Veröffentlicht auf Gooya News am 8. Februar 2010
Quelle (Persisch): http://news.gooya.com/politics/archives/2010/02/100172.php
Übersetzung Persisch-Deutsch: Faramars Jalali
Das Büro von Shirin Ebadi erklärt:
Am 15. 02. 2010 findet eine Sitzung der Menschenrechtskommission der UNO über die Lage der Menschenrechte in Genf statt. Zuerst wird der Vertreter der Islamischen Republik Iran eine Stunde lang seinen Bericht vortragen. Dann werden die Vertreter der Mitgliedsstaaten sich dazu äußern. Da der Bericht des Vertreters der iranischen Regierung nicht die ganze Wahrheit enthalten wird, hat Dr. Shirin Ebadi einen kurzen Bericht – der die Geduld und die Zeit der o. g. Vertreter nicht überstrapazieren wird – verfasst und diesen der Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen zukommen lassen.
Der vollständige Text des Berichtes ist dieser Ankündigung beigefügt.
Das Büro von Dr. Shirin Ebadi
08. Februar 2010
Hohe Kommissarin der Menschenrechte, Frau Pilay,
verehrte Mitglieder der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen,
auch wenn ich mich in der Vergangenheit wiederholt schriftlich und persönlich zur Verschärfung der Situation der Menschenrechte geäußert habe, halte ich es dennoch für erforderlich, anlässlich der Berichterstattung der Regierung der Islamischen Republik Iran am 15. 02. 2010 Ihre geschätzte Aufmerksamkeit sowie die der verehrten Mitglieder der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen auf folgende Punkte zu lenken:
Meine Landsleute durchleben schwere Tage. Ihre friedliche Proteste werden mit Bleikugeln und Kerker erwidert. Es gibt viele Film- und Bilddokumente sowie Augenzeugen, die die staatliche Gewalt dokumentieren. In manchen Fällen sind sogar die Mörder mit ausreichenden Beweismitteln den staatlichen Organen und der Bevölkerung vorgestellt worden. Aber es wurden leider keine Maßnahmen zur Festnahme der Mörder oder Unterbindung der Gewaltakte seitens der Justizbehörde oder anderer staatlicher Organe eingeleitet.
Zahlreiche politische, gesellschaftliche und sogar kulturelle Aktivisten wurden unter unbegründete Anklagen gestellt, und manche von ihnen wurden in Schauprozessen nach nur wenigen Stunden hinter verschlossenen Türen zum Tode verurteilt. Nach den offiziellen Erklärungen der Regierung der Islamischen Republik Iran sind bisher 4 Gefangene hingerichtet worden. Weitere 25 warten in den Todeszellen auf die Vollstreckung ihrer Urteile.
Die Gefangenen werden sehr schlecht behandelt, so dass einige von ihnen im Gefängnis unter Folter gestorben sind. Die politischen Gefangenen bekommen nicht die elementarste Rechte, die den einfachen Gefangenen und den Schwerverbrechern eingeräumt werden. Das Leben von einigen von ihnen ist aufgrund von Krankheiten oder hohem Alter akut gefährdet. In diesem Zusammenhang kann man Dr. Ebrahim Yazdi, Dr. Mohammad Maleki und Ingenieur Behzad Nabawi erwähnen. Die ersten beiden sind über achtzig Jahre alt und leiden an Krebs. Der dritte hat Herzprobleme und ist den unhygienischen Bedingungen im Gefängnis ausgesetzt. Sie bekommen keinerlei ärztliche Behandlung. Es besteht akute Gefahr, dass sie unter diesen Umständen ihr Leben verlieren. Es ist eine traurige Tatsache, dass sich die Zahl der politischen Gefangenen, die dringend ärztliche Versorgung brauchen, nicht auf diese drei beschränkt. Über 60 Gefangene müssten stationär behandelt werden.
Der Iran hat sich in ein großes Gefängnis für Journalisten verwandelt, deren einziges Vergehen darin besteht, dass sie die Menschen informieren wollten. 63 Journalisten und Fotoreporter sind momentan in Haft.
Kleinste Kritik der Studenten wird mit Inhaftierung und Ausschluss vom Studium beantwortet.
