Protestbrief des inhaftierten Bloggers Hossein Ronaghi Maleki an Khamenei

Hossein Ronaghi Maleki

Kalemeh, 26. Mai 2012 – Der inhaftierte Menschenrechtsaktivist und Blogger Hossein Ronaghi Maleki hat in einem Brief an den obersten iranischen Führer Ayatollah Khamenei seinen Hungerstreik angekündigt.

Bei Maleki war in einem CT festgestellt worden, dass seine linke Niere nicht mehr funktioniert und entfernt werden muss. Seine rechte Niere ist ebenfalls nicht mehr voll funktionsfähig und wird komplett versagen, wenn er nicht sofort operiert wird.

Obwohl Ärzte eine Behandlung und Erholung außerhalb des Evin-Gefängnisses empfohlen hatten, verweigert der Geheimdienst der Revolutionsgarden weiterhin die Erteilung eines medizinischen Hafturlaubs für Maleki.

Es folgt die Übersetzung von Hossein Ronaghi Malekis Brief an Khamenei, wie er auf der Webseite Kalemeh veröffentlicht wurde.

Eure Exzellenz, Ayatollah Seyyed Ali Khamenei, Oberster Führer der Islamischen Republik,

Mit Respekt und Grüßen.

Wer auf das Wort hört (gut und gerecht) und dann dem Besten folgt, der wird von Gott geleitet und gehört zu denen, die verstehen.

Erlauben Sie mir, in Anbetracht Ihres vollen Terminkalenders ohne Umschweife zu beginnen und Sie an Ihre Rede zu erinnern, die Sie am ersten Tag des Jahres 1388 (März 2009) gehalten haben.

[Sie haben gesagt:] „Ich bin ein Unterstützer gerechter Handlungen. Ich sage, dass wir fair sein müssen. Lasst uns betrachten, was getan wurde. Es hat nichts mit der [Präsidentschafts-]Wahl zu tun, sondern es geht um Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Diejenigen zu unterstützen, die dem Land dienen, ist nicht nur meine Pflicht, sondern die Pflicht eines Jeden. Ich unterstütze und begrüße alle guten Taten, guten Handlungen, guten Fortschritte, diejenigen, die dem Volk dienen, den Bedürftigen helfen und Mitgefühl entgegenbringen und gegen Unrecht und Tyrannei aufstehen. Ich danke allen, die diese Taten vollbracht haben,  seien es Personen oder Regierungen. Dies ist meine Pflicht.“

Ganz sicher kann kein gerechter Mensch etwas gegen diese Worte einzuwenden haben. Doch entgegen der Richtlinien für Ihre Ansichten sind wir – ich selbst, Hossein Ronaghi Maleki, die anderen politischen Gefangenen und sogar die Führer der Grünen Bewegung, Herr Mir Hossein Moussavi, Hojatoleslam Mehdi Karroubi und Frau Zahra Rahnavard – eingesperrt und gefoltert worden, weil wir nach Freiheit und Gerechtigkeit streben und uns gegen Unterdrückung und Despotie stellen, und weil uns die Zukunft Irans am Herzen liegt.

Nicht nur, dass uns keinerlei Dankbarkeit bezeugt wurde: Wir bekamen sehr viel Undankbarkeit zurück.

Herr Oberster Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Khamenei,

Bestimmt erinnern Sie sich an die Worte Ayatollah Khomeinis, der betonte: „Es ist nicht zulässig, dass wir verstehen, aber nicht sprechen. Wenn wir verstehen, müssen wir sprechen. Dieser oder jener Anhänger ebenso wie dieser oder jener Dissident.“

Eure Exzellenz haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass „wenn Menschen wach sind und verstehen, wenn sie Zeichen übermäßigen Stolzes, von Arroganz und Selbstsucht bei den Herrschenden erkennen, sie wohlwollend protestieren müssen. Und wenn sie das Gefühl haben, dass der Herrscher nicht die Absicht hat, diese Krankheiten zu beseitigen, dann müssen sie aufstehen und Einspruch erheben. Damit werden diese Krankheiten ganz sicher geheilt.“

Die Realität ist, dass die meisten von uns nicht außerhalb dieser Richtlinien gehandelt haben. Darüber hinaus haben viele von uns geglaubt, dass das, was wir getan haben, über unsere nationale Pflicht, unsere Moral und unsere religiöse Verpflichtung hinaus geht.

Leider erleben wir in Iran heute nichts anderes als Despotie, Gesetzlosigkeit und Unterdrückung von Menschen, die Iran und die Freiheit lieben und die für ihre Rechte aufstehen, die, die einen Standpunkt des guten Willens eingenommen und gegen die existierende ungerechte Situation protestiert haben.

Eure Exzellenz, Ayatollah Khamenei,

Die Sicherheits- und Geheimdienstapparate sind der Meinung, dass sie uns mit Drohungen, Verhaftungen und dem Eindringen in die Privatsphäre unserer Wohnungen dazu zwingen können, uns ihren unrechtmäßigen Forderungen zu beugen.

Entgegen der Religion und dem Gesetz haben diese Sicherheitsapparate schutzlose Demonstranten angegriffen, sie gnadenlos zusammengeschlagen, hunderte von ihnen verhaftet, Dutzende getötet, und politische Aktivisten, bürgerliche Aktivisten, Kritiker und Dissidenten verhaftet und eingesperrt.

