zivilisation ein „gutes Wesen“ an. Die Veränderung seines Wesens war zurückzuführen auf das herrschende schismatische Denken. In einem Imperium, in dem einst Zoroastrier, Manichäer, Christen und Juden lebten, die bereits ihre jeweilige Vorstellung davon hatten, wie ein Gott zu sein hat, war es unmöglich, eine Religion zu verbreiten, deren erstes Gebot „Sei!“ nicht gut gemeint war. Die Rationalität der Regierung erforderte es auch, dass Gott vernünftig und weniger zornig wurde und sich vom laufenden Geschehen fernhielt, damit ihn nicht jeder als Werkzeug benutzen konnte.

Die islamische Schule der Mu’tazili („Abspalter“, d. Übers.), die das erste göttliche System der Zähmung des Islamischen Gottes einführten, hatten ihre Auffassungen über das „Gute“ aus dem Christentum. Es ist dokumentiert, dass sie in ihrer Idee von Gottes „Gutsein“, von Gott als Ursprung alles Guten, sowie in der Auffassung, dass Gott nicht schlecht ist und nichts Schlechtes über andere bringt ,von Johannes von Damaskus inspiriert wurden.
Sie diskutierten die Beschreibungen Gottes auf der Grundlage der Ansichten dieses christlichen Heiligen. Sie machten „Gutsein“ zu etwas Göttlichem, und weil sie den Koran und die Religion als Geschöpfe angenommen hatten, betrachteten sie das Gutsein des Guten nicht als etwas religiöses. Gutsein ist gut wegen seines guten Wesens. Schlechtigkeit ist schlecht wegen ihres schlechten Wesens.

Die Idee, dass Ethik wertvoller sei als Religion, ist in keiner Religion vollständig akzeptiert In allen uns bekannten Religionen gab es starke Eigenschaften, die der Ethik zuwiderliefen, und all diese Religionen haben stets im Verlauf der Geschichte ihre Eigenschaften gezeigt.

Göttliche Metamorphose
Wenn Gott gut wurde, während er immer weiser wurde, warum sind dann Religion und Ethik so widersprüchlich? Eine theologische Antwort auf diese Frage könnte sein: Gott ist der König aller Existenz, und je mächtiger seine Natur, desto mehr läuft er Gefahr, seine Ethik zu verlieren. Könige verteidigen Könige. Zuweilen kann ein König seine Untertanen gegen einen anderen König aufstacheln. Die Regel ist aber, dass alle Könige sich am Ende zusammensetzen und sich gegen die Untertanen vereinen.

Gott war es, der hinter dem Aufstand gegen den Schah steckte. Als Khomeini König wurde, war er mit Gott. Gott wird ethiklos, weil er ein Subjekt ist, dessen Existenz als Subjekt auf seiner Macht, seiner Allmacht basiert.

Fernando Pessoa sagt in seinem „Buch der Unruhe“: „Ob Götter nun existieren oder nicht – wir sind ihre Sklaven. Es besteht kein Zweifel, dass Gott eine echte soziale Macht ist. Er hat verschiedene Züge, sowohl im Krieg als auch im Frieden, in schlechten wie in guten Taten… Gott bedeutet, dass wir ebenfalls existieren, und das ist nicht das Ende der Geschichte.“ Aus einer sozialen Perspektive heraus können wir diese Sätze so interpretieren: Gott existiert, weil wir einander nicht genug beistehen, und manchmal können wir auch einfach nichts tun. Anstatt zu helfen, enthalten wir einander das Nötige vor, und wir kämpfen und töten. Wir brauchen Gott sowohl für das Töten als auch für die Gerechtigkeit. Ohne die Existenz der Unterdrückung existiert auch Gott nicht, wenn er aber existiert, ist er nicht der, den wir aus unserer Geschichte kennen.

