Kurzmeldungen aus der iranischen Zivilgesellschaft – 14. Mai 2012

Arseh Sevom, 14. Mai 2012 – Journalisten protestieren gegen Schikane und Verhaftungen | Karrikatur mit ungeahnten Folgen | Wutausbruch gegen Journalisten im Parlament | Kofi Annan zeichnet iranische Karrikaturisten aus | Inhaftierter Student erklärt sich mit verbotenen Verlagen solidarisch | Moralpolizei Nr. 1: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte | Moralpolizei, Nr. 2: Arbeit geht „mit voller Kraft“ weiter | Kommunikationsminister will E-Mails nationalisieren | Kopfgeld für einen Rapper | Evin soll ein Park werden | Todesurteil gegen Web-Entwickler wird geprüft | Geschlechtertrennung an Universitäten geht voran | Studentinnen werden per SMS überwacht | Amnesty International ruft zur Unterstützung inhaftierter iranischer Gewerkschafter auf | Umweltschützer rettet PurpurreiherJournalisten protestieren gegen Schikane und Verhaftungen
126 Journalisten haben in einem Brief an den iranischen Justizchef und den Sprecher des iranischen Parlaments gegen die Inhaftierung von Journalisten protestiert. Sie schreiben:

„Während die Person hinter dem illegalen Gefängnis Kahrizak [i. e. Saeed Mortazavi, gegen den im Zusammenhang mit den Skandalen von Kahrizak derzeit ermittelt wird und der kürzlich zum Chef des Sozialen Sicherungsfonds ernannt wurde]  gefördert wird und während gegenüber den Kräften unter Ihrem Kommando beide Augen zugedrückt werden, wird ein Journalist nach dem anderen verhaftet und verbal und körperlich misshandelt.“

Karrikatur mit ungeahnten Folgen
Ein iranischer Parlamentarier rückten letzte Woche in den Mittelpunkt: Der Karrikaturist Mahmoud Shokrayi aus Arak wurde zu 25 Peitschenhieben verurteilt, weil er seinen örtlichen Abgeordneten Ahmad Lotfi im Fußballtrikot dargestellt hatte. Die im Wochenmagazin  Name-ye Amir veröffentlichte Zeichnung löste in Iran und außerhalb eine Welle des Unmuts aus. Der im Exil lebende Karrikaturist Mana Neyestani rief seine Kollegen daraufhin auf, weitere Karrikaturen des Abgeordneten zu zeichnen. Viele Zeichner beteiligten sich. Auch Amnesty International kritisierte  das Urteil und forderte dessen Rücknahme:

„Das brutale Urteil gegen Mahmoud Shokrayi, begründet einzig und allein durch eine harmlose Karrikatur, ist eine erschreckende Botschaft an die Adresse aller Iraner, dass sie ihre Ansichten nicht frei äußern können, ohne harte Reaktionen der iranischen Behörden befürchten zu müssen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die gnadenlose Verfolgung der Ausdrucksfreiheit durch die iranische Obrigkeit…“

Der Abgeordnete hat seine Anzeige gegen den Zeichner inzwischen zurückgezogen.

Wutausbruch gegen Journalisten im Parlament
Der Abgeordnete Mehdi Koochakzadeh ist gegen einen Journalisten, der ihn interviewen wollte, ausfällig geworden.
Berichten zufolge verlor Kouchakzadeh die Beherrschung, als der Journalist den Namen “Saeed Mortazavi” erwähnte und den Abgeordneten dafür kritisierte, dass er nicht verhindert hat, dass der „Schlächter der Presse“ an die Spitze der größten Finanzholding Irans – des Sozialen Sicherungsfonds (Sazman-e Tamin-e Ejtemaie) – befördert wurde.

Kofi Annan zeichnet iranische Karrikaturisten aus
Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan hat Anfang des Monats vier iranische Karrikaturisten mit dem „Ersten internationalen Karrikaturenpreis“ ausgezeichnet. Die Preisträger sind Firoozeh Mozaffari, Hassan Karimzadeh, Mana Neyestani und Kianoosh Ramezani.

