Persian Icons, 7. Oktober 2012 – Anm. d. Übers.: Die in in Haft sitzende iranische Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh ist für den diesjährigen Martin Ennals Award nominiert worden. Aus dem Gefängnis hat sie eine Botschaft an die Jury verfasst, deren Wortlaut hier übersetzt ist.
Verehrter Vorsitzender, verehrte Mitglieder des Vorstand des MartinEnnals Award. Nehmen Sie bitte meine aufrichtigen Grüße aus meiner Heimat Iran und meine tiefe Dankbarkeit für meine Nominierung als eine der Kandidaten für den Martin Ennals Award an, die ich Ihnen aus dem Evin-Gefängnis in Iran sende.
Ich fühle mich geehrt, einer Grupppe von herausragenden Nominierten für einen der angesehensten Menschenrechtspreise anzugehören.
Mit großer Freude habe ich gehört, dass die Zeremonie zur Verleihung des Martin Ennals Award stattfinden wird, und ich habe beschlossen, eine Botschaft zu diesem Anlass zu verfassen, obwohl ich nicht genau weiß, was ich sagen soll. Denn ich werde unter strengen Sicherheitsvorkehrungen festgehalten, und wie alle politischen Gefangenen darf ich keine Telefonkontakte haben. Daher bin ich von Informationen aus der Außenwelt abgeschnitten. Nichtsdestotrotz suche ich immer nach Möglichkeiten, über das Thema Menschenrechte in Iran zu sprechen, und ich bin dankbar, diese Möglichkeit erhalten zu haben.
Zunächst möchte ich meinen beiden Mitnominierten – Ehrwürden Luon Sovath aus Kambodscha und dem Bahrain Center for Human Rights (BCHR) – meinen allerhöchsten Respekt ausdrücken. Es würde mich für beide gleichermaßen freuen, wenn sie mit diesem Preis ausgezeichnet würden. Denn es ist wichtig, die internationale Aufmerksamkeit auf das Theman Menschenrechte zu richten, ganz gleich, wo in der Welt.
Wie viele von Ihnen trage ich die Leidenschaft für Gerechtigkeit seit meiner Kindheit in mir. Sie ist gewachsen und hat sich entwickelt, und in meiner Jugend wurde mir klar, dass ich diese Leidenschaft dadurch erfüllen konnte, das ich Jura studierte und Rechtsanwältin wurde.
Trotz aller damit einhergehenden Schwierigkeiten bedeutet die Tätigkeit als Juristin, der Einsatz für die Rechte von Kindern, Frauen und Menschen, deren Rechte wegen ihrer Suche nach Freiheit verletzt werden, dass der Traum von Gerechtigkeit möglich wird.
Ohne Gerechtigkeit, sogar ohne relative Gerechtigkeit wird das Leben unerträglich. Ich habe auf meine Weise versucht, diese relative Gerechtigkeit zu erreichen.
Wie Sie wissen, sind in meinem Land Iran nach gewissen politischen Entwicklungen einige Gesetze grundlegend verändert worden. Unter anderem wurden viele die Rechte von Frauen und Kindern betreffende Gesetze abgeändert. Die Todesstrafe (Hinrichtung durch den Strang) für Personen unter 18 Jahren wurde ausgesetzt. Vor diesen Änderungen bestand für iranische Kinder viele Jahre lang die Gefahr der Todesstrafe. Diese [Verbesserung] wurde durch die Arbeit vieler Anwälte und Menschenrechtsaktivisten erreicht, die sich viele Jahre lang gegen die Todesstrafe für Minderjährige engagierten.
Ich weiß noch, dass einige Anwälte wegen dieses ihres Engagements eingesperrt wurden, und dieser Umstand ist für viele zu einer Hauptsorge geworden. Auch für mich. Wir waren zeitweilig völlig überwältigt von der Verzweiflung. Dann wieder positionierten wir uns ein weiteres Mal und erneuerten unsere Anstrengungen.
Während dieser Zeit wurden meine Kollegen und ich durch die großangelegten Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten und -aktivistinnen, die gegen frauendiskriminierende Gesetze protestierten, in einen Kampf verwickelt, der in der ganzen Welt seinen Widerhall fand.
Menschen mit einem sensiblen Gewissen könnten die Iraner fragen, was diese für die Umsetzung der Menschen-, Frauen- oder Kinderrechte getan haben. Man kann sagen, dass iranische Aktivisten trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse bezüglich einiger Menschenrechtsthemen manche bemerkenswerten Siege errungen haben.