In einer aufgeklärten Kritik der Religion wird Gott als erfundene Illusion dargestellt, als Objekt, das als Macht benutzt wird, um die Menschen in Ketten zu legen; innerlich fesselt sie ihre Seelen und Gedanken, äußerlich wird sie zu einer Organisation, die das Fortbestehen von Brutalität und Unwissenheit sicherstellt. Doch Gott ist mehr Subjekt als Objekt. Gott ist der Name einer autonomen Kraft, die wir nicht für alles nutzen können. Selbst Meister werden zu Sklaven dieser Kraft.

Zu Beginn der Schöpfung dessen, was wir später Gott nannten, gibt es keinen Unterschied zwischen einem bösen Geist und einem guten Geist. Jeder Geist kann entweder gut oder böse sein. Beide jedoch können gefährlich sein. Das Wissen von Gott ist das Wissen über ihre natürliche Gefährlichkeit. Ein großer Teil einer jeden Kultur besteht darin, wie sie Götter kontrolliert. Dieser beängstigende Gedanke stützt sich immer darauf, dass Götter zu ihrer furchterregenden Natur zurückkehren und alle Kultur vergessen könnten, die sie sich angeeignet haben. Gebete, Göttlichkeit, Metaphysik, Spiritualität und Kunst dienen allesamt dazu, der Autorität Gottes einen sicheren Weg zu bahnen, damit keine Krisen entstehen und das System der Welt nicht gestört wird.

Abdolkarim Soroush hat eine Idee, die den historischen Religionsforschungen widerspricht. Er trennt das Wesen des Islam von seiner Form. Er nimmt dieses Wesen aus der Geschichte heraus und glaubt, dass „Form“ das ist, was dem Wesen im Laufe der Zeit und der Geschichte aufgezwungen wurde. Er beachtet dabei nicht, dass die Religion immer dann zu ihrer ursprünglichen Natur zurückgekehrt ist und Krisen verursacht hat, wenn die Kultur schwach wurde und die „Form“ das „Wesen“ nicht zu kontrollieren in der Lage war. „Formen“ können die Religion zähmen, gleichzeitig stellen sie besondere Bedingungen dar, die es der Religion erlauben, gewalttätig und grausam zu werden. Darum bedeutet eine Kritik an der Religion eine Kritik an der Kultur, obwohl wir die Religion auch abgekoppelt von der Kultur kritisieren können. Situationen, die dazu führen, dass Religionen ihre reaktionäre Natur annehmen, sind jene besonderen Momente, die wichtig sind für eine Phänomenologie politischer Religion.

Die Bildung und Zähmung der Religion mittels Kultur war nicht einfach. Oft in der Geschichte des Islam gab es Zeiten, wo der chaotische, zornige und hinterlistige Gott wieder zum Vorschein kam und seine wahre Natur zeigte. Die Phasen dieser Wiederkehr sind kennzeichnend für große kulturelle oder soziale Krisen. In der aktuellen Phase erleben wir eine neue Krise, die fälschlicherweise als Protest der Tradition gegen die Modernisierung angesehen wird. Wenn man unter Tradition die Gewohnheiten, Sitten, Eigenarten und Erkenntnisse derer versteht, die vor uns lebten, kann man sagen, dass diese Kulturen ihren eigenen gezähmten Gott hatten, der sich erheblich von dem zornigen Gott unterscheidet, den das gegenwärtige Regime in Iran, aber auch andere wie Mullah Omar, Mohammad Atta und Osama bin Laden repräsentieren.

Dieser Gott im Iran und anderswo ist das Produkt einer modernen Metamorphose, auch wenn die Zutaten dieses Produkts alten Zeiten entstammen. In dieser Metamorphose enthüllt sich die Willenskraft Gottes als eine zornige und systematische Technik.
Gottes Zorn in unserem Zeitalter ist ein terroristisch-technisches Phänomen. In dieser Metamorphose, die den neuen zornigen Gott erschafft, ist das Gen des Zorns reaktiviert und zur Grundlage geworden. Es hat den Anschein, als habe die alte Kultur ihre zähmende Wirkung verloren und eine Rückkehr zu einem abnormen Gott stattgefunden, der nur aus Macht und Zorn besteht.