Inhaftierter Student erklärt sich mit verbotenen Verlagen solidarisch
Vergangene Woche hat der inhaftierte studentische Aktivist Majid Dorri aus dem Gefängnis heraus in einem offenen Brief Unterstützung für Verlage gefordert, die bei der Internationalen Teheraner Buchmesse verboten wurden.

Der Gewissensgefangene, der seit über 1000 Tagen im Gefängnis sitzt, schreibt:

„Es ist jetzt drei Jahre her, seit ich das letzte Mal an der Buchmesse teilnehmen konnte. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätten meine Freunde und ich das jährliche Ereignis am Stand von Cheshmeh Publications oder eines der anderen vier verbotenen Verlage gefeiert. Dieser Tage habe ich weniger Bedarf, Bücher zu kaufen, aber ich lege Geld zurück, um mir später Bücher dieser Verlage kaufen zu können.“

Moralpolizei, Nr. 1: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte
Auf sozialen Medien macht ein Foto von einer jungen Frau die Runde, die in einen Kleinbus der Moralpolizei (gasht-e ershad) gezerrt wird, weil sie „unislamisch“ gekleidet war. Die iranische oppositionelle Gruppe „25. Bahman“ (benannt nach einem Demonstrationsdatum) untertitelte das Foto mit den Worten: „Ein Bild von der diesjährigen Buchmesse. Lasst uns als Bürger reagieren und zu derartigen hässlichen und unmenschlichen Vorkommnissen nicht schweigen. Mit Sicherheit wird uns Derartiges auch morgen erwarten.“

Moralpolizei, Nr. 2: Arbeit geht „mit voller Kraft“ weiter
Der Sommer naht, und in Teheran nähern sich die Temperaturen bereits der 30°-Marke.  Mancherorts ist es sogar noch heißer.
Der Führer der Islamischen Republik, Ayatollah Khamenei, hat erneut davor gewarnt, die islamische Kleiderordnung zu missachten.
Der Chef der Moralpolizei kündigte daraufhin an, dass der Plan für moralische Sicherheit dieses Jahr mit vollem Einsatz durchgesetzt werden soll. Brigadier Roozbehani erklärte, für den „Kampf gegen unmoralische Kleidung“ seien „26 Ministerien und Regierungsorganisationen“ mobilisiert worden.

Kommunikationsminister will E-Mails nationalisieren
Die Nachrichtenagentur Mehr News hat einen Bericht des Ministers für Kommunikation und Internet Reza Taghipour veröffentlicht. Darin werden alle mit der Islamischen Republik verbundenen Institutionen angewiesen, künftig keine ausländischen E-Mail-Dienste wie Yahoo, Gmail, Hotmail oder MSN zu verwenden, sondern aus Sicherheits- und Datenschutzgründen nur noch inländische E-Mail-Provider zu nutzen. Außerdem müssen nach dem Dekret des Ministers alle offiziellen Web-Hosting- und Internetadressen sowie Domain-Namen bei www.nic.ir registriert sein.

Kopfgeld für einen Rapper
Der in Deutschland lebende regimekritische Rapper Shahin Najafi hat vor Kurzem ein Album herausgebracht, das unter Iranern in aller Welt heftige Kontroversen auslöste. Auf dem Cover ist die Kuppel eines Schreins abgebildet, die die Form einer weiblichen Brust hat und von einer Regenbogenflagge gekrönt ist. Der Titelsong “Naghi” – benannt nach dem 10. Imam der Schiiten – hat Najafi Todfeinde beschert. Andere loben den außerordentlichen Mut, mit dem Najafi in einer restriktiven Gesellschaft Tabus bricht.

Die Webseite www.shia-online.ir teilt mit, dass ein reicher Spender aus einem Land am Persischen Golf demjenigen 100.000 Dollar zahlen will, der es schafft, Shahin Najafi für seine „Ketzerei“ zu töten.

Auf Arshama3’s Blog gibt es eine interessante Zusammenfassung des Falls (auf Deutsch).

Die Webseite Digarban berichtet unterdessen, dass die Drohungen gegen Najafi nicht, wie zunächst berichtet, auf einer gezielt gegen den Rapper gerichteten Fatwa beruhen, sondern auf einer von den Revolutionsgarden initiierten Kampagne .

