Nachrichten aus der iranischen Zivilgesellschaft – 10. Januar 2013

Thmbnail image Iran: Taking Our Breath AwayArseh Sevom, 10. Januar 2013 – Themen dieser Ausgabe: Iranische Schriftsteller geehrt | Initiative für die Kultur des Lesens gegründet | Bald lückenlose Überwachung durch Irans Cyber-Polizei? | Neue Welle der Schikane gegen Angehörige von Journalisten und Aktivisten | UNICEF soll sich für Kinder inhaftierter Mütter einsetzen | Kunst für Veränderung | „Atemberaubendes“ Teheran | Freilassung Moussavis, Rahnavards und Karroubis gefordert | Drohende Hinrichtungen: Zanyar und Loghman MoradiIranische Schriftsteller geehrt
Issa Saharkhiz, Keyvan Samimi und Hila Sedighi sind unter den 41 Schriftstellern, die 2012 für ihren Einsatz für Ausdrucksfreiheit und ihren Mut angesichts drohender Verfolgung mit dem Hellman-Hammett-Award von Human Rights Watch ausgezeichnet werden.

Der kurz nach der Präsidentschaftswahl von 2009 verhaftete bekannte Journalist Issa Saharkhiz befindet sich bis heute in Haft, sein Gesundheitszustand verschlechtert sich stetig. Lange Zeit war er eine Stimme gegen die Repression reformorientierter Bewegungen durch die Regierung und die Unterdrückung der Medienfreiheit.

Keyvan Samimi hat sich aktiv für die Rechte von Journalisten und das Recht auf Bildung eingesetzt. Seit 2009 sitzt er in Iran im Gefängnis, zur Zeit in Einzelhaft. Wie viele Gewissensgefangene in Iran leidet auch er an zunehmenden gesundheitlichen Problemen, erhält aber keinen Hafturlaub, um sich behandeln zu lassen.

Die Dichterin Hila Sedighi hatte mit einer öffentlichen Rezitation ihres Gedichts „Herbstregen“ viele Menschen tief bewegt. In ihrem Gedicht schrieb sie über Kommilitoninnen und Kommilitonen, die nach den Demonstrationen nach der Präsidentschaftswahl von 2009 vermisst wurden. Sie wurde – offenbar wegen ihrer Gedichte – verhaftet und verhört und zu einer „aufgeschobenen“ Haftstrafe von vier Monaten verurteilt. Ein Mitschnitt ihres Gedichtvortrags ist auf  YouTube zu sehen.

Radio Zamaneh erinnerte an weitere iranische Schriftsteller, die in der Vergangenheit mit dem Hellman-Hammett-Preis ausgezeichnet wurden. Darunter sind Namen wie Ahmad Shamloo, Houshang Golshiri, Parvin Ardalan, Bahman Ahmadi Amuoee, Asieh Amini, Mohammad Sedddigh Kaboudvand, Ali Afshari und Abbas Maroufi.

Initiative für die Kultur des Lesens gegründet
Eine Gruppe iranischer Emigranten in London haben eine Webseite namens Nogaam ins Leben gerufen und mit ihrer Initiative auf den wachsenden Trend zu elektronischen Büchern und elektronischer Lektüre in der iranischen Internetgemeinde sowie auf die Zensur innerhalb Irans reagiert. Mit interaktiven und innovativen Mitteln wird eine Brücke zwischen Lesern, Autoren, Übersetzern und Sponsoren geschlagen, um so eine Kultur des Lesens zu befördern. Die Initiative stellt ihren Lesern die elektronische Version eines Buches kostenlos zur Verfügung und zahlt dem Autor das Honorar.

