„Wir werden euer Land niemals bombardieren“ – iranisch-israelischer Frieden im Netz

Tehran Bureau, 20. März 2012 – Von Neri Zilber – Da ist Ronny Edri, ein israelischer Grafikdesigner, Ehemann, Vater zweier Kinder und seit einigen Tagen Freund es iranischen Volkes. Edry, 41, und seine 35jährige Frau Michal Tamir, sind die Verantwortlichen hinter der jüngsten Online-Initiative mit dem einfachen Titel „Iraner, wir lieben euch„.

Ende vergangener Woche erstellte Ronny ein digitales Poster mit dieser Botschaft und setzte hinzu: „Wir werden euer Land niemals bombardieren“. Im Hintergrund ist Ronny mit seiner fünfjährigen Tochter Ella auf dem Arm zu sehen, die eine kleine israelische Flagge in der Hand hält. Das Poster veröffentlichte Ronny auf der Facebook-Seite der Designschule Pushpin Mehina, die er mit seiner Frau zusammen in Tel Aviv leitet.

Während das „unreflektierte Gerede“ über einen Krieg zwischen Israel und Iran zunimmt, trifft das Poster bei den Israelis einen Nerv. Viele schickten ihre eigenen Fotos ein und kreierten ihre eigenen Poster, die sie dann auf Facebook veröffentlichten. Es regnete Botschaften der Unterstützung. Und schließlich reagierten die Iraner selbst: Erst kamen persönliche Botschaften an Ronny und Michal, später schickten Iraner eigene Poster mit Worten des Friedens und der Sympathie für die Israelis.

Es ist unmöglich, die vielen hundert auf Facebook veröffentlichten Poster und die tausenden Botschaften zu zählen, die zwischen Israelis und Iranern in den letzten Tagen hin- und hergingen. Als ich am vergangenen Wochenende auf mit dem Paar zusammensaß, strömten Botschaften und Freundschaftsanfragen aus aller Welt in ihr Postfach, Dutzende pro Stunde.

„Es ist eine Botschaft von den Menschen an die Menschen“, erklärte Ronny mir. „Wir wollen keinen Krieg. Egal, was die Regierungen sagen, auf beiden Seiten, wir sind dagegen, denn wir werden diejenigen sein, die den Krieg ausfechten müssen… Ich halte es für wichtig, dass wir unsere Stimme erheben.“

Seine Stimme zu erheben ist heutzutage einfach, vor allem mit Hilfe der sozialen Medien. „Wir können die Zwischenhändler unterbieten [„we can undercut the middleman“], die Politiker“, so Ronny. „Ich wende mich nicht an Ahmadinejad. Heute können wir Iran erreichen, und Iran uns.“

Dennoch sind Michal und Ronny überrascht von dem Tempo, in dem ihre Botschaft die „andere Seite“ erreichte. Michal nennt es den Fall der zweiten Berliner Mauer. „Wir reißen Grenzen und Denkweisen ein und brechen aus diesem Käfig namens Israel aus“, sagt Michal und fügt hinzu: „Wir können nicht wirklich nach Iran reisen, aber unsere Botschaft der Liebe ist dort angekommen, schneller als jeder Botschafter.“

„Ich habe jetzt hunderte iranischer Freunde auf Facebook“, sagt Ronny mit einem Lächeln. „Wahrscheinlich bin ich der Israeli mit den meisten iranischen Freunden.“ Vor allem am ersten Tag gab es von anderen Israelis skeptische, teilweise auch vernichtende Kommentare.  Man bezeichnete das Paar als Linke mit blutenden Herzen, Tel-Aviver mit Realitätsverlust, Feindesfreunde, Israel-Hasser. Andere kritisierten die Wortwahl.

„Sie fragten uns, warum wir uns für die Formulierung ‚wir werden euch niemals bombardieren‘ entschieden haben. Die logische Antwort auf diese Frage wäre: ‚Wir wollen euch nicht bombardieren, aber wir müssen'“, erläutert Ronny. „Ich will nicht mit Halbheiten aufwarten. Ich bin nicht der Ministerpräsident. Ich bin kein Politiker. Ich als Bürger werde niemals die Iraner bombardieren.“

Die direkte Botschaft der Liebe auf den Plakaten hingegen ist gezielt. Ronny und Michal wissen, dass der erste Schritt zum Krieg die Dämonisierung und Entmenschlichung der anderen Seite ist. „Die Botschaft lautet, dass Menschen einander als Menschen lieben“, erklärt Michal. „Die Iraner sehen all diese israelischen Gesichter und sagen sich: ‚So sieht also ein Israeli aus!'“

