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Übelkeit – Persian Umpire über seinen persönlichen 13. Aban

Veröffentlicht am 6. November
Autor: P. Umpire
Quelle (Englisch): http://www.persianumpire.com/2009/11/06/nausea/
Deutsche Übersetzung: Julia
Bei Weiterveröffentlichung bitte Link zu diesem Post und zum Original angeben

Wegen der nach Demonstrationen üblichen Staus im Internet ein verspäteter Post

Mittwoch, 13. Aban (4. November)

Ein merkwürdiges Gefühl hat heute von mir Besitz ergriffen. Nur einen Meter von mir entfernt wurde ein Mann Ende Fünfzig von mehreren Menschen geschlagen, und ich habe es genossen. Obwohl ich weder den Drang zum Mitmachen verspürte, noch Zeit hatte darüber nachzudenken, verursachte das Vergnügen, das ich beim Anblick des angsterfüllten Gesichts dieses Mannes verspürte, bei mir den Wunsch, seine Angreifer anzufeuern. Ich bin froh, dass ich es nicht getan habe. In der Schlägerei, als er sie anflehte aufzuhören und immer wieder schrie „warum schlagt ihr mich?“, dachte ich nur: „du machst wohl Witze“. Der Mann war ein Basij.

Ich habe nie zuvor erlebt, dass vor meinen Augen an einem einzigen Tag so viel Gewalt angewendet wurde. Wenn es einen Tag gibt, der mit dem 13. Aban vergleichbar ist, so ist es wohl der 30. Khordad (20. Juni), der Tag, nach dem Khamenei seinen Gangstern grünes Licht für gnadenloses Vorgehen gegen die Iraner gegeben hatte. Der 13. Aban war schlimmer, vielleicht, weil ich länger dabei blieb, oder vielleicht, weil es wirklich schlimmer war. Ich habe auch noch nie zuvor so viele Sicherheitskräfte an einem Ort gesehen. Ich war heute am Haft-e Tir-Platz, in der Karim Khan Avenue, auf dem Vali-Asr-Platz und Umgebung. Tausende von Grünen waren dort, zumeist ohne grüne Symbole, und sie wurden von tausenden Affen empfangen, die sich, wenn man sie mit dem Etikett Homo versehen würde, höchstens bis zum Erectus qualifizieren würden.

Die Affenmacht hatte nur eins im Sinn: Jede Menschenansammlung zu verhindern. Ihre Strategie: wahllose Gewalt. Gegen 10:30 Uhr kamen wir auf dem Weg zum Vali-Asr-Platz an der Metrostation Beheshti vorbei. Eine Gruppe von Spezialeinheiten der Revolutionsgarden, in Tarnanzügen und Schlagstöcke schwingend, stürmten plötzlich das Tor der Station, so dass die Leute, die gerade herauskamen, ängstlich wieder ins Innere flohen. Sieben oder acht Sicherheitsleute rannten hinein, die anderen verschlossen die Tore hinter ihnen und versperrten sie. Danach hörte man nur noch Schreie und dumpfe Schläge.

Wir haben bei den Demonstrationen etwas gelernt. Wenn die Affen angreifen, sollte man auf keinen Fall rennen, sondern auf dem Gehweg nah an den Schaufenstern bleiben und weiter gehen, oder einfach an einer Wand stehen bleiben. Normalerweise laufen sie dann an dir vorbei, hinter denen her, die rennen. Heute jedoch fuhren die Affen mit Motorrädern auf den Gehwegen, hielten ihre Schlagstöcke an die Wände und gaben Gas. Wenn sie keine Motorräder hatten, liefen sie einfach durch und schwangen ihre Knüppel, Stöcke oder Ketten. Es spielte keine Rolle, wen oder was sie damit trafen.

Ich werde hier nicht minutiös über den Tag berichten. Es war überwiegend eine pausenlose Abfolge heftiger Schläge, Blutergüsse und Blut, von der ich schnappschussartige Eindrücke behalten habe. Ich erinnere mich auch, einige Male Schüsse gehört zu haben. Auch mit Verhaftungen schien man wahllos zu sein. Wir sahen Basijis, die sich willkürlich junge Leute herausgriffen, sie auf die Knie zwangen, ihnen Handschellen und Augenbinden anlegten und sie dann fortbrachten.