Bald lückenlose Überwachung durch Irans Cyber-Polizei?
Die iranische Cyber-Polizei ist laut Radio Farda dabei, eine Software zur Kontrolle sozialer Online-Netzwerke zu entwickeln. Radio Farda zitierte den iranischen Polizeichef Esmail Ahmadi Moghaddam mit den Worten:

„Mit einer klugen Kontrolle sozialer Internetseiten sorgt nicht nur dafür, dass deren schädliche Wirkungen abgewendet werden, sondern ermöglicht es den Menschen auch, von den nützlichen Informationen zu profitieren.“
Moghaddam erklärte, die Einrichtung eines Obersten Rats für Cyberspace im vergangenen Jahr sei für dieses Ergebnis ein Faktor gewesen.

Die Blockade des sozialen Netzwerks Facebook war in Iran letzte Woche für einige Stunden aufgehoben worden. Ob das etwas mit Ayatollah Khameneis Facebook-Debüt zu tun hat?

Nicht einmal nach dem skandalumwitterten Fall des [in Polizeigewahrsam verstorbenen] Bloggers Sattar Beheshti hat die iranische Cyber-Polizei FATA nicht aufgehört, Jagd auf iranische Internetaktivisten zu machen. Das vorerst letzte und vermutlich jüngste Opfer ist laut Berichten von Radio Zamaneh ein 14jähriger Junge aus Karaj, der wegen „Veröffentlichung obszöner Geschichten“ verhaftet wurde. Leider handelt es sich nicht um einen Einzelfall – schon zuvor wurde immer wieder über die Verhaftung von Online-Aktivisten berichtet.

Neue Welle der Schikane gegen Angehörige von Journalisten und Aktivisten
Wieder werden Journalisten, Aktivisten und ihre Familienangehörigen schikaniert und unter Druck gesetzt. Die nächste Präsidentschaftswahl steht vor der Tür, und der iranische Sicherheitsapparat setzt erneut Angehörige von Mitarbeitern des Senders BBC Persian unter Druck. Mehr als 100 Journalisten haben daraufhin in einer Erklärung dieses Vorgehen verurteilt und die iranischen Behörden aufgefordert, es umgehend zu beenden. In der Erklärung heißt es u. a.:

„Ein solches Vorgehen zeichnet ohne Zweifel ein Bild von der Islamischen Republik Iran, das dem vor fast 35 Jahren von den Iranern durch ihre Revolution aufgestellten Image widerspricht.“

Die Medienorganisation Reporters Without Borders hat in ihrem neuesten Bericht ebenfalls auf die willkürliche Verhaftung von Journalisten und Netzaktivisten sowie die Bedrohung von Angehörigen der für Medienorganisationen in Iran arbeitenden Ausländer und Iraner hingewiesen.

UNICEF soll sich für Kinder inhaftierter Mütter einsetzen
Das „Iran Human Rights Documentation Center“ (IHRDC) berichtete über die Einlieferung zweier Kleinkinder in medizinische Versorgungseinrichtungen. Die beiden Kinder leben mit ihren inhaftierten Müttern im Gefängnis von Semnan. Die Mütter gehören der Glaubensgemeinschaft der Baha’i an. Zuvor waren mehrere Anträge der Mütter auf medizinische Versorgung für ihre Kinder abgelehnt worden. Das IHRDC dazu:

„Die Nichtgewährung medizinischer Versorgung für Kinder und die Unterbringung von Kindern im Gefängnis von Semnan mit seinen unhygienischen Bedingungen stellen klare Verstöße gegen die Kinderrechtskonvention dar. Die Islamische Republik Iran ist Teil dieser Konvention, wenn auch mit Einschränkungen.“

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat sich in der Angelegenheit schriftlich an den UNICEF-Geschäftsführer Anthony Lake gewandt und UNICEF Iran aufgerufen, iranische Gefängnisse zu besuchen und die Bedingungen für die dort lebenden Kinder in Augenschein zu nehmen. Kleinkinder leben oft mit ihren inhaftierten Müttern und Vormündern zusammen im Gefängnis. Viele leiden darunter, dass die Gefängnisse für Kinder nicht ausgestattet sind. Manche tragen dauerhafte mentale und körperliche Folgen davon.

