Navid Khanjani – Als Kind „unrein“, als junger Mann ein Gefangenen der Revolutionsgarden

Navid Khanjani

Persian2English, 14. Januar 2012 – Dies ist die Übersetzung einer Notiz von Navid Khanjani. Khanjani ist Mitglied in zwei iranischen Menschenrechtsorganisationen. Er wurde am 2. März 2010 in seiner Wohnung in Isfahan verhaftet und ins Teheraner Evin-Gefängnis gebracht. Er war bis zum 3. Mai 2010 inhaftiert und wurde am 31. Januar 2011 zu 12 Jahren Haft verurteilt.  Amnesty International zufolge hat Navid „gegen das Urteil Berufung eingelegt, es wurde jedoch bisher kein Gerichtstermin festgesetzt. Im Falle einer Inhaftierung wäre er ein Gewissensgefangener, der ausschließlich wegen seines friedlichen Engagements für die Menschenrechte festgehalten wird.“

Als Kind „unrein“, als junger Mann Gefangenen der Revolutionsgarden
Ich erinnere mich an meine Kindheit, in der meine Familie in ständiger Angst vor unseren muslimischen Nachbarn lebte. Die Erwachsenen sagten, dass die extremistischen muslimischen Nachbarn auf dem Höhepunkt der Revolution (von 1979) auf ihre Dächer stiegen und in in den Belüftungskanal „Allah-o Akbar“ („Gott ist groß“) riefen.

Immer, wenn ich in meiner Kindheit auf die Straße ging, fürchtete ich mich vor den Menschen und der islamischen Stadt. Ich war erfüllt von Unsicherheit und fühlte mich wie ein Fremder. Als ich kaum sieben Jahre alt und gerade eingeschult worden war, musste ich verschweigen, dass meine Familie nicht muslimisch ist. Niemand durfte wissen, dass wir Baha’is waren.

Ich weiß noch, dass meine Mutter immer in meine Schule kam und mit dem Direktor, dem stellvertretenden Direktor und den Lehrern sprach. Meine Mutter geriet immer mit den Schuloffiziellen aneinander, wenn Gebetszeit war. Dass man mich, ein siebenjähriges Kind, dazu zwang, an den Gebeten teilzunehmen, empfand meine Familie als Problem. Ich konnte diese Dinge damals noch nicht verstehen. Ich bekam nur mit, dass die Luft vom Geruch verschwitzter Füße  erfüllt war und dass die Leute sich im Gänsemarsch aufreihten, sich verbeugten und wieder aufrichteten. Ich machte es wie sie, um nicht aufzufallen und nicht bestraft zu werden.

In meinem kindlichen Bewusstsein, und um den Hass und die Ablehnung des Direktors, seines Stellvertreters und der Lehrer zu mildern, versuchte ich damals, mir Koranverse einzuprägen und sie mit noch schönerer Stimme zu rezitieren als der, der ganz vorn stand. Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich darüber nur bitter lächeln.

Als das vorbei war, kam ich auf die Mittelschule. Schnell merkte ich, dass nicht meine Noten das Problem waren, sondern die Frage der Religion und die Tatsache, dass ich kein Muslim bin. Entweder lehnten die Schulen mich ab, oder sie stellten viele Bedingungen, damit es aussah, als täten sie mir einen riesigen Gefallen damit, mich aufzunehmen.

Ich war 13, als ich begann, die Welt um mich herum zu erforschen. In dieser Zeit machte ich Bekanntschaft mit dem Koran und dem Lehrer für „islamische Bildung und Pflege“. Während des Unterrichts schickte der Lehrer mich manchmal vor die Tür. Ich weiß noch, dass er die Schüler um sich versammelte und zu ihnen sprach. Ich sollte nicht dabei sein. Danach schauten mich meine Mitschüler anders an als vorher.

Wenn wir mit der Klasse Ausflüge machten, fuhren wir normalerweise nicht mit dem Bus, sondern mit mehreren Autos, weil wir nicht viele waren. Ich wurde immer angewiesen, mit dem Lehrer für „Islamische Bildung und Pflege“ in einem Auto zu fahren. Aber wenn ich zu ihm ins Auto steigen wollte, sagte er zu mir „Du hast kein Recht, in meinem Auto zu sitzen. Du bist unrein, du wirst das Auto verunreinigen. Du bist schmutzig!“ Dann schlug er mir die Tür vor der Nase zu, und ich musste in der Schule bleiben und auf die Rückkehr meiner Klassenkameraden warten.

Interessanterweise traute ich mich damals nicht, mit meiner Familie über die Schikanen zu sprechen. Vielleicht behielt ich diese Dinge instinktiv für mich. Aber nachdem mein Lehrer mich vor den anderen Schülern schmutzig und unrein genannt hatte, begann ich, mir jeden Tag heimlich das Gesicht 30 Mal mit Seife zu waschen. Damals dachte ich, dass mein Lehrer nicht falsch gelegen haben konnte und irgendetwas Bestimmtes wusste. Ich dachte, ich müsste den Schmutz abwaschen.