Als 2009 nach der Präsidentschaftswahl viele Iraner verhaftet und in Haftanstalten und Gefängnissen festgehalten wurden, begannen viele meiner Kollegen und ich im Vertrauen auf die Prinzipien der Menschenrechte und die Gesetze der iranischen Verfassung, die das Grundrecht von Angeklagten auf Verteidigung anerkennt, politische Angeklagte, Dissidenten und Demonstranten gegen die Präsidentschaftswahl zu verteidigen.
Doch kurz darauf fanden sich genau diese Anwälte neben ihren Klienten im Gefängnis wieder. Um ganz ehrlich mit Ihnen zu sein: Während der Verhaftungswellen nach der Wahl von 2009 hatten wir die Hoffnung verloren, das Gesetz über die Todesstrafe für Kinder ändern zu können und wandten und der Verteidigung politischer Gefangener zu. Doch dann, im Gefängnis, hörten wir von der Änderung des Gesetzes zur Todesstrafe für Kinder und Menschen unter 18 Jahren.
Heute glaube ich, dass wir niemals wieder die Hoffnung verlieren werden und arbeiten werden, bis die Todesstrafe für unter 18jährige vollständig abgeschafft ist. Diesbezüglich sind wir durch Haft und Gefängnis nicht eingeschüchtert. Als ich von der Änderung des Gesetzes über die Todesstrafe für Kinder erfuhr, wurden all der Schmerz und das Leid, das ich erfahren habe, das Leid, von meiner Familie getrennt und inhaftiert zu sein, von mir genommen.
Liebe Freunde, verehrte Damen und Herren,
nach meiner Verhaftung stand meine Familie unter großem Druck. Mein Mann und meine zwölfjährige Tochter wurden mit einem Ausreiseverbot belegt. Doch trotz allen Schwierigkeiten bin ich als Anwältin zufrieden und voller Hoffnung, denn ich glaube, dass wir keine andere Wahl haben als uns für Frauen, Kinder und Angeklagte einzusetzen, deren Rechte verletzt wurden.
Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Ausdrucks- und Gedankenfreiheit, Minderheitenrechte und alle in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehaltenen Rechte, die in den Grundrechten der meisten Länder verankert sind, sind Werte, die das Leben für die Menschheit überall auf diesem Planeten gleichermaßen erträglich machen.
Diese Werte als gemeinsames Erbe der Menschheit machen das Leben aller Menschen lebenswert und versetzen Aktivisten in die Lage, dem Druck und den Drohungen in den Verhören standzuhalten. In der jetzigen Welt ist wahrhaftig niemand allein, nicht einmal dann, wenn er in einer Einzelzelle sitzt.
Die iranische Gesellschaft hat sich viele Jahre lang der Verletzung ihrer Rechte widersetzt und sich dabei bewusst für Gewaltfreiheit entschieden. Mit ausschließlich friedlichen Mitteln haben die Menschen versucht, die Obrigkeit davon zu überzeugen, dass ihre Rechte geachtet werden müssen. Die iranische Gesellschaft hat ihre Grundrechte niemals ignoriert, sondern einen hohen Preis [für ihren Einsatz für ihre Rechte] gezahlt.
Verhaftungen, Gefängnis, juristische Verfolgung, Ausreiseverbote, Verlust ihrer Lebensgrundlage – all diese Konsequenzen haben die Iraner nicht davon abgehalten, ihre Bemühungen fortzusetzen. Und ich als ihre Anwältin bin stolz auf jeden einzelnen Fall, den ich im Namen meiner Klienten angenommen habe.
Ich bin froh und zufrieden, neben meinen unschuldigen Klienten im Gefängnis zu sitzen.
Abschließend möchte ich die Aufmerksamkeit der Menschenrechtsaktivisten auf die Fälle und die Rechte von Kindern lenken, deren Eltern als politische Gefangene eingesperrt wurden. Diese Kinder verbringen ihr Leben getrennt von ihren Vätern oder Müttern oder beiden Eltern. Ob sie ihre Eltern besuchen dürfen, hängt von willkürlichen und ungesetzlichen Entscheidungen der Sicherheitsbeamten ab.
Nochmals möchte ich Ihnen meine Wertschätzung und Dankbarkeit ausdrücken. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird: Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Wahl und gratuliere den beiden anderen Kandidaten, die diesen Preis vielleicht erhalten werden. Ich wünsche ihnen Erfolg und Wohlstand auf dem Weg zu ihrem Ziel.
Mein Dank geht an die Martin Ennals Stiftung und die Mitglieder der Jury.
Nasrin Sotoudeh
Evin, Oktober 2012
Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Persian Icons
Persisch: Sepidedam
https://www.facebook.com/NasrinSotoudeh
Hinweis:
Der Gewinner des diesjährigen Martin Ennals Award ist der kambodschanische Mönch Luon Sovath. Herzlichen Glückwunsch!
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