„Jeder ist gegen den Krieg und für den Frieden“, sagen Ronny und Michal. „Es ist viel schwerer, zu sagen ‚Ich liebe dich‘. Man muss darüber einmal nachdenken – es ist das Schwerste überhaupt für einen Menschen, diese Worte zu sagen. Man hat Angst vor Zurückweisung, man hat Angst, wie ein Dummkopf dazustehen. Aber sie lieben uns auch, wirklich.“

Der Brief, den Ronny seinem ersten Online-Poster anfügte, vermittelt eine einfache und kraftvolle Idee: „Damit es zwischen uns zu einem Krieg kommen kann, müssen wir uns zuerst voreinander fürchten. Wir müssen hassen. Ich fürchte mich nicht vor euch, ich hasse euch nicht. Ich kenne euch nicht einmal. Kein Iraner hat mir jemals etwas zuleide getan. Ich habe noch nie einen Iraner getroffen, nur einmal in einem Museum in Paris – ein netter Kerl.“

Spät in der ersten Nacht, nachdem die ersten Poster sich auf Facebook zu verbreiten begonnen hatten, bekam Ronny die erste Reaktion eines Iraners. Er habe eine Gänsehaut bekommen und sei fast in Tränen ausgebrochen, sagt Ronny. „Ich habe sofort Michal geweckt, um ihr das zu zeigen. Ich fand es dermaßen erstaunlich – ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich andere Leute anschließen würden.“

Es ist untertrieben zu sagen, dass andere Iraner sich anschlossen. Die Botschaften, die in Israel eintrafen und die Ronny und Michal auf der Webseite von Pushpin Mehina veröffentlichen, sind bemerkenswert in ihrer einfachen Menschlichkeit. Ob aus Toronto, New York, Sydney, Teheran oder sonstwoher – ausnahmslos jede Botschaft kommt von Herzen und berührt.

„Ich bin Iranerin. Ich habe eben eure warmherzige und schöne Botschaft an meine Landsleute gesehen. Beim Lesen stiegen mir die Tränen in die Augen, und mir wurde warm ums Herz. Ich möchte euch versichern, dass wir alle in Iran genauso fühlen. Wir wünschen uns Frieden und Schönheit auf Erden, wir verabscheuen den Krieg und das Töten, wir sind alle Teile eines einzigen Körpers.“

„Eine Freundin hat eure Botschaft bei Facebook weiterveröffentlicht, und sie hat meinen Tag gerettet! Ich als Iraner/in habe seit meiner Kindheit ein finsteres, böses Bild von Israel vermittelt bekommen, und ich vermute, dass es euch in Israel ähnlich ging… Wir alle sind Opfer unserer Regierungen. Wir alle sind Menschen, die nach einem besseren Leben streben und versuchen, eine bessere Welt aufzubauen.“

„Ich möchte, dass ihr wisst, dass eure Botschaft der Liebe und des Friedens angekommen ist. Beim Betrachten all der Fotos auf eurer Seite stiegen mir die Tränen in die Augen. Lasst uns nicht zulassen, dass unsere Regierungen uns davon abhalten, einander kennenzulernen. Ich träume von dem Tag, dass ihr und wir uns in Tel Aviv oder Teheran treffen und all das nachholen können, das so lange zurückgehalten wurde. Ich glaube aufrichtig daran, dass dieser Tag kommen wird. Ich sage der Bevölkerung Israels: WIR LIEBEN EUCH AUCH!“

Ronny und Michal sind sich der Risiken bewusst, die ihre neuen iranischen Freunde eingehen. Das Paar hat viele Botschaften enthalten, in denen beschrieben wird, welche politischen und sicherheitsrelevanten Gefahren die Kommunikation mit Israelis für Iraner bedeutet, vor allem, wenn diese in Iran leben.

Die Mehrheit der Korrespondenz kommt zwar von Iranern im Exil, was auch nicht ungefährlich ist, doch es gibt auch Botschaften von Iranern in Iran. Dass viele Iraner die Initiative unter großen persönlichen Risiken aufgreifen, erhöht die Motivation für Michal, Ronny und den Israelis auf der anderen Seite noch – die Motivation, sich zu äußern, die Botschaft weiter zu verbreiten.

Während dieser Artikel geschrieben wird, explodiert die Kampagne auf Facebook und im ganzen Internet. Der nächste Schritt des Paars wird es sein, Geld zu sammeln, um für ihre Poster Werbeflächen bei bekannten internationalen Zeitungen und an öffentlichen Plätzen zu finanzieren.

Ob die Kampagne wirklich etwas verändern oder gar einen desaströsen Krieg verhindern kann, lässt sich nicht sagen. Doch Ronny, Michal und die tausenden Israelis und Iraner, die diese Botschaft gegenseitiger Sympathie und gemeinschaftlicher Menschlichkeit verbreiten, haben die Gewissheit, dass sie es zumindest versucht haben.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle: Tehran Bureau

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