Auf der Mittelschule, inmitten der Verachtung und Schikane meiner Lehrer, erlebte ich gleichzeitig auch den ungeheuren Respekt anderer Lehrer gegenüber mir und meiner Familie. Der Geschichtslehrer mit dem deformierten Gesicht zum Beispiel, der meinen Onkel kannte. Später erfuhr ich, dass seine Gesichtsverletzung von der Folter herrührte, die er als politischer Gefangener in den 1980er Jahren durchgemacht hatte. Er erwies meinem Onkel indirekt die Ehre. Ich war damals aber noch zu jung, um diese Zeichen von Respekt oder Schikane zu verstehen.

Als ich auf das Gymnasium kam, veränderte sich alles. Das Gefühl des Patriotismus und der Liebe zu den Menschen und revolutionären Persönlichkeiten wurde abgelöst von Demütigung. Ich nutzte jede Gelegenheit, um mich mit Geschichte und Politik zu beschäftigen. Es gab eine Bibliothek, in die ich mich oft zurückzog und in Bücher vertiefte. In dieser Zeit hörte ich vom Studentenaufstand vom Juli 1999 und bekam mit, wie Lehrer für bessere Bezahlung und mehr Rechte streikten. Allmählich merkte ich, dass ich nicht allein war. Es wurde offensichtlich, dass es noch mehr Menschen gab, die diskriminiert wurden und gegen Ungleichbehandlung kämpften.

Auch wenn mir allmählich klar wurde, worum es bei all diesen Konflikten ging, beschäftigten sie mich nicht sehr. Alles, was ich wollte, war lernen und an die Uni gehen. Aber ich bekam immer wieder zu hören, dass ich niemals an die Universität gehen könne, selbst wenn man mich dort annehmen würde. Seit 25 Jahren ist keiner von uns (der Baha’i-Gemeinschaft) mehr an einer Universität gewesen. Nach der Revolution von 1979 und der Kulturrevolution darf man als Baha’i nicht mehr an einer Universität studieren. Wenn ein Baha’i studieren will, muss er dies an einer der Untergrund-Universitäten der Baha’i tun.

Ich werde mich kurz fassen. Ich machte die Aufnahmeprüfung für ein Mathematikstudium, wurde aber wegen des Ergebnisses nicht zugelassen. Später nahm man mir das Recht, ein Studienfach zu wählen und an die Uni zu gehen. Darum studierte ich an einer geheimen Baha’i-Universität. Sie befand sich genau gegenüber der Sharif-Universität. Wir mussten sehr vorsichtig sein, wenn wir das Gebäude betraten und verließen. Und natürlich beobachteten wir die Studenten der Sharif-Universität. Für sie war alles anders…

Eines Tages, aus heiterem Himmel, mitten im 3. Semester, packte ich meine Sachen im Studentenwohnheim zusammen und erklärte meinen Mitbewohnern, dass ich nicht dorthin gehöre. „Ich gehe“. Ich machte noch einmal die Aufnahmeprüfung für die Universität. Dieses Mal war ich entschlossen, meine Rechte als iranischer Bürger durchzusetzen.

Vier Mal machte ich die Aufnahmeprüfung, jedes Mal verweigerte man mir die Herausgabe der Ergebnisse. Stattdessen bekam ich Briefe, in denen stand, dass meine Anmeldeunterlagen nicht vollständig seien. Ich ging überall hin, angefangen von Parlamentsabgeordneten bis hin zum Freitagsimam. Auch beim Ministerium für höhere Bildung, bei der Evaluierungsstelle für Aufnahmeprüfungen an Universitäten, beim Kulturrevolutionären Rat und beim Büro des obersten Führers wurde ich vorstellig. Die Wiederherstellung meiner Rechte, die ich mir davon erhoffte, gelang mir nicht, doch ich lernte auf diese Weise vieles, was ich durch ein Universitätsstudium nie gelernt hätte. Meine Augen wurden für Dinge geöffnet, die eine Universität mir nicht hätte zeigen können.

Navid Khanjani bei seiner Verhaftung in Isfahan

Diese Probleme gingen von der Präsidentschaftswahl 2009 bis zum März 2010 weiter, als meine Nachfragen beim Ministerium für Höhere Bildung, der Evaluierungsstelle, dem Kulturrevolutionären Rat und meine Zusammentreffen mit Parlamentariern schließlich zu meiner Inhaftierung in der von den Revolutionsgarden kontrollierten Abteilung 2A im Evin-Gefängnis führten.

Während ich dies schreibe, erwarten mich 12 Jahre Haft. Ich bin sicher, dass das noch nicht das Ende meiner Geschichte ist. Ich muss dazu sagen, dass ich auf diesem Weg nicht allein bin. Ich habe viele Freunde und Mitstreiter, die gelitten haben. Die Geschichte, die ich erzählt habe, handelt auch von ihrem Schmerz. Es ist unser gemeinsamer Schmerz.

Ich möchte die Namen meiner inhaftierten Freunde erwähnen: Sama Nourani, Zia Nabavi, Majid Dorri, Mahdieh Golroo

Nochmals muss ich denen, die Diskriminierung und Unterdrückung ausüben, mitteilen, dass die Geschichte nicht zu Ende ist. Das Ende der Geschichte überlasse ich der Zukunft, denn ich glaube und vertraue darauf, dass unser Land eine helle Zukunft hat.

Übersetzung aus dem Englischen
Quelle/Englische Übersetzung: Persian2English

Persisch: Committee of Human Rights Reporters