Kunst für Veränderung
Hengameh Shahidi, Beraterin Mehdi Karroubis für Frauenfragen, Journalistin und Menschenrechtsaktivistin, hat sich der Kunst zugewendet. Wie die Financial Times berichtet, fand Shahidi nach ihrer Freilassung aus dem Evin-Gefängnis – wo sie in Einzelhaft gehalten und vermutlich gefoltert wurde – eine Zuflucht in der Kunst. Der Artikel berichtet über ihre Gründe, ihre Ziele und ihre Hoffnungen.

„Ich verstehe immer noch nicht, wie eine gewalttätige Atmosphäre einen so sensiblen Teil von mir zum Leben erwecken konnte“, sagt Shahidi.

Sie hofft, dass ihre Bilder dazu beitragen können, ein Bewusstsein für die fast 200 noch in Haft verbliebenen politischen Gefangenen zu schaffen.

„Ich habe mit einem Traum von Freiheit und freiem Atmen zu malen begonnen, in einer Atmosphäre, in der nicht mehr gekämpft wird, weil beide Seiten (das Regime und seine Gegner) verloren haben.“

„Atemberaubendes“ Teheran
Die Menschen in Teheran genießen den Himmel und die Schönheit der Stadt nicht wie sonst. „Schon wenn ich aus dem Haus gehe, bekomme ich Schmerzen in der Brust“, so ein Teheraner gegenüber Arseh Sevom.

Zunehmende Luftverschmutzung und Smog sorgen für tränende Augen und Schwindelgefühl. Schulen und öffentliche Institutionen mussten diese Woche für zwei aufeinanderfolgende Tage geschlossen werden.

Hassan Aghajani, Berater der iranischen Gesundheitsministerin, nahm im staatlichen Fernsehen Stellung zu den Auswirkungen der starken Luftverschmutzungen in der iranischen Hauptstadt. Im vorigen Jahr habe es im Zusammenhang mit der schlechten Luft 4460 Todesfälle gegeben, so Aghajani. Die Zahl der eingehenden Notrufe steige immer dann, wenn die Luftverschmutzung zunehme. „Nach der letzten Luftverschmutzungswarnung in Teheran stieg die Zahl der Einlieferungen wegen Herzerkrankungen um 30 Prozent.“

Nach Berichten der New York Times fordern die Behörden die Einwohner seit mittlerweile fast einer Woche auf, ihre Wohnungen nicht zu verlassen und das Zentrum zu meiden.

„…bei derartig schlechten Luftwerten kann ein Aufenthalt im Freien gleichbedeutend mit Selbstmord sein, berichtete das staatliche Radio am Sonntag.“

Schuld an dem dramatischen Anstieg der Luftverschmutzung in iranischen Großstädten soll die niedrige Spritqualität sein. Aufgrund der internationalen Sanktionen hat Iran begonnen, sein Öl selbst zu raffinieren.

Freilassung Moussavis, Rahnavards und Karroubis gefordertPhoto of Mousavi by Hamed Saber, of Karoubi by Mardetanha, from the Wiki Commons.

„Eine so gewaltsame Verletzung der Menschenrechte und der geltenden Gesetze und Verordnungen des Landes… kann nicht geschehen, ohne dass führende Offizielle des Landes dies autorisieren. Nach fast zwei Jahren Hausarrest hat noch immer keine offizielle Stelle die Verantwortung für  den juristischen Status unserer Angehörigen übernommen, um die ein großer Teil des iranischen Volkes sich Sorgen macht.“

Dies schreiben die Kinder der inhaftierten Oppositionsführer Mir Hossein Moussavi, Zahra Rahnavard und Mehdi Karroubi in einem gemeinsamen Statement (Bericht von Radio Zamaneh). Sie rufen die Obrigkeit auf, „Mut zu zeigen und Verantwortung für die illegale Inhaftierung zu übernehmen“ sowie ihre Eltern umgehend und ohne unfundierte Entschuldigungen freizulassen.

