“Das Urteil”: Chaharshanbeh Soori. Ein Erlebnisbericht

Veröffentlicht auf Persian Umpires Blog am 21. März 2010
Quelle (Englisch): http://www.persianumpire.com/2010/03/21/the-verdict/
Deutsche Übersetzung: Julia, bei Weiterveröffentlichung bitte Link angeben

Die Feindseligkeit, mit der das iranische Regime Chaharshanbeh Soori betrachtet, ist nichts Neues. In den Jahren nach der Revolution wuchsen wir damit auf, dass wir in Angst feierten. Wenn wir auf unserer Straße unsere Feuer anzündeten und Böller warfen, rechneten wir jeden Moment mit den Basijis oder den Komiteh – Sicherheitskräfte, die in Nissan SUVs durch die Stadt patrouillierten – und sie enttäuschten uns fast nie. Wenn sie kamen, brüllten sie normalerweise unsere Eltern an und beendeten die Party. Wenn dann alle in ihren Häusern waren, gingen die kleineren Kinder hinauf auf die Dächer und bewarfen sie mit Böllern und selbstgebauten Granaten. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die Anwesenheit der Basijis bereits bis zu den bösen Jungs aus dem Viertel herumgesprochen, und die kamen dann auch prompt, um den Basijis eine schöne Tracht zu verpassen. Die älteren Kinder aus unserer Straße machten ebenfalls mit, bis die Polizei kam und alle auseinandertrieb. Manchmal endeten die Faustkämpfe in unserer Straße ziemlich blutig.

In jenen Jahren war Chaharshanbeh Soori für uns ein Mittel, unseren Trotz zu zeigen, aber auch einer der seltenen Anlässe, bei denen man sich in Iran amüsieren konnte. Und Chaharshanbeh Soori war immer lustig, mit oder ohne Basijis. Wir dachten immer, die Feindschaft zwischen dem Regime und Chaharshanbeh Soori käme entweder daher, dass das Regime alle Überbleibsel der persischen Geschichte auslöschen will, oder einfach daher, dass die Offiziellen schlicht und einfach spaßfeindlich sind.

Im Verlauf der letzten zehn oder fünfzehn Jahre gab es eine Art Waffenruhe zwischen der Bevölkerung und den Sicherheitskräften. Das Regime hatte es aufgegeben, die Leute daran hindern zu wollen, über ihre Lagerfeuer zu springen, und belästigte uns nicht mehr. In diesem Jahr war es anders. Das Regime war wieder im Spiel, natürlich.

Im Lichte der jüngsten Fatwa des Obersten Führers, der die Feierlichkeiten für unislamisch und dumm erklärt hatte, war ich neugierig darauf, wie viele Leute in meiner derzeitigen Wohngegend wohl feiern würden. Also stieg ich ins Auto und fuhr mit ein paar Freunden durch die Gegend. Wir klapperten ein ziemlich großes Gebiet ab, weil es auf den Schnellstraßen und Hauptstraßen so gut wie keinen Verkehr gab, und so fuhren wir in aller Ruhe von Wohngegend zu Wohngegend.

Überall, wo wir hinkamen, auch in allen Seitenstraßen, brannten Feuer, und die Leute standen darum herum und feierten. An manchen Stellen wurde sogar gesungen und getanzt, und wir sahen viele Frauen ohne ihre islamische Kopfbedeckung, die über die Feuer sprangen.

An den meisten Stellen waren die Müllcontainer weggeschafft worden, damit die Leute sie nicht in Brand steckten. Das hinderte aber niemanden daran, seinen Müll auf die Straße zu bringen und ihn dort aufzutürmen, wo sonst die Container standen, und natürlich gab es ein paar Spitzbuben, die die Haufen anzündeten.

