Arseh Sevom, 20. Dezember 2012 – Themen dieser Ausgabe: Sanktionen treffen iranische Kinder | Der stille Krieg | Nasrin Sotoudehs Traum | Geheimdienstministerium und Hawza beeinflussen geplante Reformen von Wahlgesetzen und -verordnungen | Dr. Mohammad Maleki ins Evin-Gefängnis bestellt | „Get Up, Stand Up: Stand Up for Your Rights…“ | „Lasst die Familien aus dem Spiel“ | Der Internationale Tag der Migration und iranische Aktivisten im Exil | Der oberste Führer und die sozialen Medien | Das Leben geht weiter … buntes IranSanktionen treffen iranische Kinder
Wir alle kennen mittlerweile die Berichte über das Leiden der Menschen in Iran infolge der Sanktionen, die zu Medikamentenmangel und Teuerung führen. Doch nicht nur die Sanktionen sind daran Schuld. Auch das Missmanagement der Regierung im Bereich der Gesundheits- und Medikamentenversorgung spielen eine Rolle. Die Opfer dieser Politik werden täglich mehr. Am meisten gefährdet sind kranke Kinder in armen Familien, deren Situation manchmal sogar lebensbedrohlich ist.
Die Gesellschaft zum Schutz der Rechte von Kindern hat in einer Erklärung auf die Situation dieser verletzlichen Gruppe der Gesellschaft hingewiesen und eine Aufhebung der Sanktionen auf medizinische Güter gefordert. Die Erklärung fordert außerdem die offiziellen Stellen zu einem besseren Schutz dieser Zielgruppe auf. Ärzte und Bürger werden aufgerufen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um diese Kinder vor noch mehr Schmerz und Leid zu bewahren.
Der stille Krieg
In Zusammenarbeit mit Havaar und Sanctioned Life hat die iranische Künstlerin vor dem UN-Hauptquartier in New York ihre Aktion „Sanctions: Silent War“ vorgestellt. Sie füllte tausende Medikamentenkapseln mit kleinen Zetteln, auf denen wahre Geschichten iranischer Patienten wiedergegeben sind, deren Leben von den Sanktionen beeinträchtigt ist. Diese Kapseln verteilte sie an Passanten mit der bitte, die Kapseln zu öffnen und die darin enthaltenen Botschaften zu lesen.
Ziel der Aktion war es, darauf aufmerksam zu machen, dass mit den Sanktionen die Gesundheit der iranischen Bevölkerung, vor allem die von Kindern, Frauen, chronisch Kranken und Alten, in Geiselhaft genommen wird.

