Kouhyar Goudarzi: „Die iranische Zivilgesellschaft befindet sich in einem Zustand der Verzweiflung“

Kouhyar Goudarzi

Kouhyar Goudarzi

RFE/RL, 25. April 2013 – Der bekannte iranische Menschenrechtsaktivist Kouhyar Goudarzi – in seiner Heimat mit Studienverbot belegt, mehrfach inhaftiert und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt – war vor einiger Zeit aus Iran geflohen.

Während seiner Zeit im Gefängnis wurde Goudarzi – Mitglied und einstiger Leiter der Organisation „Committee of Human Rights Reporters“ – mit dem John Aubuchon Freedom of the Press Award 2010 geehrt. Die Auszeichnung wird alljährlich an Personen verliehen, die sich für Pressefreiheit und offene Regierungsformen einsetzen. Auch bei der gewaltsamen Niederschlagung der Massenproteste nach der Präsidentschaftswahl von 20o9 wurde Goudarzi wie viele andere verhaftet.

In einem aus der Türkei geführten Interview sprach Goudarzi mit Golnaz Esfandiari von RFE/RL über die Beweggründe, die ihn schließlich zur Flucht aus seinem Heimatland veranlassten.

RFE/RL: Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Iran zu verlassen?
Goudarzi: Ich hatte mit vielen Problemen und Einschränkungen zu kämpfen. Ich war im Gefängnis, meinetwegen wurden meine Freunde und meine Familie unter Druck gesetzt, und ich durfte nicht mehr an der Sharif-Universität studieren.

Hinzu kamen andere Gründe. Ich muss in einer akademischen Umgebung arbeiten, und es war sehr schwer für mich, in dieser Monotonie gefangen zu sein, die uns alle in Iran umgibt.

RFE/RL: Wie haben Sie das Land verlassen?
Goudarzi: Mit Hilfe von Menschenschmugglern. Ich brauchte etwa 8 Tage, um von Nordwestiran aus die Türkei zu erreichen. Es war eine sehr schwere Zeit.

RFE/RL: Wie viel Erfolg hatte die Kampagne der iranischen Regierung Ihrer Meinung damit, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen? Viele Aktivisten sind nach wie vor im Gefängnis, einige wurden gegen hohe Kautionen freigelassen, wieder andere waren so wie Sie gezwungen, das Land zu verlassen.
Goudarzi: Zu einem gewissen Grad stimmt das, glaube ich. Aber es ist (dem Establishment) nicht gelungen, alle Stimmen zum Schweigen zu bringen, denn es bedeutet nicht unbedingt eine Niederlage, wenn man von bestimmten Zuständen beeinträchtigt ist. Man erlebt gute Zeiten und schlechtere Zeiten, aber worauf es ankommt ist, dass der Prozess weitergeht und sich in Richtung einer Verbesserung bewegt.

Man muss aber einräumen, dass die Zivilgesellschaft [in Iran] sich aus vielerlei Gründen in einem Zustand der Verzweiflung befindet und dass es dem Establishment gelungen ist, Furcht und Angst zu verbreiten und mit seinen Maßnahmen Kritik zu ersticken… es hat im öffentlichen Bewusstsein die Idee verankern können, dass Kritik und ziviler Ungehorsam einen hohen Preis fordern.

RFE/RL: Sie haben für Ihr Engagement einen hohen Preis gezahlt. Sie wurden der Universität verwiesen, ins Gefängnis gesteckt, verprügelt, und, wie Sie gerade erwähnten, wurde auch Ihre Familie unter Druck gesetzt, vor allem Ihre Mutter, die mehrere Monate im Gefängnis saß.

Goudarzi: Ja, meine Mutter wurde letztes Jahr verhaftet, damit sollte der Druck auf mich erhöht werden. (Die Behörden) wollten mit der Verhaftung meiner Mutter außerdem von der Veröffentlichung von Informationen über die Lage der politischen Gefangenen abschrecken.

Als ich im Gefängnis war, gab meine Mutter zunächst viele Interviews, in denen sie über meine Haftbedingungen und meinen Hungerstreik berichtete. In gewisser Weise war sie damit zu einem Vorbild für die Familien anderer politischer Gefangener geworden, die ebenfalls über ihre inhaftierten Angehörigen berichteten und sich dafür stark machten, dass deren Rechte nicht verletzt werden.

Meine Mutter saß 8 Monate lang im Gefängnis Kerman (in Südostiran), davor wurde sie in der Haftanstalt des Geheimdienstministeriums festgehalten. Ein Gericht verurteilte sie wegen der Interviews, die sie gegeben hatte, zu 23 Monaten Gefängnis; die Interviews wurden als staatsfeindliche Propaganda eingestuft. Außerdem waren ihre Tagebucheinträge, in denen sie den obersten Führer Ayatollah Khamenei beleidigt habe, Grund für dieses Urteil. Sie hatten ihr Tagebuch an sich genommen, es gelesen und auf der Grundlage dieses Tagebuchs Anklage wegen Beleidigung des Führers erhoben.

RFE/RL: Wo ist Ihre Mutter jetzt? Ist sie noch in Iran?
Goudarzi: Meine Mutter ist in Kerman. Ihre Haftstrafe wurde in zweiter Instanz in eine Geldstrafe umgewandelt, und sie wurde freigelassen.

RFE/RL: Eine Frage zu den internationalen Sanktionen gegen Iran – Sie waren bis vor Kurzem in Iran und haben die Auswirkungen der Sanktionen und der Inflation auf das tägliche Leben miterlebt. Inwieweit macht die Bevölkerung die Regierung für die Schwierigkeiten verantwortlich, mit denen sie zu kämpfen haben, und in wieweit geben sie dafür den USA und den anderen Ländern die Schuld, die die Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms verhängt haben?
Goudarzi: Die Sanktionen machen sich in der Tat im Alltag der Iraner sehr bemerkbar. Die Lebensqualität iranischer Familien sinkt dramatisch. Sie müssen Grundbedürfnisse aufgeben, um die Erfüllung wichtigerer Bedürfnisse sicherstellen zu können. Wegen der Inflation verschlechtert sich die Situation von Tag zu Tag. Die Menschen haben immer mehr Schwierigkeiten, Nahrung, Wohnung, Transport und Gesundheit zu finanzieren.

Dass Menschen im Zusammenhang mit der derzeitigen Lage von Druck aus dem Ausland sprechen, habe ich nicht gehört. Die meisten beklagen die Unfähigkeit der Regierung, die Preise unter Kontrolle zu halten. Manche halten die Atomfrage für die Ursache des Problems. Interessanterweise konzentrieren sich die Menschen mit steigendem wirtschaftlichen Druck immer stärker auf die Sicherung ihres Lebensunterhalts, anstatt sich Fragen über die Politik zu stellen und ihre Unzufriedenheit zu äußern.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Radio Free Europe/Radio Liberty

4 Antworten zu “Kouhyar Goudarzi: „Die iranische Zivilgesellschaft befindet sich in einem Zustand der Verzweiflung“

  1. Thanks dear Julia
    That was very kind of you

  2. Pingback: Kouhyar Goudarzi: “Die iranische Zivilgesellschaft befindet sich in einem Zustand der Verzweiflung” | waltraudblog

  3. Pingback: News vom 26. April 2013 | Arshama3's Blog

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