Auf der Vali-Asr-Straße nördlich des Platzes beschimpfte ein Polizist laut einen alten Mann, weil er sich bei der Demonstration gezeigt hatte. Ein junger Mann ging zu dem Polizisten und gab ihm eine Blume, woraufhin der Polizist ihn schlug und auf den Gehweg warf. Der Junge rappelte sich auf und ging.

In den Schlägereien sahen wir auch Sicherheitskräfte und Basijis, die geschlagen oder von Steinen getroffen wurden. In der Karim-Khan-Straße nahe dem Vali-Asr-Platz jagte ein achtzehn- oder neunzehnjähriger Basij auf der Straße neben dem Gehweg einem Mann hinterher, wobei er einen Gummigurt schwang. Der Mann war kräftig, und der Basij war klein, pausbäckig, mit nur einem Anflug eines sprießenden Bartes. Zum ersten Mal konnte ich sehen, wie eine Technik angewandt wurde, über die ich schon gelesen hatte, die aber schwer umzusetzen ist. Mitten im Lauf stoppte der Mann unvermittelt auf der Stelle, drehte sich um, griff sich den verdutzten Basij und warf ihn gegen ein Auto. Der Basij brauchte ein paar Sekunden, um wieder aufzustehen. Als er sah, dass einige Leute sich auf ihn stürzen wollten, rannte er weg, aber sie erwischten ihn und begannen, ihn zu verprügeln. In diesem Augenblick tauchte ein Basij, etwa Mitte Fünfzig, mit kurzen weißen Haaren – der, den ich eingangs erwähnte – hinter einem Bus auf und lief in Richtung des Handgemenges, ebenfalls mit einem Gummigurt in der Hand, und versuchte, die Leute zu vertreiben und den anderen Basij zu befreien. Weitere Menschen tauchten auf und griffen ihn an. Er fiel einen Meter vor mir zu Boden und bekam Tritte und Faustschläge verpasst. In diesem Moment stieß eine Gruppe Basijis dazu, sie umringten die anderen beiden Affen und schleiften sie fort.

Später, am Haft-e Tir-Platz, sahen wir einen Basij – wieder einen älteren Mann – der seinen Kopf hielt und stark blutete. Ein anderer stützte ihn und half ihm über den Platz bis zu ihrem Lager.

Die Demonstration erreichte zu keinem Zeipunkt das Ausmaß und die Konzentration vom Quds-Tag. Es war gar nicht möglich. Alle flohen vor den Sicherheitskräften, gruppierten sich in den Seitenstraßen neu, oder erholten sich vom Tränengas und den Schlägen. Die größte Gruppe, die ich sah, marschierte auf der Karim-Khan-Straße und skandierte Parolen gegen die Regierung. Es waren höchstens 2oo oder 300 Leute. Von Zeit zu Zeit tauchten regierungstreue Demonstranten mit Lautsprechern und Parolen auf. Die größte dieser Gruppen bestand aus einigen hundert Leuten. Ich erinnere mich noch an eine ihrer neuen Parolen „Tod dem samtenen Dikator“. Was auch immer das bedeutet.

Bevor ich gehe und zusammenbreche – ich bin nämlich völlig erschlagen, schmutzig und müde – möchte ich den 13. Aban mit Rafsanjanis Super-Duper-Plan verknüpfen. Seit seiner Entstehung und der vermeintlichen Entspannung zwischen Rafsanjani und Khamenei ist dieser Plan von vielen im Iran als trügerische Hoffnung und als Trick des Obersten Führers angesehen worden, mit dem er Zeit schinden und möglichst viel Ablenkung erreichen wollte. Der 13. Aban war ein weiteres gebrochenes Versprechen, eine weitere Kehrtwende, ein weiterer verlöschender Hoffnungsschimmer. Wir stehen einem Regime gegenüber, in dem es für Reformen in der Praxis keinen Ansprechpartner gibt. Weder die Führungsfiguren der grünen Bewegung, noch Rafsanjani, noch die Marjas (hohen Geistlichen, d. Übers.) haben es geschafft, dem Obersten Führer Zugeständnisse von irgendeiner Bedeutung abzuringen. Immer wieder höre ich: „Was werden sie jetzt sagen? Schon wieder dasselbe?“ Der 13. Aban hat uns von den letzten Zweifeln befreit, dass es Khameneis Wille ist, die Opposition vollständig niederzuringen. Viele im Iran sehen in ihm einen Mann, der nicht verhandelt, und als den Täter, dem wir alles, was seit den Wahlen passiert ist, zu verdanken haben.

Die Luft in Teheran heute Nacht ist erfüllt von einem Summen. Es sind wütende Gespräche darüber, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Die Menschen verlieren die Geduld, und ich höre, wie man in die Sprache der Gegner verfällt. Ob das für uns ein gangbarer Weg ist oder nicht, wird die Zukunft zeigen, aber wir haben 1979 vor Augen. Wenn man uns die Hoffnung nimmt, wird es nicht lange dauern, bis Reformen einer gründlichen Instandsetzung weichen. Im Moment fragen sich viele, ob die Reformen in einer Sackgasse angekommen sind. Das Wort „Versöhnung“ klingt mittlerweile seltsam. Vielleicht ist es lediglich eine Reaktion auf einen Tag voller Brutalität in den Straßen, oder eine existenzielle Phase, die nach sechs Monaten des sich-im-Kreis-Drehens unvermeidbar ist. Eines jedoch ist klar. Ganz am Anfang forderte die Bewegung die Rückgabe ihrer Stimmen. Heute treten sie für eine „Iranische Republik“ den Führer mit Füßen. Vielleicht schafft er es, die Opposition zu vernichten, aber möge jemand seine Seele retten, wenn ihm das nicht gelingt.

Ich sehe euch! Was Iran mitbekommt

Original (Englisch): http://www.persianumpire.com/2009/09/29/i-see-you/
Übersetzung: Julia
Bei Weiterveröffentlichung bitte den Link zu diesem Post angeben.

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veröffentlicht am 29. September 2009 von persianumpire

Mehrere Leute haben mich in letzter Zeit gefragt, wie viel von dem, was außerhalb vor sich geht, im Iran wahrgenommen wird. Wenn ihr nicht direkt von mir gehört habt, nehmt dies bitte als meine Antwort.

Es ist eine schwierige Frage, aber ich will versuchen, sie bestmöglich zu beantworten: Wir sehen alles. Na ja, wahrscheinlich ein bisschen weniger, da nicht alles von allem, was überall passiert, von überall gesehen wird. Aber wir bekommen trotzdem ziemlich viel mit.

Dementsprechend führt uns das zu der Frage, wie gut diese Informationen innerhalb Irans verbreitet wird. Wenn man das gesamte Spektrum der iranischen Gesellschaft betrachtet, vom englischsprechenden Iraner mit Internetanschluss bis hin zu dem alten Bauern, der nicht einmal einen Zeitungskiosk zur Verfügung hat, können wir sehen, wie schwierig das zu beurteilen ist. Weitere Komplikationen entstehen, wenn man die Banbreite der Internet-User bedenkt – Schätzungen sprechen von gut 20 Millionen – die zwischen „Monster-Surfern“ und denen, die „gelegentlich virtuelle Post super finden“. Aber ich sollte die Frage beantworten.

In diesem Post müssen die Worte „wir“ und „alle“ auf die kleine Blase bezogen werden, in der ich lebe und die sich mit einigen anderen Blasen überschneidet, die wiederum hoffentlich weitere Blasen überschneiden. Es gibt also einen Wermutstropfen dabei, aber so funktioniert es:

Nachrichten von außerhalb erreichen uns hauptsächlich über Fernsehnetzwerke wie BBC Persian und VOAPNN sowie das Internet. Wir empfangen Fernsehsendungen über Satellitenschüsseln, und man kann ziemlich sicher sagen, dass die meisten Dächer in Teheran damit ausgestattet sind. Wenn man Teheran verlässt und in kleinere und abgelegenere Städte kommt, sieht man weniger davon, aber man sieht sie.

Auch wenn BBC Persian ein relativ neuer Dienst ist, scheint es mit besseren Programmen un besserer Berichterstattung das Publikum von VOA zu schlucken. Ab und zu schickt die Regierung ein paar Störsignale, was dann bedeutet, dass wir den Satellitenmann rufen, die Schüssel neu ausrichten und ein paar neue Codes in unsere Empfänger hauen müssen, und schon sind wir wieder im Geschäft.

Dann gibt es da das Internet. Die großen Medien sind im Internet natürlich auch vertreten, und wir besuchen sie, um die großen Nachrichten mitzukriegen, die es bis dahin schaffen. Wir wissen auch, dass sie die kleineren Sachen nicht bringen bzw. in die Fallen tappen, die sie von dem ablenken, was wir wichtig finden. Aber für die Farbnuancen und feineren Schattierungen, gute Analysen und Kommentare begeben wir uns in andere Ecken des Netzes.

Wir sehen eure Tweets, Bilder, Posts, das, was durchsickert, Facebook-Walls, Gerüchte, Artikel, Flames, Trolls, unterstützende Botschaften, Slogans, Kommentare, Witze, Videos und alles andere, was ihr macht. Nehmen wir Twitter, eine wichtige Quelle für uns besonders für neueste Schlagzeilen selbst über das, was im Iran passiert. Ein Beispiel: die Studentenproteste in dieser Woche. Für alle, die keinen Twitter-Account haben, gibt es Webseiten, die die öffentlichen Tweets von jedem Hashtag senden. Überraschenderweise werden manche dieser Seiten noch nicht gefiltert. In den Fällen, wo gefiltert wird, benutzen wir Proxies, um diese Informationen zu bekommen. Es gibt auch RSS-Feeds, die wir wir benutzen können, um über netzbasierte E-Mail-Dienste an unsere Nachrichten zu kommen und die Filter auf andere Weise zu umgehen. Es ist nicht möglich, uns zu blockieren, es sei denn, man unterbricht das ganze Internet, was die Regierung nicht ohne weiteres tun kann, weil einige wichtige Kommunikationswege wie z. B. Bankwesen davon abhängen. Wenn sie sich jemals entschließen sollten, das zu tun, wird dazu eine Reihe kritischer Überprüfungen und das Auslaufenlassen von Verbindungen in Wohngebieten erforderlich sein. Selbst in diesem Fall werden wir immer noch Internet und am Ende Ferneinwahl haben. Wenn ich 200$ pro Monat zahlen muss, um zu lesen, was ihr schreibt, dann ist es eben so.

Also, wie kann eine Minderheit, die sich durch die Ecken und Winkel des Internet arbeitet, die Mehrheit informieren? Informationen von Webseiten werden zuerst über Chats und E-Mail verbreitet, und dann tut die Mundpropaganda ihr Bestes. In den letzten drei Monaten drehten sich die Gespräche bei jedem Abendessen in jedem Haus wo ich war um Politik und die aktuelle Situation. Meine Taxifahrten und Besuche im Gemüseladen sind durchsetzt mit aktuellen Nachrichten und Politik. So lange die Ereignisse in jedermanns Bewusstsein sind, zirkulieren Nachrichten auf sehr effiziente Weise.

Außer durch Mundpropaganda werden Informationen auch in materieller Form durch dasn iranische Sneaker-Net verbreitet. Vermutlich tun sich nicht viele Leute das an, aber manche. Zum Beispiel weiß ich von ein paar jungen Leuten, die wichtige Nachrichten ausdrucken, Fotos und Videos auf CDs brennen, die man auf normalen CD-Geräten abspielen kann, und dies dann zu ihren Familien außerhalb Teherans bringen, wenn sie sie am Wochenende besuchen. Es ist wichtig, das Regime in seinem Versuch, die Realität zu verschleiern, zu entwaffnen.

Als aktuelles Beispiel haben wir gesehen, gehört und gelesen, wie entgegenkommend New York City Ahmadinejad bei seiner Reise behandelt hat, und wie wohl er sich dort gefühlt hat. Ich bedanke mich herzlich bei allen Beteiligten und wünschte, ihr würdet ihn dort behalten, da wir keine weitere Verwendung für ihn haben. Er wirkte auch ziemlich zufrieden damit, leere Reden in leeren Hallen zu halten.

Wo wir über Twitter sprechen – wahrscheinlich wisst ihr, dass wir hier im Iran einen ähnlichen Dienst haben. Ich habe schon einmal etwas darüber geschrieben. Eigentlich war dieser Dienst einmal dafür gedacht, Slogans zu verbreiten und die Regierung daran zu erinnern, dass wir noch da sind. Aber vor Kurzem haben manche damit begonnen, dieses Mittel in ein Nachrichtensystem zu verwandeln. Ich habe sogar schon Grüne Poesie darauf gesehen. Wir müssen uns auf wenige Buchstaben begrenzen, um das Wesentliche der Nachricht an unsere Leser weiterzugeben. Es ist billig, immer verfügbar und sehr effektiv. Das Einzige ist, dass wir uns mit den Tweets nicht identifizieren, und es gibt keine Garantie dafür, dass die User nur bestätigte Nachrichten drucken. Aber was macht das schon? Wir befinden uns in einem Informationskrieg. Dies hier:

wird in Kürze Informationen über den aktuellen Kauf von TCI durch die Revolutionsgarden enthalten und in anderer Leute Geldbörsen gesendet werden.

Es ist nicht zu vermeiden, dass manche im Dunkeln bleiben, aber ich kann sagen, dass ich oft überrascht war, wenn ich in Gesprächen mit zufälligen Gesprächspartnern nicht nur in Teheran, sondern auch an entfernteren Orten bemerkte, wie gut sie über die Ereignisse im Iran und auch außerhalb informiert sind. Ich habe viele getroffen, die danach fragen, was die Außenwelt über uns denkt, und ich merke, dass ich nur gute und ermutigende Geschichten weitergebe.

So neugierig ihr auf das seid, was wir tun, so neugierig sind wir, was ihr tut. Die Unterstützung war immens und hat viele überrascht. Das Gesicht eines Gärtners aufleuchten zu sehen, wenn er das Bild von schwedischen Polizisten mit einer iranischen Flagge am Handgelenk sieht, ist nicht zu bezahlen.

Blogeintrag: Abschiedsparty für Quds

Quelle (Englisch): http://www.persianumpire.com/2009/09/20/qods-farewell-party/
Selection 88 by P. Umpire
eingestellt am 20. September 2009
Übersetzung: Julia (mit freundlicher Genehmigung von / courtesy of persianumpire)

Freitag, 27 Shahrivar (18. September)
23:00 Uhr

Es war ein langer Tag. Ich bin müde und werde mich bald aufs Ohr legen. Hier sind meine Notizen, die ich später online stellen muss, weil das Internet fast stehengeblieben ist und die Proxies nicht funktionieren.

10:30 Uhr
Als wir die Modarres-Schnellstraße Richtung Haft-e Tir-Platz fuhren, wurde der Verkehr immer dichter – ein gutes Zeichen – und an der Abbas-Abad-Ausfahrt kam er zum Erliegen. Wir sahen einige Leute mit grünen Armbändern in ihren Autos, andere zeigten das V-Zeichen. Als wir näher kamen, wurde klar: Es ist Green Day, Tag der Grünen. Wir nahmen die Ausfahrt vor Haft-e Tir, parkten in einer Seitenstraße, holten unsere Armbänder hervor und gingen nach Süden Richtung KarimKhan Avenue, aus der ein dumpfes Grollen zu hören war.

11:00 Uhr
Ich verbürge mich für Haft-e Tir und Karim Khan-Straße. Dort war grün, nichts als grün, genauso voll wie am Mittwoch nach dem Wahltag, über und unter der Brücke. Der Zug hatte begonnen, und wir schlossen uns an. Während der ersten Minute waren alle in unserer Gruppe still und unterdrückten heimlich die Tränen.




Einige der Slogans des Tages waren:
“Nicht für Ghaza, nicht für Libanon, mein Leben für Iran“(Na Ghazze, na Lobnan, janam fadaye Iran.)
“Wir wollen keine Krokodilstränen, wir wollen keine Mesbah-Regierung“ (Ashke temsah nemikhaim, dolat-e Mesbah nemikhaim.)
“Basiji, schämt euch, gebt das Söldnerdasein auf“ (Baseeji, haya kon, mozdoori ro raha kon.)

Mitunter kamen wir an kleinen Gruppen von Sicherheitskräften vorbei, die abseits standen und die Prozession beobachteten.

Am Vali-Asr-Platz wurde die Menge sehr dicht, und der Zug blieb stehen. Es gab Regierungsleute, die Videoaufnahmen von den Menschen machten. Wir machten weiter mit den Slogans. Ein Mann mit einem „Tod Israel“-Schild kletterte auf den Flutlichtturm, von dem die Menschen zuvor ein riesiges Nasrallah-Poster entfernt hatten. Alle buhten.

Vali-Asr war völlig überlaufen mit Grünen, als sich von Süden her ein Lastwagen mit aufmontierten Lautsprechern näherte, begleitet von einer Entourage aus Regierungsanhängern mit Hisbollah-Fahnen und Anti-Israel-Plakaten, und sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Um besser durchzukommen, besprühten sie uns mit Tränengas. Genau weiß ich nicht, was es war. Es roch anders als Tränengas, mehr wie eine brennende Autokupplung, und es gab keinen Rauch. Ich fühlte nur ein scharfes Brennen in meiner Kehle, das sehr schnell heftiger wurde, und meine Augen tränten. Wir wurden zusammengedrängt, als das Auto die Menschen nordwärts auf die Vali-Asr-Straße schob.