Aus dem Projekt “Sanctions: Silent War” der Künstlerin Sanaz Sohrabi
Nasrin Sotoudehs Traum
Das Europäische Parlament hat mit der Verleihung seines Sacharow-Preises an die iranische Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh und den iranischen Filmregisseur Jafar Panahi – in Abwesenheit der Preisträger – deren Notlage und herausragenden Einsatz für den Kampf um Menschenwürde, menschliche Grundfreiheiten und politische Veränderung in Iran gewürdigt. In den von Friedensnobelpreisträgerin Dr. Shirin Ebadi und dem Filmemacher Costa-Gavras stellvertretend vorgetragenen Dankesreden bedanken sich die Preisträger für die Auszeichnung als ein Symbol der Ermutigung.
Panahi widmete seinen Preis „all den namenlosen Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfern, die sich in der ganzen Welt für den Frieden einsetzen“. Sotoudeh widmete ihren Preis in ihrem Dankesbrief „allen politischen Gefangenen in Iran und der ganzen Welt“.
„Ich habe nur einen Traum: Die Verwirklichung von Gerechtigkeit. Und ich glaube daran, dass dieser Traum in meinem Land wahr wird, und zwar durch juristische Unabhängigkeit“, so Sotoudeh in der von Shirin Ebadi vorgetragenen Dankesrede. „Regierungen müssen wissen, dass sie ihre Existenz nur erhalten können, indem sie die Rechte jedes Einzelnen wahren.“
Wie erwartet, folgte am Sonntag eine negative Reaktion des iranischen Außenministeriums. Ein Sprecher teilte mit: „Leider verfolgen die Europäische Union und ihre angegliederten Gremien einen selektiven Ansatz gegenüber menschenrechtlichen Fragen und wollen diese objektivieren (sic). Mit ihrer Aufmerksamkeit für diese Fragen verfolgen sie ihre eigenen politischen Ziele“. Zum Aufenthaltsort der beiden Personen, um die es ging, sagte Sprecher Mehmanparast nichts.
Geheimdienstministerium und Hawza beeinflussen geplante Reformen von Wahlgesetzen und -verordnungen
Das iranische Parlament diskutiert seit etwa 2 Wochen über Änderungen seines Wahlgesetzes. Ziel der von fast einem Drittel der iranischen Parlamentsabgeordneten vorgeschlagenen Änderungen ist es, dem Parlament mehr Macht im schwerfälligen Auswahlprozess für Präsidentschaftswahlen zu geben und andererseits das Gewicht der Exekutive bei Wahlen zu reduzieren.
Der Gesetzentwurf sorgt für heiße Diskussionen zwischen Intellektuellen und Abgeordneten. Es ist unklar, ob das Gesetz frühzeitig genug verabschiedet wird, um schon bei der nächsten Präsidentschaftswahl angewendet werden zu können.
Unterdessen hat der parlamentarische innenpolitische Ausschuss sich mit der Reform von Verordnungen zu politischen Parteien befasst. Jahan-e Sanat hat einen umfassenden Bericht über die Verfahren für das Gesetz vorgelegt. Darin wird der Einfluss des Geheimdienstministeriums und der Hawza (Islamisches Seminar) auf Reformen von Gesetzen deutlich, die mit politischen Parteien zu tun haben.
Dr. Mohammad Maleki ins Evin-Gefängnis bestellt
Dr. Mohammed Maleki, ehemaliger Kanzler der Teheran-Universität, hat im November 2012 in einem Brief an den obersten iranischen Führer Ayatollah Khamenei diesen aufgefordert, zu „akzeptieren, dass Iran am Rande des Zusammenbruchs“ stehe. Maleki fordert Khamaneis Rücktritt sowie ein freies und faires Referendum zum Zustand des Landes. Am vergangenen Dienstag wurde Maleki ins Evin-Gefängnis bestellt, um die gegen ihn verhängte sechsjährige Haftstrafe anzutreten.
„Get Up, Stand Up: Stand Up for Your Rights…“
Sechs inhaftierte iranische Menschenrechtsaktivisten haben in einer gemeinsamen Erklärung zu mehr Widerstand gegen Rechtsverstöße und der Verurteilung der verbreiteten Anwendung der Todesstrafe in Iran aufgerufen. Die Aktivisten [Mehdi Khodayi, Mohammad Ali Dadkhah, Nasrin Sotoudeh, Abdofattah Soltani, Mohammad Seifzadeh, Mostafa Nili] rufen alle Aktivisten zu „mehr Anstrengung für das Verständnis von Menschenrechten und den Schutz der Menschenwürde in der Gesellschaft“ auf.
„Lasst die Familien aus dem Spiel“
In einem Brief an den iranischen Justizchef Ayatollah Larijani haben 117 Journalisten Schutz für die Familie des inhaftierten Journalisten Alireza Rajaei vor „Drohungen, Schikanen und Gewalt“ gefordert.
Die Journalisten bezogen sich auf einen Brief des politischen Gefangenen Abolfazl Ghadiani, in dem dieser die Einschüchterungspraxis von Verhörbeamten gegenüber Angehörigen politischer Gefangener beschrieben hatte. In seinem Brief hatte Ghadiani den Verhörbeamten Alireza Rejais namentlich genannt.
Der iranische Sicherheitsapparat setzt Gefangene u. a. auch mit der Verhaftung ihrer Angehörigen unter Druck.
Der Internationale Tag der Migration und iranische Aktivisten im Exil
Der 18. Dezember ist der Internationale Tag der Migration. Die Organisation Human Rights Watch verwies in einem am 14. Dezember veröffentlichten Bericht auf die wachsende Zahl iranischer Aktivisten, die in den drei Jahren seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl von 2009 aus dem Land fliehen.
Der 60 Seiten umfassende Bericht mit dem Titel „Why They Left: Stories of Iranian Activists in Exile“ dokumentiert die Erfahrungen dutzender Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Blogger und Juristen, die wegen ihrer Kritik an der Regierung zur Zielscheibe des Sicherheits- und Geheimdienstapparates wurden. Infolge der Niederschlagung öffentlicher Kritik durch Sicherheits- und Geheimdienstkräfte sei der „Raum für die Zivilgesellschaft in Iran seit 2009 kontinuierlich eingeschränkt worden“. Dem Bericht zufolge haben zwischen 2009 und 2011 45000 Iraner in 44 Ländern um Asyl ersucht.
Der oberste Führer und die sozialen Medien
Webseiten sozialer Medien sind in Iran zwar blockiert, doch das hat Ayatollah Khamenei nicht davon abgehalten, seine eigene Facebook-Seite zu eröffnen. Nach Berichten des Guardian wurde dies über Khameneis Twitter-Account bekannt gegeben, der vermutlich von seinem Büro betrieben wird. Auf Khameneis offizieller Internetseite wurde die Existenz der Facebook-Seite bislang nicht bestätigt. Die konservative Nachrichtenseite Baztab wusste jedoch zu berichten, dass die Seite von Khameneis Büro betrieben wird.

Der oberste Führer und seine Facebook-Freunde
Khameneis Büro ist schon seit Langem aktiv auf Twitter und Instagram, auch wenn die meisten sozialen Netzwerkseiten in Iran gefiltert werden und als Werkzeuge des sogenannten „Sanften Krieges des Westens“ gelten. Die Zeit wird zeigen, ob wir das Gesicht des Führers infolge seiner Instagram-Nutzung irgendwann in einer Werbeanzeige wiedertreffen werden.
Das Leben geht weiter … buntes Iran
Der New Yorker Fotograf Brandon Stanton hatte vor einiger Zeit ein Dokumentationsprojekt begonnen, in dem er fast jeden New Yorker Bürger erfasste. Das Projekt „Humans of New York“ ist mit einem aktiven Blog und einer noch aktiveren Facebook-Seite im Internet höchst erfolgreich.
Brandon hält sich derzeit in Iran auf und verbreitet seine dort aufgenommenen Fotos. Es entstand ein anderes, sehr interessantes Porträt Irans, das die vielen negativen Nachrichten, die uns täglich von dort erreichen, bereichert.

Skaterin in Isfahan (Foto: Brandon)
Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom