Verhaftungswelle gegen Internetaktivisten in iranischen Provinzen gemeldet

Kalemeh, 25. Juni 2012 – Berichten zufolge hat [in Iran] eine neue Verhaftungswelle gegen Studenten [„Youth“] und Internetaktivisten begonnen. Verhörbeamte und Geheimdienst haben aus unbekannten Gründen offenbar alles versucht, um zu verhindern, dass diese Verhaftungen an die Öffentlichkeit gelangen.

Berichten der Webseite Kalemeh zufolge begann die Verhaftungswelle vor etwa einem Monat. Sie scheint viele Städte und Provinzen zu betreffen und sich auch gegen Jugendliche zu richten. Sämtliche dieser Verhaftungen erfolgten im Zusammenhang mit Internetaktivitäten oder „Blasphemie im Internet“.

Die Angehörigen der Verhafteten werden offenbar stark unter Druck gesetzt, damit sie die Verhaftungen nicht öffentlich machen. Die meisten der Verhafteten sollen im Hochsicherheitstrakt der Revolutionsgarden im Evin-Gefängnis festgehalten werden.

Die Verhaftungen begannen bereits am 23. Mai 2012. Bislang sind 20 Personen aus verschiedenen iranischen Provinzen unter den oben genannten Vorwürfen festgenommen worden.

Nach Angaben eines Kalemeh-Reporters erfolgten Festnahmen in Teheran, Ilam, Mashhad, Kermanshah, Rasht, Karaj, Zanjan und Khuzestan. Viele der Verhafteten wurden zunächst tagelang in ihrer Stadt festgehalten und erst später ins Teheraner Evin-Gefängnis gebracht.

Bei der Mehrzahl der Verhafteten handelt es sich um Studenten, die in ihren Wohnheimen festgenommen wurden. Darunter befinden sich auch Elitestudenten, Studenten, die ihre Prüfungen mit herausragenden Noten bestanden haben, sowie Teilnehmer an wissenschaftlichen Olympiaden mit Bestnoten.

Fast alle wurden bei Razzien in ihren Wohnungen nach 12 Uhr Mittags festgenommen, die Verhaftungen sollen von Beleidigungen und Erniedrigungen begleitet gewesen sein.

Den Berichten zufolge werden die Familien der Verhafteten von den Verhörbeamten ständig bedroht, damit sie die Verhaftungen nicht an die Öffentlichkeit bringen. Kontaktaufnahme zu den Medien werde den Verhafteten „weitere Probleme einhandeln“. Einigen Eltern soll angedroht worden sein, man werde ihren Kindern unmoralische Handlungen zur Last legen, sollten die Eltern mit den Medien über die Verhaftung ihrer Kinder sprechen.

Betroffen sind Angehöriger verschiedenster gesellschaftlicher Schichten. Der Vater eines Verhafteten ist Geistlicher, ein anderer ist Mitglied der Revolutionsgarden, ein weiterer ist Lehrer.

Die Verhafteten würden von den Verhörbeamten unter Druck gesetzt und sollten dazu gebracht werden, die Namen von Freunden zu verraten, die im Internet aktiv sind, heißt es.

Die Familien der Verhafteten haben auch nach einem Monat auf ihre Nachfragen keine Informationen erhalten. Der Status der Verhafteten und weitere Schritte, die die Familien unternehmen sollen, sind nicht bekannt.

Familien und nahestehende Personen vermuten unterdessen, dass die Verhaftungswelle Teil eines neuen Projekts der anonymen „Cyber-Armee“ sein könnte. Gerüchte über Aktivitäten einer solchen Gruppe gab es schon 2006, doch erst Monate nach der Präsidentschaftswahl von 2009 und in Reaktion auf die Massenproteste und Online-Aktivitäten im Zusammenhang damit trat die Cyber-Armee unter diesem Namen auf den Plan und hackte oppositionelle Seiten, mit klar erkennbarer Unterstützung der regierungseigenen Telekommunikations- und Geheimdiensteinrichtungen.

Ob und welche Verbindungen die sogenannte Cyber-Armee mit dem Zentrum zur Bekämpfung von Cyberkriminalität der Revolutionsgarden oder zu einer ähnlichen Gruppe im Geheimdienstministerium hat, ist noch nicht klar.

Es gab allerdings unzählige Gerüchte zum Thema. So behauptete die in den USA ansässige Institution für Militär und Sicherheit „Defense Tech“ im Jahr 2ooi, dass das Budget der Cyber-Armee 2009 78 Millionen Dollar betragen habe und die Cyber-Armee selbst 2400 Personen beschäftige und ca. 120 000 Personen in Reserve halte.

Andere glauben, dass die Cyber-Armee nicht existiert und dass Revolutionsgarden und Geheimdienste diesen Namen verwenden, um ihre eigenen geheimen Aktivitäten im Internet und ihren Missbrauch regierungseigener Einrichtung für die Unterdrückung und Unterwerfung der Opposition zu verdecken.

Der Gruppe werden u. a. die Überwachung und Kontrolle des E-Mail-Verkehrs und der Kommunikation von Internetaktivisten zugeschrieben.

Der Gruppe ist es allerdings bisher nur wenige Male gelungen, Webseiten zu hacken – vor allem wegen technischer Probleme. Weitere Aktivitäten dieser Gruppe sind bisher nicht entdeckt worden.

Die meisten der im Laufe der letzten 3 Jahre verhafteten Personen haben berichtet, dass ein Großteil der Informationen aus E-Mails und Informationsaustausch im Internet, die gegen die Verhafteten verwendet wurde, nicht der Arbeit des Geheimdienstes zu verdanken waren, sondern in den Verhören ermittelt wurde, die sich Passwörter sagen ließen, E-Mail-Konten sichteten und andere Gefangene verhörten. In vielen Fällen besaßen die Verhörbeamten nach Aussage der Gefangenen keine besonderen Informationen über den Inhalt von E-Mails, bevor sie die Passwörter herausgefunden hatten.

Im Herbst und Winter 2010 starteten die Revolutionsgarden ein Projekt zur Verhaftung bekannter Online-Aktivisten, die nur kurz inhaftiert waren. Die Vorwürfe kreisten den damals Verhafteten zufolge hauptsächlich um ihre Aktivitäten im Internet, insbesondere im sozialen Netzwerk Facebook.

Bei den Verhören behaupteten Befrager, die Cyber-Armee hätte die Verhafteten anhand ihrer Facebook-Aktivitäten identifiziert.

Nach ihrer Freilassung berichteten die Verhafteten, sie hätten in ihren Fallakten Ausdrucke ihrer Facebook-Einträge gesehen, die Grundlage für ihre Anklagen dienten. Bei vielen dieser Ausdrucke habe es sich um öffentliche Postings gehandelt.

Die Geheimdienstagenten der Regierung sollen im Internet sehr aktiv sein, oppositionelle („Grüne“) Seiten zu hacken versuchen und Aktivisten und Kritiker mit Computerviren zu attackieren. Die jüngsten Versuche, anhand der Online-Aktivitäten Personen aufzuspüren und ihre Aktivitäten als Verhaftungsgrund zu nutzen, könnte in das Muster dieser Gruppe passen.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/englische Übersetzung: Persian Banoo
Persisch: Kalameh

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