Im Gefolge des Autos befand sich eine Prozession aus Regierungsanhängern, die sich irgendwann auf den Keshavarz-Boulevard nach Westen bewegte. Jetzt war ich mit einem Freund von unserer Gruppe getrennt. Sie waren vor den Regierungsdemonstranten auf die Keshavarz-Straße gegangen. Wir ruhten uns auf der Vali-Asr-Straße ein bisschen aus und beschlossen dann, durch Seitenstraßen nach Westen zu gehen, um vor die Regierungsdemonstration zu gelangen und die anderen aus unserer Gruppe vielleicht einzuholen. Als wir wieder auf dem Keshavarz-Boulevard waren, hatten sich die Gruppen vermischt. Die Regierungstreuen gingen in der Mitte, während die Grünen sich auf beiden Seiten bewegten, alle riefen einander Parolen zu. Die regierungstreue Prozession war von vorn und hinten und von den Seiten zwischen den Grünen eingeklemmt. Busse, die auf der Keshavarz-Straße parkten, wurden besprüht und zeigten sich in Grünen Parolen.

13:00 Uhr
Wir waren hinter der Palästina-Straße und sahen, dass Sicherheitskräfte den Weg nach Süden Richtung Enghelab-Avenue versperrten. Ahmadinejads Rede wurde über Lautsprecher übertragen, aber wir konnten ihn kaum verstehen. Es gelang mir, jemanden aus unserer Gruppe anzurufen, und er sagte, sie seien inzwischen in der 16-Azar-Avenue (in der Nähe der Tehran-Universität, wo das Freitagsgebet stattfand) und würden dort sitzen und Parolen rufen. Ich sagte, wir würden nicht zu ihnen stoßen, sondern stattdessen zurück zum Haft-e Tir gehen, da die Grünen sich mittlerweile auf der anderen Seite der Keshavarz-Straße in diese Richtung bewegten. Der Marsch setzte sich also wieder in Bewegung, alles war mittlerweile voll mit hupenden Autos.



13:30 Uhr
Wir sahen, wie sich in der Nähe des Vali-Asr-Platzes und den Kreuzungen südlich der Karim Khan Straße Sicherheitskräfte zu mobilisieren begannen. Ich versuchte, die Jungs hinter uns anzurufen, um sie zu warnen, dass etwas im Busch war, aber ich kam nicht durch. Wir gingen weiter Richtung Hafte-Tir, jetzt gab es hinter uns am Vali-Asr ein massives Sicherheitsaufgebot.

14:00 Uhr
Wir sahen Sicherheitskräfte auf jeder Straße südlich von Karim Khan, und zwischen der Brücke und Haft-e Tir wussten wir, dass es Zeit war, zu verschwinden. Auch andere rieten den Menschen, die Menge aufzulösen, denn es sah so aus, als würde es bald Zusammenstöße geben. Weiter oben begannen Motorradfahrer damit, die Menschen vor sich her zu treiben, und wir gingen nach Norden zur Sanaie-Straße. Auch die Basij-Söldner waren mittlerweile aufgetaucht.
Wir sahen eine riesige Rauchsäule in der Nähe vom Haft-e Tir-Platz, und ein Freund rief an, um zu sagen, dass Basiji und Polizei dort auf die Leute losgelassen worden seien. Der Rauch kam offenbar von den brennenden Kunststoffbarrieren auf dem Haft-e Tir. Er trieb nach Norden ab. Was wir dort zwischen Sanaie und Kheradmand taten, war ungefähr das Gleiche: Weglaufen von den Polizisten und den Basij und ihren Schlagstöcken ausweichen. Wir bekamen sogar etwas Wasser und einen Imbiss in einem armenischen Laden. Ein bisschen Luxus ist nicht verkehrt.