Wir sehen uns an der Wahlurne…
Mit dem Herannahen der nächsten Präsidentschaftswahl ist bei einigen regimetreuen Politikern ein veränderter Ton im Umgang mit dem Thema Moussavi, Karroubi und der Reformpartei zu verzeichnen. [Die halbamtliche Nachrichtenagentur] ILNA zitierte den führenden Konservativen Habibollah Asgarouladi mit den Worten, Moussavi und Karroubi seien keine „Aufrührer“; der wahre „Aufruhr“ komme aus den USA, Großbritannien und anderen „arroganten Mächten“.

Die Nachrichtenagentur Mehr berichtet von einer Aufhebung des Verbots der reformorientierten Zeitung Shargh in der vergangenen Woche. Viele fragen sich, ob dies Anzeichen dafür sein könnten, dass Reformer und Opposition an der diesjährigen Präsidentschaftswahl teilnehmen werden.

In unzähligen Briefen und Diskussionen haben Intellektuelle, Aktivisten und sogar einige Politiker freie und faire Wahlen gefordert. Viele zweifeln hinsichtlich der Authentizität vorangegangener Wahlen sogar am obersten Führer [Ali Khamenei].

Ayatollah Khamenei selbst warnte am 8. Januar in einer Rede vor feindlichen Plänen, eine hohe Wahlbeteiligung zu verhindern. Er ermahnte die iranische Bevölkerung, es sei wichtig, die Präsidentschaftswahl nicht zu kritisieren und Spannungen zu vermeiden und betonte dabei, dass die Wahlen frei sein müssten.  Khamenei:

„Waren die mehr als 30 Wahlen, die in den letzten drei Jahrzehnten in Iran abgehalten wurden, nicht frei? Wo auf der Welt gibt es so freie Wahlen wie in Iran?“

Die Entwicklungen in der politischen Arena Irans werden in den nächsten fünf Monaten bis zur Wahl schwer vorherzusagen sein. Bleibt zu hoffen, dass die Wahl sich nicht als eine weitere partizipative Diktatur erweisen wird.

Drohende Hinrichtungen: Zanyar und Loghman Moradi
Seit Tagen besteht große Sorge um die beiden ethnischen Kurden Zanyar und Loghman Moradi. Die beiden Cousins sind seit 2010 zum Tode verurteilt. Zanyars Vater Eghbal Moradi berichtet in einem Interview mit dem Iran Human Rights Documentation Center (IHRDC) von wiederholten Mordversuchen gegen ihn. Sein Sohn und dessen Cousin seien verhaftet worden, nachdem er durch neun Schüsse in den Rücken schwer verletzt wurde, so Eghbal Moradi.

Über die Verfolgung der Kurden berichtet IHRDC detailliert in dem Bericht On the Margins: Arrest, Imprisonment and Execution of Kurdish Activists in Iran Today. Eine Zusammenfassung von Arseh Sevom ist hier erhältlich.

Die Cousins Zanyar und Loghman Moradi

In einem offenen Brief an die Jugend der Welt schreibt Zanyar Moradi:

Ist diese Welt so grausam, dass sie mitansehen kann, wie mein Cousin und ich öffentlich gehängt werden und von einem Kran baumeln? Dass sie nichts dazu sagt? Dass sie nichts dagegen tut?

Ich stelle fest, dass ich nur über das Internet meine Angst und meine Appelle an euch ausdrücken kann. Bitte seid also geduldig mit mir und gebt mir ein paar Minuten und Sekunden eurer Zeit, um mir zuzuhören. Es ist schwer, mit 21 Jahren seinem Tod ins Auge zu sehen, jeden Tag mit dem Albtraum des Todes zu leben, jedes Mal zu zittern, wenn ich ihre Schritte nahen höre, die kommen, um mich meinem Tod zuzuführen.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom

2 Antworten zu “Nachrichten aus der iranischen Zivilgesellschaft – 10. Januar 2013

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