Pathologie und Verantwortlichkeit
Wer ist für einen solchen Gott verantwortlich? Wer ist verantwortlich für einen Gott, dessen Diener vergewaltigen, foltern, morden, lügen und ein religiöses System aufbauen können, das die Essenz aller Verbrechen ist?

Atheisten werden sagen: „Das ist nicht unser Problem. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keine Götter haben.“
Religiöse Intellektuelle sagen: „Wir sind nicht verantwortlich für diesen Gott. Unser Gott ist freundlich und schützt die Menschenrechte.“
Geistliche Regimekritiker sagen: „Dieses System ist nicht auf Religion aufgebaut. Es missbraucht die Religion.“
Spirituelle Menschen sagen: „Unser Gott steht nur für Liebe und Freude, er foltert nicht“.
Einfache Menschen sagen: „Diese Folterer sind nicht religiös, sie sind Diebe, Gangster und ein Haufen dreckiger Mullahs.“ Wenn die Führenden eines Regimes all der Skandale ihres göttlichen Systems gewahr werden, schieben sie diese den „Feinden“ in die Schuhe.

Jedoch haben wir alle eine gemeinsame Verantwortung gegenüber diesem Gott, denn wir haben gemeinsames Schicksal und stehen alle zusammen mit Gott auf dessen Bühne. Nichts deutet klarer auf einen kulturellen Bankrott hin als ein außer Kontrolle geratener Gott, und nichts ist dafür ein besserer Beweis als die Verwandlung einer göttlichen Kraft in eine unkontrollierbare irdische Macht.

Die islamische Kultur war nicht in der Lage, einen Gott hervorzubringen, der Lügen, Doppelzüngigkeit und Vergewaltigung verbietet. Im Islam ist es leicht zu lügen, zu betrügen, zu vergewaltigen, zu morden. Einerseits ist der islamische Gott sehr mächtig, andererseits kann dieser Gott aber auch leicht missbraucht werden. Das heißt, dass es der Kultur nicht gelungen ist, die Religion gut zu erziehen, sie hat zu schwach agiert. Jeder von uns ist verantwortlich für diese Schwäche. Religion neigt zur Kulturlosigkeit, das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite lässt die Schwäche von Zivilisation und Kultur der Kulturlosigkeit Raum und führt in kritischen Zeiten zu einer Fusion zwischen Klerus und Kulturlosen. Der folternde, misshandelnde Gott ist ein Ergebnis von Ignoranz, schlechten Gewohnheiten und der Neigung zu Gewalt, Grausamkeit und Tyrannei. Wenn der mitfühlende Lehrer die Verbrechen des Regimes sieht, sollte er sich fragen „Wo habe ich mich geirrt? Was war falsch an meiner Methode, andere zu unterweisen, wenn sie so viele Menschen auf solch ignorante und kriminelle Wege geführt hat?“.

Im Islam gibt es eine bemerkenswerte Tendenz zum Terrorismus. Andere Religionen haben ebenfalls Grausamkeiten begangen und tun es noch immer, aber keine von ihnen war dem Terrorismus so zugetan wie der Islam. Dieses Problem ist nicht nur auf gestörte Systeme mancher islamischer Gesellschaften zurückzuführen. Die von der Kultur zwischen dem „Sei!“ und dem „und es ist“ gesetzte Barriere war nicht in der Lage, die Macht der Person, die den Befehl zu „sein“ gibt, zu kontrollieren; und diese Macht neigt dazu, sich mit jeder anderen Machtquelle zu verbünden, die einen solchen Befehl erteilen kann. Das Leben eines Menschen hat keinen Wert in den Augen solcher Mächte, insbesondere, wenn dieser Mensch kein Moslem ist. Ein Moslem kann leicht als Nicht-Moslem bezeichnet werden. Der Islam ist eine Religion für die ganze Welt, doch der islamische Gott war nicht fähig, ein Gott der ganzen Welt zu werden. Dieser Gott war immer ein Gott eines bestimmten Stammes, einer bestimmten Gemeinschaft oder Dynastie. Diese Macht konnte zwischen verschiedenen Stämmen zerrissen werden, was dazu führte, dass sie sich gegenseitig bekämpften.