14:30 Uhr
Wir befanden uns in einer relativ ruhigen Straße, als ein Freund aus unserer Gruppe anrief. Er redete unzusammenhängend und war orientierungslos. Ich fragte, ob er geschlagen worden sei, und er sagte, man hätte ihn auf den Kopf geschlagen. „Blutest du?“ Er sagte, sei Knie würde bluten, aber das sei so ziemlich alles. Zuerst konnte er mir nicht sagen, wo er war, aber nachdem wir das herausbekommen hatten, sagte ich, er solle nach Westen gehen. Er stand neben sich und wusste nicht, wo Osten und wo Westen war, also sagte ich, er solle dort bleiben, wir wären auf dem Weg.

Wir benötigten fast eine Stunde und noch ein paar Anrufe, bis wir ihn fanden. Er bewegte sich ziellos umher, aus Angst, von den Sicherheitskräften gesichtet zu werden, und wir konnten den Weg nach Osten nicht abkürzen, weil viele Straßen blockiert waren. Als wir ihn endlich fanden, war er rot im Gesicht, seine Hose war an den Knien gerissen, und er hatte eine riesige Beule am Hinterkopf. Wir brachten ihn zum Auto, das etwa 20 Minuten entfernt war, aber wir hatten keine andere Wahl.

Das ist seine Geschichte:
Sie waren irgendwo am östlichen Ende der Karim Khan-Brücke in der Nähe des Etemaad-e Melli-Gebäudes angegriffen worden. Sie zerstreuten sich in verschiedene Richtungen, als ihm plötzlich einer der Bereitschaftspolizisten in den Weg sprang und ihm Tränengas ins Gesicht sprühte. Er rannte an ihm vorbei und bekam mit dem Knüppel, den der Sicherheitsmensch in der anderen Hand hielt, einen Schlag auf den Kopf. Er fiel in eine Straßenrinne, rappelte sich auf, wurde am Bein gepackt und umgedreht. Er hörte Frauenstimmen in der Nähe, die den Polizisten anschrieen, ihn loszulassen, was er endlich auch tat. Er kroch dann auf dem Gehsteig weiter, bis eine andere Frau ihn in ein Gebäude zog. Dort waren einige verletzte Menschen, und zwei normale Polizisten mittleren Dienstranges saßen dabei. Er dachte, das wäre das Ende; die Polizisten würden die Leute dort festhalten, um sie später wegzubringen. Es stellte sich heraus, dass die Beamten den Leuten halfen, sich nach ihren Verletzungen erkundigten und ihnen sagten, was sie tun sollten.

Als einer der Beamten eine Nachricht über sein Walkie-Talkie erhielt, sagte er seinem Vorgesetzten, dass er nicht gehen könne, weil er einen Stein gegen das Bein bekommen hätte und sich nicht bewegen könnte. Das war eine Lüge. Nachdem er sich vor einer Klimaanlage etwas ausgeruht hatte, ging mein Freund weiter und bewegte sich Richtung Norden von Karim Khan, bis wir ihn fanden. Als er hinausging, sagte einer der Polizisten zu ihm „Denk dran, wir haben niemanden geschlagen“.

15:30 Uh
Auf unserem Weg zum Auto riefen zwei andere aus unserer Gruppe an. Einer war mit einem Schlagstock auf die Schulter geschlagen worden, aber es ging ihm gut. Der andere war unverletzt und hatte sich in einem Haus in Sicherheit gebracht. In der Sanaie-Straße stießen wir zu ihnen. Obwohl es unserem verletzten Freund gut zu gehen schien, verbrachten wir den Nachmittag im Krankenhaus, um für alle Fälle ein CT machen zu lassen. Im Krankenhaus bestätigten sie uns, dass mit ihm alles in Ordnung war.

Unser Motto für heute war gewesen „Alles, nur keine Verhaftung“. Leichter gesagt als getan, denn in dieser Situation dort kann man sehr wenig machen. Unser Freund war gerade noch mal davongekommen und hatte Glück, dass die Frauen in der Nähe gewesen waren.

Im Rückblick, jetzt, wo ich weiß, dass niemandem etwas passiert ist, war der emotionalste Teil des Tages der Anfang, als unsere Angst vor einer geringen Beteiligung an den Demonstrationen schwand und wir den Grünen Ozean wieder sahen. Das allgemeine Gefühl ist Stolz – Stolz darauf, den Quds-Tag völlig verdorben zu haben. Das Wichtige ist, dass beide Lager auf den Straßen waren, als die Angriffe begannen. Die regierungstreuen Familien hatten die Gelegenheit zu sehen, wie andere heute auf der Straße behandelt werden.

(Thank you persianumpire)