Evin soll ein Park werden
Der Teheraner Bürgermeister Mohamad Bagher Ghalibaf hat mitgeteilt, dass das Evin-Gefängnis  zu einen Park umgebaut werden soll. Als Ersatz soll ein neues Gefängnis außerhalb von Teheran errichtet werden.

Todesurteil gegen Webentwickler wird geprüft
Das Todesurteil gegen den iranischen Internetaktivisten Vahid Asghari soll Berichten zufolge vom Obersten Justizrat zur Prüfung an die Gerichte zurückgegeben worden sein. Der Web-Entwickler war 2008 verhaftet und der Spionage bezichtigt worden. In einem 2009 verfassten Brief schreibt er:

“Angeblich soll ich aus dem Ausland Geld für Google-Anzeigen erhalten haben, die auf von mir betriebenen Webseiten erschienen. Mir wird vorgeworfen, durch den Inhalt dieser Anzeigen die schiitischen Imame und den Propheten beleidigt zu haben. Außerdem wurde ich gezwungen auszusagen, dass Hossein Derakhshan als Doppelagent für das iranische Geheimdienstministerium und den CIA tätig war.”

Geschlechtertrennung an Universitäten geht voran
Nach Berichten der Zeitung Shargh ist der Prozess der Geschlechtertrennung an iranischen Universitäten in vollem Gange. Pionierin ist die größte Universität für Sozialwissenschaften, Allameh Tabatabaei. „Derzeit gibt es an der Allameh-Tabatabaei-Universität über 350 eingeschlechtliche Lehrveranstaltungen, davon 263 für Frauen und 87 für Männer“, heißt es in dem Bericht.

Studentinnen per SMS überwacht
Studentinnen, die beim Verlassen [oder Betreten, d. Übers.] des Studentinnen-Wohnheims ihren Ausweis elektronisch einlesen, lösen damit eine automatische SMS an „den Vater der Familie“ aus. Die Teheraner Zeitung Hamshahri zitiert den Dekan der Freien Universität Boroujerd mit den Worten: „Die SMS werden in Echtzeit versendet, sobald die Studentinnen mit ihren elektronischen Karten ihr Wohnheim betreten.“

Amnesty International ruft zur Unterstützung inhaftierter iranischer Gewerkschafter auf
Amnesty International hat letzte Woche in einer Erklärung zu der gegen den iranischen Gewerkschafter Reza Shahabi verhängten Haftstrafe Stellung genommen und erklärt, das Urteil basiere auf „vage formulierten Vorwürfen“.

Auszug:

Reza Shahabi […], der Schatzmeister der Teheraner Busfahrer-Gewerkschaft (Sherkat-e Vahed), ist seit Juni 2010 im Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Infolge mehrerer Hungerstreiks, die er aus Protest gegen seine Haftbedingungen unternahm, ist er in einem schlechten Gesundheitszustand. Seit Februar 2012 klagt er über Taubheit in einer Hälfte seines Körpers. Doch erst am 30. April ließ die Gefängnisverwaltung ihn in ein Krankenhaus einliefern. Es ist nicht bekannt, ob er zur Zeit angemessene medizinische Behandlung erfährt.
Reza Shahabi ist wegen „Versammlung und Verdunkelung gegen die Staatssicherheit“ zu fünf Jahren und wegen „systemfeindlicher Propaganda“ zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden.

Amnesty International erwähnt zwei weitere iranische Gewerkschafter, die wegen ähnlicher Vorwürfe verhaftet wurden: Zabihollah Bagheri und Ebrahim Madadi. Mit einer Briefaktion wird ihre Freilassung gefordert.

Umweltschützer in Qom rettet Purpurreiher 

Die Webseite des iranischen Umweltministeriums berichtet von einer Rettungsaktion für einen Purpurreiher (Ardea purpurea), die von einem Umweltaktivisten in der Stadt Qom initiiert wurde. Der 80 cm große Vogel war in einem schlechten Zustand in der Nähe eines Teichs am Rande der zentraliranischen Stadt gefunden worden. Der Vogel konnte aufgepäppelt und wieder in seinen natürlichen Lebensraum entlassen werden.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Arseh Sevom

3 Antworten zu “Kurzmeldungen aus der iranischen Zivilgesellschaft – 14. Mai 2012

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