Die iranischen Frauen, die Gleichberechtigung fordern, werden bezichtigt, das Regime der Islamischen Republik stürzen zu wollen. Gegen mehr als 100 von ihnen wurde Strafanzeige erstattet.
Arbeiter und Lehrer, die sich in ihren gewerkschaftlichen Organisationen für gerechte Löhne eingesetzt haben, werden als Abenteurer und Unruhestifter denunziert. Einige von ihnen wurden festgenommen, viele von ihnen haben ihre Arbeit verloren.
Nicht nur Nichtmoslems wie die Bahaiis werden schlecht behandelt. Seit der Gründung der Islamischen Republik Irans dürfen sie nicht an den Universitäten des Landes studieren. Auch die Schiiten – Gläubige der offiziellen Konfession des Landes – werden von den staatlichen Gewalttaten nicht verschont. So wurden z. B die Derwische in Gonabad zusammengeschlagen und verhaftet.
Eine traurige Praxis des Regimes besteht darin, dass es in letzter Zeit Druck auf politische und gesellschaftliche Aktivisten Druck ausübt, indem es einen oder mehrere Angehörige als Geiseln nimmt, um durch diesen psychischen Druck seine illegalen Ziele zu erreichen. Hierzu kann man auf die Inhaftierung von zwei Töchtern von Herrn Tavasssoli – einem politischen Aktivisten Irans – hinweisen. Leider sind auch acht weitere Familien Opfer dieser Praxis geworden.
Das Schicksal der Verteidiger der Menschenrechte ist hierbei am schlimmsten von allen. Denn die Verantwortlichen des Regimes wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Berichte über die Verletzung der Menschen über die Grenzen Irans hinaus bekannt werden. Deshalb sind die meisten bekannten Menschenrechtsaktivisten Irans entwerden verhaftet worden oder haben Ausreiseverbot erhalten. Viele von ihnen wurden gezwungen, in den Untergrund zu gehen und konspirativ weiter zu leben. Es sind leider für einige von ihnen Anklagen wegen „Moharebeh“ (Kampf gegen Gott) ausgestellt worden, was unter Todesstrafe steht.
Die schutzlos Bevölkerung Irans legt unter solchen Umständen hohe politische Reife an den Tag, leistet Widerstand und beharrt mit friedlichen Mitteln auf ihren gerechten Forderungen, nämlich Demokratie und Menschenrechte.
Ich frage Sie als Vertreter der Mitgliedsländer der Menschenrechtskommission: Wie lange kann man die Jugend noch zur Ruhe aufrufen? Die Geduld der Menschen Irans ist groß, sie ist aber nicht unendlich. Sollten sich die Ereignisse der letzten Monate wiederholen und die Politik der gewaltsamen Zerschlagung und der Ermordung der wehrlosen Bevölkerung fortgesetzt werden, kann es jeden Augenblick zu einer Katastrophe kommen, die nicht nur den Frieden Irans, sondern auch die Stabilität der Region gefährdet. Deshalb fordere ich Sie zum wiederholten Male auf, mit allen Ihnen möglichen Mitteln die Regierung der Islamischen Republik Irans dazu zu bewegen, die Resolutionen der Vereinten Nationen über die Menschenrechtsverletzungen im Iran, insbesondere die Resolution vom Dezember 2009, zu respektieren, die Menschenrechtsbeobachter in den Iran einreisen zu lassen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, damit sie über Themen wie willkürliche Verhaftungen, freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und Rechte der Frauen recherchieren können.
Außerdem möchte ich Sie bitten, zur Überprüfung der Lage der Menschenrechte im Iran einen ständigen Beobachter zu benennen, der kontinuierlich das Vorgehen der Regierung untersucht und mit rechtzeitigen Hinweisen und Lösungsvorschlägen zur Beendigung der politischen Krise und der eskalierenden staatlichen Gewalt beiträgt.
Meine verehrten Kollegen sollten daran denken, dass wir alle uns vor der Geschichte verantworten müssen. Wir sollten uns nicht vor einem schutzlosen Volk für unser politisches Kalkül schämen müssen.
Shirin Ebadi
Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des Friedensnobelpreises 2003
08. Februar 2010