Diskriminierung zwischen Gruppen war schon immer eines der wichtigsten Prinzipien dieses Gottes: Seid vereint in eurer eigenen Gruppe und grausam gegen die andere. Dieser Gott ist in Eile, er ist unruhig, gierig und nachtragend. Er hat kein Mitgefühl mit „Sündern“, und er glaubt, dass eine Kraft jenseits der Welt, die er regiert, sie zum Sündigen gebracht hat. Wenn er zornig auf jemanden wird, heißt er ihn taub und blind und betrachtet ihn als unbekanntes schmutziges Wesen, dessen Schöpfungsherkunft nicht einmal geklärt ist. Sein soziales Heilmittel ist das Skalpell.
Der weise Historiker Eric Hobsbawm sagt, das 20. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Maßlosigkeit. Es war aber auch das Jahrhundert des Islam, so wie es das Jahrhundert der Gier war. Das Jahrhundert der Maßlosigkeit ist für den Islam noch nicht vorbei.

Die Pathologie dieses Gottes und seiner Religion ist natürlicherweise die Pathologie der Kultur und der Gesellschaft. Wo immer eine Kultur schwächer und eine Gesellschaft ungeordneter wird, agiert die Religion mit mehr Gewalt.

Der Unterschied zwischen dem iranischen Klerus und den Taliban in Afghanistan ist der, dass im Iran die Worte des Dichters Hafiz die iranische Seele durchdringen und die Menschen sanfter machen konnten. Wenn kulturelle Barrieren wie die, die Hafiz und seinesgleichen den Führern und Mullahs in den Weg stellten, nicht existieren würden, hätte die (iranische) Gesellschaft keine entwickelte Struktur, die Moderne hätte das Verhalten und den Glauben der Menschen nicht erreicht, und unsere Situation würde sich nicht von der in Afghanistan unterscheiden.

Die iranische Kultur ist eine islamische Kultur. Das bedeutet, dass Irans Kultur mit all ihrer Macht die Kontrolle des Islam anstrebt, aber bisher noch nicht erreicht hat.

Wird „Allah-u Akbar“ Erfolg haben?
Wir konzentrieren uns nun auf die Zähmung der Religion mittels der Religion. Dies kann höchstens eine kulturelle Möglichkeit sein. Die Kultur hat die historische Gabe, einen Gott einem anderen gegenüber zu stellen. Kultur ist jedoch eine Mischung aus Talent und Dummheit. Die Dummheit der Kultur ist die Unwissenheit bezüglich der von diesem zweiten Gott ausgehenden Gefahren.

Der islamische Ruf „Allah-u Akbar“ hat eine kontrollierende Eigenschaft.“Akbar“ ist ein Adjektiv mit sowohl komparativer („größerer“) als auch superlativer („größter“) Bedeutung, und in diesem Ruf wird der Akt der Kontrolle durch die Betonung des Komparativs vollzogen, indem man ausspricht, dass Allah besser ist als ein anderer Gott. Wenn Menschen von ihren Dächern „Allah-u Akbar“ rufen, wollen sie damit sagen, dass sie auf einen Gott vertrauen, der größer ist als der der Regierung. Auf diese Weise wird der Gott des Regimes zu einem bloßen Idol, dem sich der wahre Gott entgegenstellt.

„Allah-u Akbar“ zeigt die göttliche Transzendenz. Im Islam neigt Gott sowohl zur Transzendenz als auch zum Gegenteil davon, nämlich wenn er sich als kleinlicher, gieriger Geschäftsmann oder nachtragender Tyrann oder eine Mischung aus beidem manifestiert.