Allerdings gab es in der Stadt auch ein hohes Sicherheitsaufgebot, und wir kamen auch durch mehrere Straßensperren. Die jüngeren Fahrer wurden angehalten, die Papiere wurden kontrolliert und die Kofferräume durchsucht. Aber alles in allem war ihre Rolle eher dekorativer Natur und beschränkt auf die Hauptstraßen und Plätze. Sie schienen sich nicht in die Wohngebiete hineinzutrauen. An manchen Stellen standen IRGC-Gardisten oder Basijis auf den Gehwegen der Hauptstraßen, während die Leute einige hundert Meter weiter das taten, wofür sie gekommen waren: sich amüsieren.

Wir hielten in der Wohngegend eines Freundes an und feierten mit. Wir sprangen über die Feuer und johlten, wenn die Kinder ihre Böller hinter uns hochgehen ließen. Wir sahen dort Feuerwerke, die die der Regierung bei den Fajr-Feierlichkeiten im letzten Monat blass aussehen ließen. Ganz oben auf den hohen Häusern um uns herum brannten die Leute riesige, bunte, schön gestaltete und professionell wirkende Feuerwerke ab. Sie müssen einen Haufen Geld ausgegeben haben für diese Show.

Gegen neun Uhr Abends fuhren wir weiter, um einen anderen Freund zu besuchen. Dort wo, er wohnte, war es in den letzten Jahren immer sehr voll gewesen, und es war viel gefeiert worden. Als wir ankamen, zeigte sich sofort, dass der Ort seinem Ruf gerecht wurde. Aber als wir das Auto abstellten, kamen plötzlich zwanzig oder dreißig IRGC-Motorradfahrer in vollem Harnisch angefahren. Die Leute schrien und liefen weg, die Gardisten stiegen von ihren Motorrädern und rannten schlagstockschwingend in die Straße hinein. Das war ein Fehler. Die Leute verschwanden in ihren Häusern, die Gardisten hinter ihnen her, und sobald sie die Mitte der Straße erreicht hatten, war niemand mehr da. Plötzlich hörten wir lautes Knallen, und die Straße war voller Rauch. Die Gardisten rannten zurück, begleitet vom „Mashallah, Mashallah!“ der Leute.

Vor meinen Augen spielten sich Szenen aus meiner Kindheit ab. Sobald die Gardisten weit in die Straße vorgedrungen waren, fingen die Leute an, sie von den Dächern aus mit selbstgebauten Granaten zu bewerfen. Diese Granaten sollen zwar nur laut sein, aber wenn man direkt von einer getroffen wird, kann das ziemlich gefährlich sein.

Die Gardisten rannten also zurück und blieben bei ihren Motorrädern, und wir gingen ins Haus meines Freundes und stiegen aufs Dach, um einen besseren Blick zu haben. Nach einigen Minuten Ruhe fingen die Leute auf den Dächern an „Tod dem Diktator“ zu rufen, und wir sahen, wie ein paar Leute auf den Nachbardächern Böller anzündeten und die Gardisten damit bewarfen. Das ging eine ganze Weile so, bis jemand eine Granate warf, die direkt neben den Gardisten landete und sie zum Abzug zwang.

Das also ist das Urteil: Nieman gab das Hinterteil eines gewissen Nagetiers auf diese Fatwa. Vielmehr hat sie die Entschlossenheit der Menschen gestärkt, nach draußen zu gehen und zu feiern. Abgesehen von gelegentlichen Rangeleien mit Sicherheitskräften und einigen wenigen Verhaftungen hatten die meisten Leute eine schöne Zeit.

Anmerkung: Wir haben das iranische Neujahr, und ich muss dringend ein paar Tage Urlaub machen. Ich weiß, dass ich viele ungelesene E-Mails in meiner Mailbox habe, weil ich lange weg war. Bitte gebt mir ein paar Tage Zeit, und ich werde anfangen, sie zu beantworten. Wenn ihr Nowrooz feiert, wünsche ich euch ein glückliches neues Jahr. Und wenn ihr in der südlichen Hemisphäre lebt – dann habe ich euch zum jetzigen Zeitpunkt nichts zu sagen, es sei denn, ihr möchtet gern umziehen.

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