Sie haben die gesamte iranische Medienlandschaft offen und unverhohlen zensiert. Mit der vollständigen Kontrolle über (den nationalen Rundfunksender) Seda va Sima und alle anderen regierungstreuen Medien wurden Fakten verzerrt und glatte Lügen veröffentlicht.

Sie wissen sehr genau, wie man Dissidenten und Kritiker mit verschiedensten Foltermethoden in ein psychologisches und mentales Dilemma bringt. Dies geht so weit, dass selbst das Amt für Gefängnisse sich jetzt über die Willkür dieser Sicherheitsapparate beschwert.

Führer der Islamischen Republik,

Wir müssen einräumen, dass juristische Unabhängigkeit unter der Existenz so vieler Geheimdienst- und Sicherheitsinstitutionen nicht möglich ist.

Wir müssen uns eingestehen, dass die Gesellschaft auf eine riesige Explosion zusteuert und dass der momentane oberflächliche Frieden hauptsächlich einer Politik der Unterdrückung, Einschüchterung und Verhaftung geschuldet ist.

Wir müssen wissen, dass die Gedanken freiheitsliebender Menschen nicht in Ketten gelegt werden können! Ideologien können nicht gefoltert werden! Die Wahrheit kann nicht unterdrückt werden!

Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass die Unterdrückung der Bevölkerung dieses Landes mit jedem Tag unmenschlicher und zügelloser wird. Sie kennt keine Grenzen. Jeder kritische Akt, jedes kritische Wort wird mit Repression und Verhaftung beantwortet.

Wir müssen uns das Evin-Gefängnis vor Augen halten und uns der Worte Ayatollah Seyyed Hassan Tabatabaei Ghomi erinnern: „Ich weiß, dass die Gefängnisse dieses Landes mit politischen Gefangenen gefüllt sind. Doch die Verhaftung freiheitsliebender Menschen geht weiter.“

Wir müssen sehen und hören und, wie Ayatollah Khomeini, die Tatsache bestätigen, dass „einige Mitglieder der Pasdaran (Revolutionsgarden) in Teilen des Landes die Grenzen ihrer gesetzlichen Aufgaben überschreiten und sich auf unzulässige Weise in Angelegenheiten der Gerichte und anderer Institutionen einmischen. Es obliegt den Befehlshabern der Pasdaran im gesamten Land, im Falle solcher ungesetzlicher und unislamischer Handlungen einzuschreiten und sie zu stoppen.“

Eure Exzellenz, Ayatollah Khamenei,

Ebenso wie Sie angesichts der Ereignisse in den Wohnheimen der Teheran-Universität und im Gefängnis Kahrizak verstört waren und Untersuchungen anordneten, werden Sie hoffentlich aufmerksam auf meine schlimme Situation, den Status der politischen Gefangenen, unserer Familien, der illegalen Haftanstallten und die Art und Weise, wie sie geführt werden.

Ich protestiere gegen diese ungesetzlichen Praktiken, indem ich am 26. Mai 2012 in einen Hungerstreik trete. Es ist die Verantwortung der Offiziellen der Islamischen Republik, mein Leben zu schützen.

Mit meinem Hungerstreik trete ich ein:
– gegen den Missbrauch und die Einmischung in juristische Angelegenheiten durch den Geheimdienst der Sepah und das Geheimdienstministerium,
– gegen den Verlust der Unabhängigkeit der Judikative,
– für die Wiederherstellung der Verfassung, der juristischen Procedere, der juristischen Unabhängigkeit und
– für die Wiederherstellung der Rechte politischer Gefangener und ihrer Familien (wie z. B. Recht auf Hafturlaub, Telefonkontakt, Besuche etc.).

Ich bin der Überzeugung, dass jedes Schweigen gegenüber Unterdrückung und Unrecht ein Verrat am unschuldigen Blut der Märtyrer dieses Landes ist.

Ich glaube, dass mein Blut nicht mehr Wert ist als das Blut von Menschen wie Neda und Sohrab. Genausowenig ist das Leid meiner Eltern größer als das Leid ihrer Eltern. Wir alle wissen, dass diese Institutionen den Anstand und die Toleranz der politischen Gefangenen ausgebeutet haben.

Dieses Mal werde ich in Geduld zu meinem Vorhaben stehen. Vielleicht werde ich meinen Platz an der Seite des verstorbenen Hoda Saber finden, der sein Leben im Gefängnis verlor.

Ich zitiere den Propheten Mohammad: „Das Land und die Regierung werden unter Blasphemie überleben, doch wenn Unterdrückung herrscht, werden sie nicht von Dauer sein.“

Seyyed Hossein Ronaghi Maleki
Trakt 350 – Evin
26. Mai 2012

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/Englische Übersetzung: Persian Banoo
Persisch: Kalemeh

Siehe auch:
Ich bin politischer Pate von Hossein Ronaghi Maleki – Helft mit!
(Blog des Grünen-Abgeordneten Malte Spitz)

Dort wird auf eine aktuelle Eilaktion von Amnesty International verwiesen, die jede/r unterstützen kann. Danke!

4 Antworten zu “Protestbrief des inhaftierten Bloggers Hossein Ronaghi Maleki an Khamenei

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