Einerseits ist Gott der Schöpfer aller Dinge, und keine Bewegung auf der Welt bleibt von ihm unbemerkt. Andererseits kann er so tief sinken, mit einer einzigen Person zu streiten und sie zu verfluchen. Es ist interessant, dass sich diese Größe und diese Niedrigkeit zuweilen vermischen und ein schändliches menschliches Attribut wie „Betrug“ zu einer großartigen Eigenschaft wie „der Beste unter den Betrügern“ wird, mit der man Gott beschreibt.

“Allah-u Akbar” kann Betrug sowohl zerstören als auch hervorbringen, denn es kritisiert einerseits Macht durch Nennung einer besseren Macht, bringt aber, indem es der Größe Einhalt gebietet und den König der Himmel zu einem irdischen König erniedrigt, andererseits auch Macht hervor. “Allah-u Akbar…Khomeini Rahbar” („Gott ist groß, Khomeini ist der Führer“):
Der erste Teil offenbart Transzendenz, der zweite Niedergang.

Dieser Mechanismus zur Begrenzung der Transzendenz und Neigung zum Niedergang ist eines der Probleme der Säkularisierung des Islam. Wenn der Islam eine Religion absoluter Transzendenz wäre, wäre er nicht gegen die Säkularisierung. Wenn der Gott des Islam der Weisheit Avicennas folgen und sich nicht in die Kleinigkeiten der Welt einbringen würde, könnte er den Menschen dieses Recht einräumen, damit sie ihre Gesellschaft in Ordnung bringen.

Manche glauben, dass das Problem islamischer Gesellschaften bei der Säkularisierung ihrer politischen, rechtlichen und sozialen Systeme auf ihre spirituelle Neigung zurückzuführen ist. Doch es ist genau anders herum. Das größte Problem bei der Säkularisierung des Islam ist die Existenz eines Gottes, der den Niedergang der Transzendenz vorzieht – unwissende Gemüter, ein für alle Ewigkeit diskriminierendes System, ein profitgieriger Klerus, belanglose Gesetze und eine Religion, die sich leicht als Machtinstrument benutzen lässt. Daher geht es im Kampf um die Säkularisierung des politischen Systems nicht nur um politische Macht. Ein großer Teil davon ist ein Kampf um Spiritualität, Bildung, Kunst, Reinheit und edles Denken und Handeln. Der Kampf um die Säkularisierung ist ein Kampf gegen die Vulgarität. Es ist Vulgarität, die sich in einem religiösen System zu Macht akkumuliert und sich in Form von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch in Gefängnissen zeigt.

Kann die Religion sich von Vulgarität befreien?
Geschichte muss noch geschrieben werden, und Religion kann zu allem werden, was ihre Anhänger in ihr sehen möchten. Die Anhänger haben die Freiheit und das Recht, ihre Religion zu etwas anderem zu machen. Wesentlichkeit ist nicht Feind der Freiheit. Das Wesentliche ist offenkundig: Sie sollten ihren Gott groß machen. Damit er nicht zum Gott der Folterer wird, sollten sie ihm verbieten, ein Angestellter des Gefängnisses zu werden. Das Gefängnis ist der Ursprung der Macht. Diejenigen, die Gott daran hindern wollen, die Gefängnisse zu bewachen, sollten ihn vom Thron der Macht herunterholen. Die spirituell-säkularen Argumentationen unserer Welt ermöglichen unseren Anhängern die Wahl zwischen Spiritualität und Vulgarität, Folter und Ethik.
Säkularismus verpflichtet die Religion zur Ethik.

1. September 2009

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Diese Übersetzung ist nicht vom Verfasser autorisiert.
Danke an Suzi Irani für ihre Übersetzung ins Englische.
Danke an K. für seine unbezahlbare Hilfe bei der deutschen Endredaktion.

2 Antworten zu “Die Theologie der Folter – Mohammadreza Nikfar

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